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Wir hatten den Marktplatz erreicht. Irgendwo hier musste die alte Hexe wohnen. Anstelle mich umzusehen, wo ihr Wohnort sein könnte, marschierten meine Wachen sofort auf eine verwitterte Hütte mit unzähligen hochwachsenden Efeuranken zu. Dem Anschein nach wussten sie genaustens, wo die Heilhexe lebte. Doch da diese Hütte aus allen anderen ziemlich herausstach, wunderte es mich nicht, dass dort die Hexe wohnte.

Einer der Wachen klopfte an die Tür, wartete allerdings nicht auf eine Antwort. Er öffnete sie schwungvoll, sodass die knarrende Holztür an die Wand dahinter krachte.

"Guten Tag." Die Hexe saß auf einem Stuhl in ihrer Hütte und grinste uns trotz des rabiaten Erscheinens entgegen. "Ich habe schon auf Euch gewartet", meinte sie an mich gerichtet.

Meine Augen huschten von einer Ecke zur nächsten, weil ich mir zuerst die Inneneinrichtung ansehen wollte, bevor ich mich in die Höhle des Löwen wagte.

Alles in dieser Hütte schrie nach dem Wohngbereich einer Hexe. Verschiedene Kräuter und Blumen hingen zum Trocknen von der Decke herab. Ein alter Holztisch stand in der Mitte des Raumes. Irrte ich mich, oder sezierte die Hexe soeben einen Frosch auf genau diesem Tisch? Hatten wir sie etwa bei dieser Tätigkeit gestört?

Mir drehte sich beinahe der Magen um, je länger ich den Frosch und seine Gedärme betrachtete. Dabei sollte ich tote Lebewesen schon gewohnt sein. Immerhin sahen meine Seelenstehler nicht viel besser aus. Nun gut, taten sie schon. Aber es sollte mir nicht so viel ausmachen, wie es dies anscheinend doch tat.

Meine Augen wanderten weiter zu einem leisen verängstigten Piepsen in der Ecke des Raumes. Auf dem Boden stand ein schmaler rostiger Käfig, in welchem ein wunderschöner Vogel mit weißem Gefieder saß. Dem Anschein nach wollte er wieder in die Freiheit zurück. Ob dieser Wunsch in Erfüllung ging? Angesichts des leblosen Frosches auf dem Tisch bezweiflte ich dies stark.

Es roch nach Ingwer, feuchter Erde, Wein und Lavendel. Direkt neben mir, ich stand nun im Türrahmen, sah ich auch jede Menge von dieser lila Heilpflanze. Deswegen vernahm ich diesen Geruch wohl auch so intensiv.

"Kommt doch herein, meine Prinzessin. Eure Wachen müssen aber draußen bleiben!"

Ich gab meinen Wachmännern mit einem knappen Nicken zu verstehen, dass sie vor der Hütte auf mich warten sollten. Clementia ebenso. Sie ließ mich nur ungern allein, das sah ich ihr an.

"Ich habe mich schon gefragt, wann Ihr hier aufkreuzen würdet." Die Hexe stand von ihrem Stuhl auf und kam auf mich zu.

Ich hatte sie noch nie so genau betrachtet. Zugegeben, ich hatte sie bis jetzt auch erst einmal gesehen. Aber trotz ihres Alters, sah sie noch ziemlich gut aus. Vermutlich altbekanntes Hexenwerk ...

Ihre grauen Augen strahlten mir funkelnd entgegen, und alles an ihr deutete darauf hin, dass sie gespannt war, was ich ihr sagen wollte. Außerdem schien sie von neugieriger Natur zu sein. Sie wollte bestimmt alles über mich als dunkle Hexe wissen.

Ihre langen grauen Haare hatte sie zu einem seitlichen Zopf geflochten. Sie stand nun direkt vor mir und starrte mich mit ihren Sturmaugen erwartungsvoll an. Nun lag es an mir, etwas zu sagen.

"Ich erhoffe mir Eure Hilfe", gab ich zu.

"Wobei benötigt Ihr denn meine Hilfe?"

"Es hat sich bestimmt schon bis zu Euch herumgesprochen, dass ich eine dunkle Hexe bin. Zumindest scheint es so. Ich habe zwei Seelenstehler an meiner Seite, jedoch besitze ich keine Magie. Sie schläft. Wie kann ich sie aufwecken?"

Die Hexe lächelte mich höhnisch an. "Sie lässt sich nicht so leicht aufwecken." Sie umrundete mich und ließ mich keinen Augenblick aus den Augen. Doch ich tat dies ebensowenig. Ich vertraute dieser Hexe nicht wirklich. Auch wenn ich es wohl musste, denn sie war die einzige Hexe hier, die ich kannte.

"Aber Ihr wüsstet, wie es geht?"

"Heilhexen können das nicht, sofern sie den Zauber nicht kennen. Denn für diesen Zauber benötigt man ein bestimmtes Wort, vielleicht auch einen langen Satz, um ihn aufzulösen. Und den weiß nur diejenige, die den Spruch ausgeführt hat, um die Magie schlafen zu legen. Meine Prinzessin, wisst Ihr, wer das war?"

"Meine Mutter", antwortete ich ihr ohne Umschweife.

"Dann solltet Ihr Eurer Mutter einen Besuch abstatten. Andernfalls kann ich Euch nicht helfen."

"Könnt Ihr wirklich gar nichts tun?" Ich hob meine Augenbrauen und beobachtete die Hexe, wie sie ein paar Gläschen mit Kräutern darin in die Hand nahm, und sortierte.

"Nein. Ich kann Euch zeigen, wie Ihr mit der Magie umzugehen habt, doch erst, wenn sie aus Euch ausgebrochen ist. Was allerdings ziemlich schmerzhaft werden wird. Das kann ich Euch jetzt schon verraten."

"Was wird schmerzhaft sein?" Ich verstand nicht recht.

"Die Magie schlummerte so lange in Euch. Die Magie will aus Euch raus, keine Frage, doch ein immer stärker festigender Panzer umgibt sie. Dieser Panzer ist stabil, doch irgendwann wird er sich der Magie beugen müssen. Denn auch die Magie wird immer mächtiger. Selbst wenn Ihr nichts davon mitbekommt. Deswegen wird Euch das Ausbrechen dieser Magie wehtun. Das ist Logik, meine Prinzessin."

"In Ordnung." Ich nickte, denn das ergab einen Sinn für mich. Wenn es soweit war, gab es bestimmt schmerzlindernde Mittel für mich. Kräuter, oder Heilhexenmagie. Irgendetwas würde mir schon helfen, da war ich sicher. Zumindest hoffte ich es sehr.

"Wenn Ihr bei Eurer Mutter wart, dann kommt mich gerne wieder besuchen. Ich werde Euch mit der Magie helfen. Auch wenn ich eine helle Hexe bin. Wir müssen doch alle irgendwie zusammenhalten, nicht?"

Nickend gab ich ihr recht. Auch wenn es noch immer absurd für mich schien, dass meine Mutter ebenfalls eine Hexe sein sollte. All die Jahre hatte ich nie etwas davon mitbekommen.

Als ich mich gemeinsam mit den Wachen und Clementia wieder auf den Rückweg machte, dachte ich noch eine Weile an die Hexe und ihre Worte nach.

Es würde also schmerzhaft werden ...

Wollte ich dann überhaupt, dass die Magie jemals aus ihrem Schlummerschlaf erwachte? Ich musste alles neu lernen, denn ich kannte mich mit dieser Materie absolut nicht aus. Wollte ich das wirklich?

Jedoch ... hatte ich eine andere Möglichkeit?

~ ♡ ~ ♡ ~ ♡ ~

Corinna hatte einen Plan. Dieser setzte zwar eventuell das Leben der zukünftigen Königin von Schwarzenburg aufs Spiel, doch einen anderen Plan kannte sie nicht. Und sie hatte auch nicht die Lust, sich näher damit auseinanderzusetzen.

Tagelang war sie gereist, nur um heute die Burg in der Ferne erblicken zu können. Ihre drei Seelenstehler waren ihr selbstverständlich gefolgt, und schauten gemeinsam mit ihr zu der Burg hinauf.

Den Seelenstehlern von der Prinzessin waren sie zum Glück nicht begegnet. Doch Corinna hatte auch mit allen Mitteln versucht, ihnen aus dem Weg zu gehen. Dies war ihr dem Anschein nach gut gelungen.

"Ihr wartet hier. Ich beeile mich. Morgen können wir wieder abreisen."

Corinna vernahm die zischenden Stimmen ihrer Seelenstehler in ihrem Kopf. Lächelnd strich sie ihnen über die Nase, ehe sie sich abwandte und alleine auf die Burg zuging.

Das was Corinna vorhatte, könnte grausam enden.

Doch sie musste es tun. Daran führte kein Weg vorbei.

 Daran führte kein Weg vorbei

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Wolfsfluch | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt