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Wir waren schon seit Tagen unterwegs. Es wurde immer kälter und die Nächte immer länger. Der Winter würde nicht mehr lange auf sich warten lassen, doch wir hofften, noch vor dem ersten Schneefall zuhause in der Burg von Schwarzenburg angekommen zu sein. Der König und die Königin machten sich bestimmt große Sorgen, doch wir hatten keine Krähen mit in die Schlacht genommen, sodass wir ihnen auch nicht Bescheid geben konnten, dass alles in bester Ordnung war – oder wie auch immer man unsere Situation formulieren wollte. Der König würde über die Neuigkeit der Familie von Bell nicht sonderlich erfreut sein.

Die Männer hatten sich mehr oder weniger damit abgefunden, dass uns die Seelenstehler begleiteten. Ich hatte darauf bestanden, dass sie in meiner Nähe blieben, auch wenn sie etwas abseits von uns wanderten. Ab und zu verschwanden sie einfach im dichten Wald und tauchten Stunden später wieder auf. Auch die Pferde hatten sich mittlerweile an die Anwesenheit der Seelenstehler gewöhnt und tänzelten nicht mehr, wenn sie wieder einmal aus dem Wald heraustraten.

Mit Robin konnte ich beinahe kein Wort sprechen, da immer ein anderer Krieger in unserer Nähe war. Dabei gab es noch so viele Fragen, die ich ihm stellen wollte. Doch vielleicht musste das einfach warten, bis wir wieder in der Burg ankamen. Möglicherweise musste ich nach der Ankunft auch einige Fragen nicht mehr stellen. Ich hoffte so sehr, dass mein Gemahl recht behielt und mich niemand umbringen wollte. Er fand es absurd überhaupt darüber zu reden, doch ich fand es nicht so abwegig. Mit wem sollte und konnte ich sonst meine Ängste besprechen?

Mit uns, Meisterin. Eine Stimme schlich sich in meinen Kopf und ich musste unwillkürlich lächeln. Wir stehen Euch immer beiseite und lassen nicht zu, dass Euch etwas passiert.

Ich nickte Serafina dankbar zu. Sie beobachtete mich oft, das wusste ich.

Es waren wieder einige Tage vergangen, als wir eine längere Rast einlegten. Die Krieger hatten ein Lagerfeuer errichtet und es wurde allmählich dunkel.

Ein kleiner Vogel kreiste um uns herum, ich hatte ihn schon vor Stunden gesichtet. Er flog immer über uns und ließ uns scheinbar nie aus den Augen.

Ich beobachtete den Vogel wieder. Er war wunderschön – seine Federn waren eine Mischung aus grau und braun. Im Herbst konnte er sich also gut im Wald verstecken. Der Vogel gab keinen Mucks von sich, er zwitscherte nicht einmal und war allein unterwegs.

Es war so idyllisch um uns herum. Die Blätter der Bäume waren bunt gefärbt und zeigten jede mir erdenkliche Herbstfarbe. Der Vogel zog seine seltsamen Kreise, doch auch das war auf eine gewisse Art beruhigend. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte ich mich ausgeglichener. Die kleine Pause tat mir gut, und den Kriegern bestimmt auch.

Die Männer redeten viel miteinander, einige lachten sogar. Es war schön zu sehen, dass sie sich mit jedem Schritt, dem wir der Burg von Schwarzenburg näherkamen, entspannten. Die Laubblätter raschelten am Boden, als sie durch sie hindurchgingen – ein Geräusch, welches ich mochte. Doch der Boden war nicht nur von bunten Laubblättern überseht, sondern auch mit weichem Moos bewachsen. Ich legte eine Hand in das Moos und seufzte. Meine Augen schlossen sich von selbst und ich genoss die Kühle und die Weiche des Mooses.

Als ich die Augen wieder aufschlug, suchte ich die Menge nach Robin ab. Ich sah ihn mit Simon Reichenstein sprechen und betrachtete ihn eine Weile. Er war so unglaublich nett zu mir, obwohl uns mein Vater betrogen und hintergangen hatte. Mich am allermeisten. Ich spürte, wie sich ein Kloß in meiner Kehle bildete, und schluckte daran vorbei. Ich durfte nicht so oft daran denken, es machte mich fertig.

Mein Blick wanderte zu dem Baum neben mir. Er war groß, kräftig und Kletterpflanzen schlängelten sich an seinem Baumstamm empor. Die Baumkrone war bunt und über dem Baum konnte ich den kleinen Vogel entdecken. Er zog weiterhin seine Kreise.

Wolfsfluch | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt