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Olivia war eingeschlafen.

Der Wolf betrachtete sie genau.

Robin beobachtete sie.

Er ließ ein kehliges Seufzen aus seinem Maul dringen, ehe er sich aufsetzte und seine Gemahlin weiterhin beäugte. Sie war von unsagbarer Schönheit – ihr langes braunes Haar fiel ihr sacht über die Schultern und ihre Augenlider zuckten kurz, so als träumte sie von etwas. Ihre Nase war spitz und ihre Haut zart und rein. Für eine Prinzessin war sie sehr zierlich, fast schon so dünn wie eine Bäuerin.

Er schüttelte seine Gedanken ab, und versuchte sich auf die Frage zu konzentrieren, weswegen Olivia überhaupt hier war und wieso sie keine Angst verspürte. Sie war in seiner Gegenwart eingeschlafen! So etwas war ihm in seiner Wolfsgestalt noch nie passiert.

Robin erhob sich vom Boden und streifte durch die Bibliothek. Er hatte sie ganz genau gehört, als seine Gemahlin mit dem Heerführer diskutiert hatte. Robin hatte jedes einzelne Wort verstanden, so wie er jedes Mal jedes noch so geflüsterte Wort von ihr wahrnahm. Der Wolf in ihm verfügte über ein ausgezeichnetes Gehör und er konnte teilweise spüren, was die Menschen fühlten. Durch Olivia hatte er sogar herausgefunden, dass eine Berührung seinerseits sie zur Ruhe brachte. Ihm war es bei seiner Vermählung das erste Mal aufgefallen, doch da hatte er dies nicht allzu ernst genommen. Erst als sie das erste und derzeit einzige Mal miteinander geschlafen hatten, wusste er, dass er Olivia mit nur einer Berührung seinerseits beruhigen konnte.

Robin hasste den Wolf, doch gleichzeitig liebte er ihn. Im Grunde mochte er nur die Umstände nicht, dass er den Wolf nicht so ausleben konnte und ihm nicht bieten durfte, was er so gerne erleben würde.

Er wusste, dass er sich bald wieder zurückverwandeln konnte, und er tat es jedes Mal voller Freude. Denn in dieser Wolfsgestalt in der Bibliothek zu verweilen, war in einer Burg voller Menschen nicht das Klügste. Im Grunde war die Geschichte um den Wolf nur eine Legende, eine Sage, der niemand wirklich Glauben schenkte. Vielleicht ahnten es ein paar Menschen im Dorf und einige Wachen der Burg sogar, doch es spielte keine große Rolle. Niemand außer seinem ersten Heerführer hatte ihn je so zu Gesicht bekommen. Nun gut, niemand weiterer bis auf seine Gemahlin.

Robin schaute zu Olivia, welche am Boden schlief. Ihr Brustkorb hob und senkte sich, was ihn selbst auf eine gewisse Weise beruhigte. Er wusste noch nicht, was er ihr sagen sollte, wenn er sie aufweckte. Sollte er ihr sagen, dass sie geschlafwandelt sei und er sie in der Bibliothek gefunden hatte? Dass sie nur geträumt hatte? Sollte er sie auslachen, weil sie über den Wolf sprach, als würde er tatsächlich existieren? Er wusste nicht was er tun sollte, doch er wusste, was er tun wollte.

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Orange Augen spähten durch die Dunkelheit der Nacht. Eine Eule auf einer alten Eiche, hatte ihre Beute entdeckt – eine Maus hatte sich aus ihrem Erdloch gewagt und war auf nächtlicher Nahrungssuche. Nicht anders als die Eule. Diese breitete ihr Gefieder aus und schoss nahezu geräuschlos auf die Maus zu.

Der Mond erhellte die dunkle Nacht und ließ Licht in die Burg der Familie von Eisenbach dringen. Der König Utz von Eisenbach saß mit seiner Gemahlin, der Königin Affra von Eisenbach, vor dem Kamin und betrachtete die Flammen. Er grübelte über jenen Brief nach, welchen ihn heute um die Mittagszeit erreicht hatte. Am liebsten hätte er der übermittelnden Krähe sofort den Hals umgedreht, doch diese war schneller gewesen und hatte sich sofort wieder aus dem Staub gemacht – fast schon, als hätte sie gewusst, was sie ansonsten erwarten würde.

„Ich werde diesen Brief verbrennen. Wenn er nicht mehr existiert, dann muss ich auch nicht mehr daran denken.“ Er führte wohl Selbstgespräche, doch seine Gemahlin antwortete ihm dennoch auf seine vielen unausgesprochenen Fragen.

Wolfsfluch | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt