Kapitel 39

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Unbekannt

Hass wird aus Schmerz geboren. Und Schmerz wird aus Schwäche geboren. Die feuchte und nach Schimmel stinkende Luft war voll von beidem. Der Schmerz um ihre Verluste und der Hass auf all diejenigen, die für ihren Schmerz verantwortlich waren. Sie waren schwach. Sie alle gehörten zu den Machtlosen. Auch ich gehörte einst zu ihnen. Hungrig und allein war ich der Gnade der Mächtigen ausgeliefert. Ich hatte mich ihnen widerstandslos untergeordnet, hatte sie als höhere und privilegierte Wesen betrachtet. Doch ich war nur blind und schwach. Erbärmlich. Doch jetzt war es anders. Ich hatte meine Schwäche besiegen können und bin mächtiger geworden, als meine Peiniger es je gewesen waren. Und erst da hatte ich es gesehen. Ich hatte verstanden, dass auch sie nur schwache Marionetten waren, die sich nur stärker machten, indem sie die armen und hilflosen noch schwächer machten als sie waren. Sie beuteten sie aus, nutzten jedes Mittel, um sich selbst einreden zu können, sie seien mächtig. Und all das nur, weil auch sie fürchteten, schwach zu sein. Jetzt brauchten sie das nicht mehr zu tun. Meine Schritte hallten laut von den steinernen Wänden wieder. Überall, wo ich auch hin blickte, konnte ich nur Hoffnungslosigkeit und Schwäche erkennen. Die dunklen Zellen waren überfüllt mit all jenen, die eine potentielle Gefahr für diese ach so perfekte Gesellschaft waren. Sie alle passten nicht in die Norm, waren anders oder einfach nicht zu kontrollieren. Diebe, Schmuggler, Mörder und Verräter. Draußen waren sie Geächtete, Verstoßene. Doch hier unten, weggesperrt und vergessen, waren sie alle gleich: Sie waren schwach. Und ich verachtete sie. Sie zeigten mir, was aus mir hätte werden können. Sie zeigten mir, was ich früher war. Und sie zeigten mir, was ich im Inneren immer sein würde. Und ich hasste sie dafür so unendlich sehr dafür. Zielsicher schritt ich weiter den dunklen und verlassenen Gang entlang. Zelle für Zelle sah ich das Elend und den wachsenden Hass in den Gefangenen. Dieser Hass, so dachte ich, würde sie nützlich machen. Sie alle würden Teil von etwas so viel mächtigeren werden. Und sie alle würden dafür sterben müssen. Für Ihn. Meine Schritte stoppten vor der hintersten und dunkelsten Zelle. Rote Augen, die an glühende Lava erinnerten, blickten mir direkt in die Seele. Sein weißes Haar war mittlerweile hüftlang. Sein kantiges Gesicht war eingefallen. Seine große Gestalt saß zusammengekauert an der Wand. Und doch konnte ich sogar bis zu den Gitterstäben seine ungeheure Macht spüren. "Du hast versagt." Machtvoll und dunkel hallte seine Stimme durch die Zelle zu mir und hinterließ eine Gänsehaut. Schlagartig kühlte die Luft ab. Ich begann zu zittern. Selbst in seinem jetzigen Zustand schaffte ich es nicht, mich ihm zu stellen. Die anderen Insassen verstummten augenblicklich. Selbst von mir aus konnte ich ihre Angst spüren. Die Angst vor dem Wesen vor mir verpestete die Luft und mir brach der kalte Schweiß aus. Das Glühen seiner Augen verstärkte sich. Wellenartig pulsierte seine Macht durch die Luft und schien mich nieder zu drücken. "Ich bin enttäuscht von dir." Sein Ton mochte emotionslos wirken, doch seine Macht und sein Blick allein zeigten seine unbändige Wut. Verzweiflung ergriff mich und zwang mich auf die Knie. "Ich bitte Euch, Meister, habt Gnade.", bettelte ich und blickte zu Boden. Meine Hände gruben sich in den mit Dreck und Unrat verschmutzten Grund, als hinge mein Leben davon ab. Und das tat es auch. All die Menschen hier und auch ich lebten nur, weil er es so wollte. Und wir alle wussten es. "Ich habe dir einen Auftrag erteilt. Verbreite unser Wissen, aber bleibe diskret. Und dennoch hast du versagt." "Aber Meister, es war nicht meine Schuld. Da war diese Hexe-", stotterte ich und merkte deutlich, wie meine Übelkeit stieg. Ein Windhauch warnte mich vor. Plötzlich legte sich eine knochige Hand fest um meinen Hals und drückte mich gegen die Wand. Ich blickte erschrocken in seine Augen. Binnen nicht einmal einer Sekunde war er aus seiner Zelle ausgebrochen und hatte mich gepackt. "Eine einfache Hexe kam dir in die Quere?" Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Dunkle Ranken breiteten sich von seiner Hand aus über mich aus. Feste und klebrige Schlingen kletterten an mir hinab und schienen mir mein Leben auszusaugen. Panisch kratzte ich an seiner Hand, versuchte mich mit aller Macht zu befreien. "Sie war nicht nur irgendeine Hexe. Sie war mächtiger als alles, was ich bisher gesehen habe. Sie hatte Haare wie Eure und konnte die Magie sehen. Sie war so anders als alles, was ich bisher gesehen habe. Ich hatte keine Chance, Meister." Die Ranken raubten mir meine gesamte Macht. Und wieder war ich der Gnade des Mächtigeren ausgeliefert. Wieder einmal war ich schwach. Doch niemand war so stark wie er. Plötzlich verschwanden die Ranken. Sein Griff lockerte sich etwas und ich zog gequält den Atem ein. Er kam näher an mich heran. Sein Kopf war nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt. Und ich konnte nur staunen über seine Schönheit. Elfenbeinfarbene Haut schmückte sein Antlitz. Seine Augen waren umrahmt von langen weißen Wimpern. Volle helle Lippen luden jede Frau zum Küssen ein. Sein Gesicht war perfekt symmetrisch. Doch die Macht hinter dieser Schönheit ließ mich erschaudern. Er wirkte gar zu perfekt. Seine Augen wechselten zu einem leuchtenden Waldgrün. Und dann war er in meinem Kopf. Ich konnte seine Präsenz deutlich spüren, wie einen dunklen Schatten, der sich langsam in mir ausbreitete und mich Stück für Stück übernahm. Und ich konnte nur still stehen und machtlos dabei zusehen. Er sah alles von mir. Meine tiefsten Wünsche und meine größten Ängste. Ich fühlte mich entblößt und wunderte mich darüber, dass es ein so mächtiges Wesen gab. Dann wanderte er durch meine Erinnerungen. Er sah alles. Er sah mein komplettes Leben. Doch all das schien ihn nicht zu interessieren. Erst als er bei der Hochzeit von Lord Teichos ankam, erst als er sie sah, stoppte er. Kurz schien sogar er überrumpelt und fassungslos zu sein. Doch der Moment verging sofort. Ohne eine Warnung zog er sich zurück und ließ mich völlig verstört zurück. Dann begann er zu lachen. Zuerst klang es rau und brüchig, doch schnell wurde es voll und samtig. Seine Stimme klang mit einem Mal wie pure Sünde. Und dieser Klang traf mich bis ins Mark. Es erinnerte mich daran, warum ich ihm diente. Er war alles für mich. Er war mein Retter, mein Meister, mein Leben. Und ich würde alles für ihn tun. "Interessant. Du hattest wahrlich keine Chance. Wie es aussieht, werde ich wohl doch selbst tätig werden müssen." Erschrocken blickte ich zu meinem Meister. "Ihr wollt Euch selbst ihrer annehmen? Wisst ihr, wer sie ist? Ist sie eine Bedrohung für unsere Pläne?" Mit einer einfachen Bewegung seiner Hand tauchte ein dunkler langer Mantel aus dem Schatten auf und schmiegte sich um seine dürre, glatte Brust, wie eine zweite Haut. Plötzlich begann mein Meister zu wachsen. Seine eingefallenen, knochigen Wangen füllten sich, seine Schultern wurden breiter, seine Arme und Beine muskulöser. Binnen weniger Sekunden sah er nicht mehr aus wie ein verwahrloster und sterbender alter Mann. Jetzt glich er eher einem jungen Gott. Sein Silber weißes Haar war mit einem Lederband zusammengebunden. Seine breite stählerne Brust war gehüllt in ein schwarzes Hemd. Seine breiten Oberarme steckten nun im schwarzen Ledermantel und er wirkte endlich wie der mächtige Krieger, der er war. Seine wieder riesige Gestalt warf einen langen Schatten auf mich, als er sich zu mir drehte. Jetzt besaßen seine Augen ein seltsames Funkeln. "Diese Hexe könnte eine deutliche Gefahr darstellen." Seine Stimme klang eher amüsiert als besorgt. "Lasst mich sie beseitigen. Gebt mir den Befehl, und ich werde es tun." Meine Stimme hatte endlich wieder an Stärke gewonnen. Doch anders als gedacht, trat mein Meister bedrohlich auf mich zu. Seine Stimme hallte finster von den Wänden: "Du wirst ihr kein Haar krümmen. Du hättest nicht die geringste Chance gegen sie. Außerdem wird sie vielleicht sogar der Schlüssel zu unserem Ziel sein." Ich verstand nicht. Diese Hexe war eindeutig eine Bedrohung. Und er wollte sie dennoch am Leben lassen? Doch als ich in seine Augen blickte, verstand ich es endlich. Dieses Funkeln war nicht nur Amüsement. Es war Interesse. Er hatte Interesse an dieser billigen, kleinen Hexe. Dabei war ich es doch, die ihm seit all den Jahren loyal und hingebungsvoll gedient hatte. Ich würde alles für ihn tun. Ich würde ihn auch vor dieser dämlichen Hexe schützen. Sie hatte sein Interesse nicht verdient. Und sie würde es bereuen, dass sie sich in unsere Pläne eingemischt hatte. Ich senkte also ergebenst den Kopf. "Ich verstehe, Meister. Bitte verzeiht meine Unwissenheit." Das schien ihn zu besänftigen und er ging weiter. Ich würde ihn beschützen. Selbst wenn ich mich ihm dafür widersetzen würde. Es war alles nur für ihn, meinen Meister. Keine Frau würde sich so hingebungsvoll um ihn kümmern, wie ich. Und diese weißhaarige kleine Schlampe war keine Ausnahme. Sie würde leiden, das wusste ich. Ich spürte eine Welle des Friedens in mir, als mir das klar wurde. Oh, ich würde sie jagen und ihr zeigen, wie schwach und unbedeutend sie doch war.

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