Kapitel 36-Dieser eine Moment für immer

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Finnick P.o.V

6.Tag

Als ich meine Augen öffne, sehe ich als erstes die blendende Sonne. Ich liege einfach so da. Die klaffenden Wunden auf meiner Brust sind verschwunden, selbst keine Narbe ist zu sehen. Langsam versuche ich, aufzustehen. Ich bin zwar noch ein bisschen unsicher, aber am Ende funktioniert es doch. Ich sehe mich um. Ich bin nicht in der Arena. Aber auch nicht irgendwo, wo es so aussieht, als ob Tote dort hin kommen.
Meine Augen gewöhnen sich noch an die Helligkeit. Blinzelnd stehe ich dort und warte, bis sich die Kulisse Stück nach Stück vor meinen Augen zusammenfügt.
Ich bin barfuß und meine Füße stehen auf weichem Gras. Um mich herum ist niemand anderes. Ich bin alleine.
Die Sonne strahlt warm vom Himmel hinab, aber ein paar dunkel Wolken verdecken einen kleinen Teil von ihr.
Weit weg kreischt eine Möwe.
Wo bin ich? Wenn hier Möwen sind, bin ich nicht weit weg vom Wasser.
Ich schätze, dass ich in Panem bin, denn von der Erde existiert nur noch dieser Teil. Das ehemalige Nordamerika.
In welchem Distrikt gibt es ein Meer? Eigentlich nur Distrikt vier. Zwar liegen noch ein paar andere am Meer, aber sie liegen weiter weg. Schließlich ist nur Distrikt vier für Fisch zuständig und will nicht, dass andere Distrikte die Chance haben, auch Fische zu angeln und sie verkaufen zu können, obwohl sie eigentlich eine andere Aufgabe haben.
Distrikt vier. Ich bin ganz sicher in Distrikt vier.
Moment! Heißt das, dass ich die ganze Sache mit den Hungerspielen nur geträumt habe? Vielleicht. Aber vor der Ernte war ich nicht auf einer Wiese. Besser gesagt, auf dieser Wiese, denn das hier ist die große Wiese von Distrikt vier. Ich wundere mich, dass kaum jemand da ist. Vielleicht sind die anderen Kinder auf der Akademie oder in der Schule. Es gibt manche Tage, an denen jeweils eine Gruppenstufe frei hat, um sich auszuruhen. Das ist ein mal im Monat. Bei uns ist es immer der zweite Donnerstag im Monat. Die meisten trainierten an diesen Tagen im Trainingraum. Ich traf mich mit Annie auf der großen Wiese. Bin ich deshalb hier? Sind die Hungerspiele vielleicht gar nicht passiert und ich habe mehrere Tage oder Wochen geträumt?
Ist Vallea gar nicht tot? Ist Laze noch gut beschützt in Distrikt vier? Ist nicht noch einer der Karrieros gestorben? Musste Juve gar nicht in die Arena? Ist das alles nicht passiert? Leben diese Personen alle noch? Oder besser: Existieren sie überhaupt oder waren sie nur eine Phantasie im Traum?
Auf ein Mal höre ich meinen Namen. Ich drehe mich um. Annie rennt über die Wiese. Sie hat ein leichtes hellorangenes Kleid gegen ihren Trainingsanzug eingetauscht. Ihre Haare sind zu einem Zopf, der ihr über die Schulter fällt geflochten. Als sie näher kommt, sehe ich ihre Augen, die in einem knalligen grün strahlen.
Sie umarmt mich glücklich. Sie sieht älter aus als sonst. Jugendlicher, erwachsener. Glücklicher.
,,Annie, ich habe eine Frage", sage ich unsicher.
Sie sieht mich gespannt an.
,,Wie alt bist du?"
,,Zwanzig, das weißt du doch"
Sie küsst mich sanft und lacht.
,,War einmal ein Junge namens Claph in den Hungerspielen?"
,,Ja. Vor sieben Jahren. Er ist gegen Ende gestorben. Das waren die Hungerspiele, vor denen du beim Fischen in den Feuerfisch getreten bist. Du hast die ganzen Hungerspiele verpasst. Ehrlich gesagt war ich sogar froh darüber. Ich hatte schon Angst, dass du dich freiwillig meldest"
,,Wer war das Mädchen aus unserem Distrikt?", frage ich langsam.
,,Laze Christon", sagt sie. ,,Aber sie ist gestorben"
Laze ist tot. Irgendwie ist das ganze total surreal. Ich kenne Laze und die anderen Tribute, aber eigentlich darf ich sie gar nicht kennen. Schließlich war ich nicht in den Hungerspielen. Oder doch?
,,Wer war der Gewinner?"
,,Tilcon Waleous", antwortet Annie. ,,Aber das weißt du doch. Du hast doch die Wiederholung gesehen"
,,Ja, aber es ist so lange her", lüge ich.
Vielleicht sollte ich gar nicht hier sein.
Eigentlich sollte ich jetzt in der Arena sein. Oder hat Annie recht und ich habe sie verschlafen? Vielleicht habe ich gerade nur einen kleinen Rückfall von damals. Es muss so sein. Ansonsten gibt es keine Erklärung. Hätte ich überhaupt eine Chance in der Arena gehabt? Ich weiß es nicht. Mein Traum, wie es wäre, wenn ich in der Arena wäre, endete, als ich von Mutationen zerfetzt wurde.
Eigentlich habe ich alles, was ich will: Ich lebe, ich bin mit Annie zusammen. Alles ist perfekt. Nur kann ich mich an nichts erinnern. Aber das kommt bestimmt wieder. Da bin ich mir ganz sicher.
Aber jetzt möchte ich erst mal die Zeit mit Annie genießen. Ich lege meinen Arm um sie. Sie drückt sich fest an mich. Sie ist ein bisschen kleiner als ich. Anscheinend sind wir alter geworden. Sie ist zwanzig, dann bin ich wahrscheinlich einundzwanzig. Das heißt, wir haben gar keinen freien Tag von der Akademie, sondern wir haben Samstag. Oder vielleicht ist es ganz früh morgens. Ich denke nach, aber Annie weckt mich aus meinem Gedanken, indem sie ihre Lippen sanft auf meine drückt. Ich ziehe sie näher an mich. So wie damals beim Abschied nach der Ernte. Aber, das kann eigentlich gar nicht passiert sein, wenn das hier die Realität ist. Wir küssen uns immer weiter. Auf ein mal beginnt es zu regnen, doch uns kann niemand stören. Wir sind füreinander bestimmt, das merke ich. Immer mehr Tropfen fallen vom Himmel. Wir frieren ein wenig, aber das ist uns egal. Der Himmel verdunkelt sich und helle Blitze schießen vom Himmel. Das muss die Realität sein, alles fühlt sich so echt an.
Ein weiterer Blitz erscheint und Donnern ertönt. Lachend fallen Annie und ich nebeneinander auf die vom Regen nasse Wiese. Ich halte ihre Hand fest und will sie nie wieder los lassen. Sie küsst mich wieder. Ich schließe sie in meine Arme. Ich spüre ihren Herzschlag. Sie hat ihre Hand auf mein Herz gelegt, als wolle sie sich versichern, dass es schlägt. Wenn sie dabei ist, kann sie sich sicher sein, dass es schlägt. Ich liebe sie so sehr.
Jetzt will ich nirgendwo anders sein und will diesen einen Moment für immer dauern lassen.
Aber das ändert sich schlagartig.
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Verwirrung pur, ich weiß ;)
Nächstes Kapitel kommt, wer tot ist.
Was glaubt ihr, wieso ist Finnick plötzlich zwanzig Jahre alt und in Distrikt vier?
~Lona♥

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