Das Abendessen verlief beinahe schweigend. Zu essen gab es eine Hühnersuppe, welche auch der König zu sich nehmen konnte, welcher uns aber nicht mit seiner Anwesenheit beglückwünschte.
„Habt Ihr Euch schon eingelebt, Olivia?“ Die Königin richtete ihren Blick auf mich und rang um ein Lächeln. Sie wusste über alles Bescheid, was Robin und ich nicht zu tun gepflegt hatten. Ihre nette Art machte mich nervös, denn ich wusste nicht, wie es in ihrem Inneren aussah. Auch sie beherrschte die Kunst, es ihr nicht ansehen zu lassen, was sie fühlte. Nur wenn sie wollte, dass man ihre Gefühle spürte, dann spürte man sie auch.
„Ja. Ich war heute in der Bibliothek“, ich räusperte mich und wagte einen Seitenblick zu meinem Gemahl.
„Sie hat Stunden dort verbracht“, ergänzte Robin meine Aussage.
„Ihr lest gern?“ Die Königin legte ihren Suppenlöffel beiseite und schien mit dem Essen fertig zu sein.
„In meiner früheren Heimat hatten wir auch eine Bibliothek, doch die war bei Weitem nicht so groß wie in dieser Burg. Ich konnte nicht so viel lesen, da es mir die Zeit oft nicht erlaubte, doch ich fand es immer wieder schön und informativ.“ Abermals wagte ich einen Blick zu meinem Gemahl, der sich anders benahm als die letzte Nacht. Konnte es sein, dass wenn er unter Menschen war eine andere Fassade trug, als wenn wir allein waren? Oder hatte ich ihn tatsächlich mit irgendetwas verärgert?
„Frauen, die lesen, sind nicht sehr gern gesehen, das muss ich Euch wohl nicht zweimal sagen.“ Die Königin hob den Kopf an. „Doch solange Ihr es niemanden der Männer des höheren Standes erzählt, wird Euch nie jemand danach fragen. Ihr sollt auch nicht klüger wirken als sie, das mögen sie gar nicht“, schmunzelte sie. „Auch ich besuchte ständig unsere Bibliothek, um mehr zu erfahren. Bücher sagen oft mehr als gesprochene Worte.“
„Nicht alle Bücher, Mutter.“ Vermutlich spielte er auf Die Schlacht um Mirofeld an.
„Mein Sohn, ich weiß, dass du das anders siehst, aber ohne die Bücher wäre ich nichts. Wer von den Männern hätte mir denn von den Schlachten berichtet? Die Männer des höheren Standes? Wohl kaum. Dein Vater? Wohl kaum. Für ihn war es schon schwer genug dabei gewesen zu sein“, seufzte sie und beachtete nun wieder mich. „Die Bibliothek steht Euch jederzeit offen.“ Danach stand sie von der Tafel auf und verließ den Saal.
„Sollen wir jetzt aufhören zu essen?“, fragte ich verunsichert.
„Sie macht das immer so.“ Robin zuckte mit den Schultern und aß ungerührt weiter. In meinem alten Zuhause standen wir erst dann auf, wenn alle fertig gegessen hatten oder der König oder die Königin uns dazu aufgefordert hatte.
Mein Magen knurrte von dem wenigen Essen, was ich heute zu mir genommen hatte, doch meine Manieren ließen es nicht zu, weiter zu speisen. Deswegen legte ich den Löffel zur Seite und lehnte mich in meinem Stuhl zurück. Ich wartete geduldig, bis mein Gemahl fertig war und wir verließen gemeinsam den Saal.
Ich wusste nicht ob er mich heute wieder in mein Zimmer begleiten würde und dort fortfahren wollte, wo er gestern aufgehört hatte, doch falls dem so sei, dann würde ich mich nicht mehr anstellen, als sei ich ein kleines Kind. Immerhin war ich eine erwachsene Frau. Noch dazu eine verheiratete.
Zu meiner Überraschung begleitete mich Robin bis zu meiner Zimmertür und verabschiedete sich von mir.
„Ich wünsche Euch eine angenehme Nacht, Olivia.“ Zu verdattert, um etwas zu erwidern blieb ich eine Zeit lang vor meiner Tür stehen und starrte meinem Gemahl hinterher, bis auch er in seinem Zimmer verschwunden war.
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„Meine Liebste.“ Die schwache Stimme des Königs erfüllte den Raum, als seine Gemahlin eintrat.
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Wolfsfluch | ✔️
FantasyUm eine Allianz mit dem Feind zu gründen, vermählt der König von Bell seine Tochter Olivia mit dem gefürchteten Prinzen Robin von Schwarzenburg. Einst lernte man ihr, dass diese Familie brutal und eiskalt ist, und die Menschen beim Klang von ihrem N...