Kapitel 43

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Violett

Mit einmal brach ein wilder Tumult unter den Anwesenden aus und sie alle begannen wild durcheinander zu sprechen. Ich konnte spüren, wie Alendro sich neben mir versteifte. Es stimmte, dass ich nicht viel über diese Welt wusste, in der ich nun seit fast zwei Jahrzehnten lebte. Doch wenn es um Hexen und ihre Macht ging, hatte meine Mutter mich all die Jahre mit endlosem Wissen und verschiedenen Lehrbüchern gequält. Es gab bei weitem nicht mehr viele Hexen. Einst jedoch galten sie als die mächtigsten sterblichen Wesen. Anders als andere magische Wesen wie Zauberer oder Dämonen waren Hexen in der Lage, nicht nur ihre eigene Macht zu nutzen, sondern auch auf die Macht um sie herum zuzugreifen. Sie waren nicht an ihre körperlichen Grenzen gebunden sondern konnten ihre Macht durch die Magie aus ihrer Umgebung ins schier unendliche steigern. Da ich mein ganzes Leben in diesem einen Wald gelebt hatte, hatte mein Körper von allein auf die Magie um mich herum zugegriffen und sie aufgenommen. Es war so normal für mich wie das Atmen. Mit der Zeit wuchs meine Macht immer weiter und weiter. Doch eben weil wir Hexen so machtvoll waren, wurden wir von anderen verehrt und gefürchtet. Durch unsere Macht war es schwer uns zu kontrollieren und so kam es, dass sich vor mehr als zweihundert Jahren ein machtvoller Hexer daran machte, alle Hexen zu jagen, um sie entweder zu unterwerfen oder zu töten. Mittlerweile waren nur noch eine Handvoll von uns übrig. Und dennoch schien es mitten in der Hauptstadt einen gesamten Zirkel von ihnen zu geben. Wie war das möglich? Wie konnte jemand da draußen herumlaufen und zufällig alle Hexen finden? Wie groß war diese Wahrscheinlichkeit? Und dann musste ich plötzlich wieder an meine Hochzeit denken. Liseleins Mutter schien ebenfalls bis zu einem gewissen Grad die Macht einer Hexe zu besitzen. Und doch schien ein jeder von ihrer Macht überrascht. Was wenn...? War das wirklich möglich? Aber wenn es wirklich so wäre, wieso war es niemandem vorher aufgefallen. "...chos? Lady Teichos, geht es Euch gut? Ihr seht recht blass aus." Erschrocken schaute ich auf. Der König schaute besorgt und neugierig zugleich. Dann blitzte etwas ähnliches wie Erkenntnis in seinen goldenen Augen auf. Elegant und tödlich wie ein Raubtier erhob er sich von seinem Thron und schritt langsam auf mich zu. In seinen Augen konnte ich deutlich die Bestie sehen. Alendro wollte sich zwischen uns stellen. Plötzlich konnte ich die Macht meines Mannes in meinem Rücken wie eine leichte Liebkosung spüren. Er schenkte mir Kraft und gab mir die Möglichkeit für mich selbst einzustehen. Ich drückte meine Brust durch und schaute dem König direkt in die Augen. Seine Stimme war viel zu ruhig, als er sprach: "Ihr wisst etwas, nicht wahr, liebe Schwägerin? Wollt Ihr uns Eure Meinung mitteilen?" Das Lächeln auf seinem Gesicht bereitete mir eine Gänsehaut und ließ mich leise schlucken. Dennoch trat ich einen Schritt vor:" Ich habe eine Vermutung, was die Hexen betrifft, aber ob es wahr ist oder nicht, kann ich nicht sagen." Mit einem freundlich gemeinten Nicken deutete der Mann vor mir an, fortzufahren. Und das tat ich. "Auf unserer Hochzeit schient Ihr und alle anderen überrascht über die Macht von Lady Grival. Gehe ich Recht in der Annahme, dass niemand etwas davon gewusst hatte?" Der König schien kurz irritiert, doch dann schaute er schockiert. "Ihr habt recht. Keiner wusste von ihrer Macht, weil sie vor einigen Jahren noch keine besaß. Ein jeder Bürger wird auf das Potential von Magie getestet. Und vor allem jeder Adlige muss sich diesem Test mindestens einmal nach ihrem Debüt unterziehen. Damals hatte Lady Grival keinen Funken Magie in sich. Ihr meint also... Aber wie? Wer wäre mächtig genug, etwas so anspruchsvolles und gar unmögliches möglich zu machen?" Das war auch die Frage, die mich so beschäftigte. Doch scheinbar schienen die anderen Anwesenden nicht folgen zu können. Ein älterer Herr in viel zu bunten Strumpfhosen trat empört vor: "Wovon redet Ihr denn? Was ist so unmöglich? Kann es nicht einfach sein, dass Lady Grival ihre Macht versteckt hatte oder der Test damals einfach nicht funktioniert hat?" Ich konnte nur den Kopf schütteln. Doch nicht ich korrigierte diesen armen Mann. Der König und mein Schwager drehte sich genervt zu seinem Untertanen um. "Dieser Test kann sich nicht täuschen lassen. Nicht einmal die mächtigste Hexe kann ein Artefakt der Götter überlisten. Und dieses Artefakt testet nicht nur die Macht, die man besitzt, sondern auch das Potential, das in einem schlummert. Die einzige Erklärung wäre, dass jemand anderes und etwas Lady Grival zu ihrer plötzlichen Magie verholfen hat. Das würde dann auch erklären, warum es mit einem Mal so viele Hexen in der Hauptstadt gibt, wenn sie doch alle fast ausgelöscht wurden. Aber wer oder was wäre mächtig genug, jemandem eine solche Macht zu schenken?" Eine große, warme Hand legte sich auf meine Schulter und erinnerte mich noch einmal daran, dass ich nicht allein war. Alendro schaute mich mit so viel unerschütterlichen Vertrauen und Bewunderung an, dass mir kurz der Atem stockte. Dann legte er seinen Arm um mich und zog mich an sich. Sein Blick wanderte zu seinem Bruder. Plötzlich bildete sich eine Art Maske und ich erhaschte einen Blick auf einen anderen Mann, den Krieger und General, der er war. Mutig und eiskalt stand er mit regloser Miene vor seinem König. "Ich gebe Euch recht, mein König. Etwas so mächtiges ist gewiss Besorgnis erregend. Und doch sollten wir uns vorerst auf die akute Bedrohung in unseren Mauern kümmern und die verbliebene Hexe ausfindig machen. Sie ist noch immer eine Gefahr für die Bürger und das Land." Ich konnte nur staunen. Das hatte ich glatt vergessen. Wie konnte mir das nur so schnell entgehen? Doch der König schien das noch immer im Hinterkopf behalten zu haben. Denn er nickte nur reglos und drehte sich wieder zu den anderen Anwesenden. "Mein Hauptmann hat recht. Fasst diese Hexe. Sie soll uns dann über ihre Verbündeten aufklären. Mein Befehl lautet wie folgt: Durchkämmt jede Straße und jede noch so kleine Gasse. Sucht diese Hexe und findet sie. Lebend."

The Awakening of MagicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt