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„Corinna!“, rief ein junges Mädchen, sie hieß Lucia, und kam zu ihr gerannt.

„Was gibt es, Süße?“, fragte Corinna, und ging in die Hocke, um mit Lucia auf Augenhöhe zu sein. Um sie herum zwitscherten Vögel und die Blätter raschelten im Wind. Die Äste der Bäume bogen sich leicht und es roch herrlich nach Herbst.

„Papa will dich sprechen“, sagte sie nun wesentlich leiser. Wenn ihr Vater etwas mittzuteilen hatte, dann war das entweder eine sehr gute Nachricht, oder eine über die man nachdenken musste, und man meist als eher schlecht empfand.

„Danke Süße.“ Corinna strich dem Mädchen einmal über den Kopf und reichte ihr eine Handvoll Beeren. „Nimm dir ein paar auf dem Rückweg mit. Ich werde heute Abend bei deinem Vater vorbeischauen. Sag ihm das.“

Das Mädchen nickte eifrig „Danke!“, rief sie entzückt, wegen der Beeren, und sprang auf dem Rückweg einige Male glücklich hin und her. Wenn man doch bloß einmal noch ein Kind sein konnte. Das Leben war so leicht gewesen, so unbeschwert. Man hatte jemanden gehabt, der sich um einen kümmerte, der einen beschützte und der einen behütete. Je älter man wurde, desto mehr musste man an sich selbst glauben. Doch Corinna hatte zum Glück jemanden, der sie beschützte und auf sie aufpasste. Das konnte nicht jeder von sich behaupten.

Sie blickte in den Wald hinein. Ein Windhauch erfasste ihr glattes, busenlanges, schwarzes Haar und wehte ihr vor die Augen. Corinna strich sich die Strähnen hinter ihr Ohr und machte sich wieder an die Arbeit, Beeren zu pflücken. Immerhin musste sie sich von etwas ernähren – auch wenn sie beschützt wurde, ihre Behüter hatten nicht immer den schmackhaftesten Speiseplan anzubieten.

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“Olivia.” Die Stimme des Königs war heiser und er sah viel blasser aus als beim letzten Besuch.

„Mein König.“ Ich verbeugte mich.

„Richtet Euch wieder auf, immerhin gehört Ihr zur Familie.“ Er hustete und setzte sich langsam auf. Man sah ihm an, dass er unerträgliche Schmerzen haben musste.

Robin war an meiner Seite und dafür war ich ihm dankbar. Simon Reichenstein war ebenfalls anwesend, genauso wie der Priester. Das Dasein des Priesters machte mich nervöser, als ich es ohnehin schon war, und es irritierte mich.

„Wir sollten darüber reden, … was mir mein Sohn vor wenigen Stunden mitgeteilt hat“, begann der König. Ich nickte, denn ich war kaum imstande den Mund zu öffnen.

„Die Seelenstehler dürfen das Innere … das Innere der Burgmauern … nicht betreten und unserem Volk kein Leid zufügen. Das ist eine Bedingung.“

Hastig nickte ich, während der Prieser genervt ausschnaubte. Beinahe gleichzeitig sprachen wir.

„Natürlich“, versicherte ich dem König.

„Nennt das Kind beim Namen!“, zischte der Prieser aufgebracht. „Es sind Dämonen. Dunkle Dämonen, die kein Licht in unser Land bringen werden.“

„Sie haben ihre Loyalität während der Schlacht schon einmal … einmal bewiesen. Ihr braucht nur meinen Sohn … und den ersten Heerführer fragen“, meinte der König an den Priester gewandt.

Der König hustete. Er nahm sich ein Tuch, welches in seiner Nähe lag und hielt es sich vor den Mund. Er hustete weiter und schien nicht mehr aufhören zu können. Ich merkte, wie mein Gemahl die Hände zu Fäusten ballte, denn es nahm ihn mit, seinen Vater so zu sehen. Es dauerte seine Zeit, bis der König das Tuch beiseitelegte und sich an dem Bettrahmen anlehnte. Seine Kräfte schienen zu Ende zu gehen.

„Das ist das Werk einer dunklen Hexe!“, fauchte der Priester, als er auf das Tuch zeigte.

Ich erschrak, denn es war übersehen mit roten Flecken.

Wolfsfluch | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt