Kapitel 30

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Alendro

Die nächsten Tage flogen nur so dahin. Ich hatte Garandur und Wulf natürlich nicht die komplette Planung überlassen. Und genau deswegen hatte ich Violett die ganze Woche über kaum zu Gesicht bekommen. Meine Laune kühlte deutlich ab und ich wurde zunehmend reizbarer. Die meisten Gäste, von denen ich nicht einmal die Hälfte persönlich kannte, waren am Abend bereits schon angereist. Der Rest würde wohl erst am Morgen der Hochzeit eintreffen. Ich konnte den morgigen Tag nur noch herbei sehnen. Mittlerweile war alles fertig durchgeplant. Mein Bruder nutzte die letzten Tage und versuchte Violett in ihrer Beziehung zu ihrem Vater zu helfen. Doch anscheinend besaß sie die gleiche Sturheit wie ihre Mutter. Und so verbrachte sie die letzten Tage mit meinem Sohn und lehrte ihn ein wenig Magie. Zumindest dachte ich das zunächst. Ich hatte den Fehler gemacht und Wulf davon erzählt. Plötzlich hatte er dieses neugierige Funkeln in den Augen und bestand darauf, ihrem Unterricht bei zu wohnen, nur um zu sehen, was sie selber konnte. Ich dagegen wollte sie nur endlich wieder sehen und beschloss mit meinem Bruder und Wulf im Schlepptau ihrem Unterricht zu lauschen. Wir standen vor ihrer Zimmertür wie junge Buben, mit dem Ohr an die Tür gedrückt. Durch meine Bestie konnte ich ihre zarte Stimme auch so sehr leicht und deutlich verstehen. "Aber ich will endlich richtige Zauber kennen und nicht Bücher lesen.", maulte Chris gerade. Ich konnte ihr helles Lachen hören und wusste, dass ihre violetten Augen wieder strahlen würden. "Aber Chris. Du musst erst die Grundlagen beherrschen, bevor du an die starken Zauber kannst. Das habe ich dir schon gesagt. Und eine der ersten Grundlagen ist lesen, schreiben und leider auch rechnen." Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Sie brachte meinem Sohn nicht nur Magie, sondern auch das Lesen, Schreiben und sogar das Rechnen bei? Sogar mein Bruder schien erschrocken. Nur wenige konnten lesen und schreiben. und noch weniger konnten wirklich rechnen. Das einfache Zählen beim Bezahlen war das höchste Maß an Mathematik. Wofür sollte man es denn noch brauchen? Das schien sich auch mein Sohn zu fragen: "Aber wozu muss ich so kompliziert rechnen können?" "Mathematik ist fast genauso wichtig wie Lesen und Schreiben. Sie kann dabei helfen, große Probleme zu lösen. Und außerdem bietet dir jedes zusätzliche Wissen einen Vorteil im Leben. Wenn du das Erbe deines Vaters irgendwann einmal antrittst, werden viele versuchen dich auszunutzen und sich irgendwie einen Vorteil zu erschleichen. Doch je mehr du gelernt hast, desto mehr Macht besitzt du. Denn Wissen bedeutet Macht. Es kann noch mächtiger sein als die stärkste Magie, wenn man es einzusetzen versteht." Ich wusste nicht, was ich von ihrer Erzählung halten sollte. Wie konnten einem Zahlen in einer Schlacht helfen, in der es auf die eigene Waffe und Geschicklichkeit ankam? "Aber Violett, wie kann Wissen stärker sein als deine Magie?" Mein Sohn schien mindestens genauso verwirrt zu sein wie wir Männer hinter der Tür. Doch Violett lachte nur wieder: "Mit Wissen kannst du einen Krieg gewinnen, ohne zu kämpfen. Du musst nur deinen Gegner durchschauen können. Du kannst die Landwirtschaft verbessern, wenn du verstehst, warum die Pflanzen überhaupt erst wachsen und was sie benötigen. Und du kann mithilfe eines kleinen Zweigs die Höhe der Mauer messen. Für all das benötigst du keine mächtige Waffe oder Magie, nur deinen Kopf." Violett schien kurz zu überlegen. "Was hältst du von einem kleinen Spiel? In diesem Spiel musst du strategisch vorgehen, ohne Magie einsetzen zu können. Du musst versuchen, meine Strategie zu durchschauen und meinen König zu erobern." Und so fing sie an, meinem Sohn etwas namens "Schach" beizubringen. Chris schien dieses Spiel zu lieben und brachte es mir noch am selben Abend ins Arbeitszimmer. Violett hatte ihm wohl zum Nachlesen eine genaue Anleitung geschrieben. Zuerst fand ich das nur lachhaft. Doch kaum, dass ich es selbst gegen meinen Bruder, der sofort begeistert war, gespielt hatte, war ich nur noch fasziniert. Und doch vermisste ich sie. Meine Violett. Ich zählte nun die Stunden bis zu unserer Hochzeit. Die Sonne war bereits untergegangen, Chris wollte heute unbedingt bei ihr im Zimmer schlafen und ich schämte mich nicht zu sagen, dass ich ihn darum beneidete. Fünf Tage waren erst vergangen und es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Und dann endlich kam der Morgen unserer Hochzeit. Ich hatte mir für heute mein bestes Hemd heraus gesucht. Darüber trug ich eine schwarze Weste und ein Jackett. Ich fühlte mich albern in diesen Klamotten. Doch mein Bruder bestand darauf. Nur mein Schwert wollte ich nicht ablegen. Es war ein Teil von mir und es war vertraut. Mein Herz schlug wie wild, ich fühlte mich wie ein junger Bursche. Ich war nervös und doch konnte ich es kaum noch ertragen, sie nicht bei mir zu haben. Doch endlich. Nach heute Nacht würde sie endgültig zu mir gehören und ich würde für immer an sie gebunden sein. Mein Bruder klopfte mir aufmunternd auf die Schulter: "Heute wirst du endlich nicht mehr allein sein. Ich wünsche dir alles Glück dieser Welt und dass die Göttin Luminis auf eure Verbindung lächelnd herabblickt und euch segnen wird. Nun ist es endlich soweit." Zusammen mit Avenius trat ich hinunter auf den Hof, wo die Trauung stattfinden sollte. Die riesige grüne Fläche war voller Stühle und Bänke, auf denen fast sämtliche Adligen des Reiches saßen. Sie alle glitzerten voller Juwelen und Gold und sahen aus wie bunte Pfauen. Und doch konnten sie es nicht lassen, einen solchen Anlass dafür zu nutzen, mit ihren Reichtümern zu prahlen. Die jungen Töchter trugen grell bunte, viel zu schwer aussehende Kleider, deren Stoff mindestens all meine Teppiche und Vorhänge ersetzen konnten. Viele der Frauen schienen wie immer sehr flach zu atmen und kaum Luft zu bekommen, da ihre Korsetts jedes Mal nur noch enger gezogen wurden. Es sah abschreckend aus und ich wünschte mir innig, dass Violett nicht auch in einem solchen Ungetüm hierher schreiten würde. Da mein Bruder uns trauen würde, benötigten wir keinen Heiligen und so wartete ich neben Avenius auf dich. Und dann sah ich dich endlich. Mein Atem stockte und ich konnte nicht mehr weg sehen. in reinem Weiß kam sie von ihrem Vater geführt auf mich zu. Das Kleid ließ dich aussehen wie eine Göttin. Es wirkte so schlicht und doch so bezaubernd. Der Rock floss in sanften Wellen bis zum Boden. Der spitz zulaufende Ausschnitt betonte die filigrane und doch schlichte Silberkette um deinen Hals. Feine silberne Fäden sponnen sich um den Ausschnitt zu einem eleganten Muster zusammen. Selbst das Dünne Band, das wie ein Gürtel war und bis zum Boden vorn floss, wirkte zunächst einfach. Doch beim näheren Betrachten konnte ich kleine Perlen und Edelsteine im Band erkennen. Ihr mittlerweile wieder weißes Haar wurde von silbernen Spangen auf deinem Kopf drapiert, sodass ihr Hals völlig frei lag. Ein ehrfürchtiges Raunen ging durch die Menge. Und ich konnte mich dem nur anschließen. Sie war bei weitem die schönste Frau, die ich je gesehen hatte. Und in wenigen Augenblicken würde sie meine Frau sein.

The Awakening of MagicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt