Kapitel 73-Auf dem Friedhof

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@i_love_reading_so_18 gewidmet :)

Finnick P.o.V.

Annies warme Hand umklammert meine, als wir schweigend den Weg entlang laufen. Der Kies knirscht unter unseren Schuhen, ansonsten ist alles still.
Auf unserer linken Seite sind mehrere symmetrisch angeordnete Reihen von grauen Grabsteinen, die für jeden gestorbenen Friedenswächter unseres Distrikts gebaut sind.
Auf jedem steht in der gleichen ebenso symmetrisch perfekten Schrift Name, darunter Geburts- und Sterbedatum.
Die Gräber sind kaum einen Quadratmeter groß und jedes sieht gleich aus. Nirgendwo ist Platz für Blumen oder personalisierte Grabsteine.
Irgendwo hier inmitten von hunderten anderen Friedenswächtern liegt Reven Wells und auch ein paar andere, die an dem Unfall mit den Brightons beteiligt waren.
Auf der nächsten durch einen kleinen Kiesweg abgeteilt, ist eine weitere Wiese, auf der die gefallenen Tribute aus unseren Distrikt liegen. Ihre Gräber sind größer und nicht nur kleine Quadrate, unter denen Urnen liegen, wie die Gräber der Friedenswächter, sondern in der Form von Rechtecken gebaut.
Die Grabsteine sehen auch alle gleich aus. Sie sind größer und perfekt eckig. Auf allen thront eine aus Gold gefertigte Zahl der jeweiligen Hungerspiele des gestorbenen Tributs. In dem neu aufgeschaufelten Grab liegt Laze. Der Platz daneben hätte meiner sein können.

Eine Wiese weiter befinden sich die Gräber der anderen Bewohner von Distrikt vier.
Die Grabsteine sehen alle unterschiedlich aus. Sie wirken persönlicher und sehen mehr aus, wie die Gräber von echten Menschen, die etwas bedeutet haben und nicht von Menschen, die Roboter der Regierung waren. Aber auch diese sind in detaillierter Symmetrie angeordnet.
„Weißt du, wo es ist?“, fragt Annie, nachdem ich eine Weile meinen Blick durch dir Reihen habe schweifen lassen.
Ich schüttele den Kopf, also zieht sie mich zielstrebig in eine der Reihen und bleibt vor einem Grab stehen.
Ich schüttele den Kopf. Dieses Grab kann nicht ihr gehören. Und doch steht ihr Name darauf. Auf dem gleichen weißen Grabstein, mit der gleichen perfekten Schrift, wie die Grabsteine der Friedenswächter. Da ihr Grab aber größer ist, thront über dem Platz, wo sonst Erde und Blumen sind, eine weiße kahle Steinplatte. Die zwei Gräber daneben sehen exakt gleich aus. In der Steinplatte ist eine Fläche ausgeschnitten, unter der man Erde sehen kann. Sie ist leer, keine einzige Blume ist hier eingepflanzt. Das ganze Grab sieht aus, wie vergessen. Als wäre Elyss niemandem wichtig gewesen.
Meine Kehle schnürt sich zu und ich habe das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Annie drückt meine Hand.

  „Es gab nie eine Beerdigung, weißt du?“, sagt sie ruhig.
  „Marc hat mir erklärt, dass Yanne für eine Zeit nicht außerhalb ihres Hauses gesehen wurde, nachdem sie den Anfall bei dir zu Hause hatte.“ 
Sie macht eine kurze Pause.
  „Davon hat er mir auch erzählt.“
Ich nicke kurz.
  „Also hat das Kapitol sie einfach beerdigt, weil Yanne es nicht tun wollte“, erzählt sie weiter.
  „Deshalb hat sie das gleiche Grab, das auch alle anderen ohne Familie oder eben die Friedenswächter bekommen.“
Ich versuche ruhig zu atmen.
  „Das ist wirklich deren Schuld oder?“, flüstere ich.

  „Ja“, sagt Annie knapp.

Ich presse meine Lippen zusammen und nicke bitter. Aber den Gedanken, der mir übers Kapitol im Kopf schwirrt, wage ich nicht auszusprechen.
Ich werde in diesem System mein ganzes Leben verbringen, also werde ich es einfach akzeptieren.
Solange ich nichts gegen sie tue, tun sie auch nichts gegen mich.

  „Möchtest du für sie Blumen kaufen?“, fragt Annie schließlich.

Ich zögere einen Moment.
Dann schüttele ich den Kopf.
  „Lass uns nach Hause gehen“, sage ich. Ich verstehe mich selber nicht. Aber vielleicht ist heute einfach zu viel Verschiedenes passiert.
Annie sieht mich verwirrt an, folgt mir aber ohne ein weiteres Wort zu sagen.
Auf einmal muss ich an alle anderen Tribute denken. Sie alle sind auch tot und beerdigt. Ob auf ihrem Grab Blumen sind? Oder ist es für ihre Familien auch zu schwer, lange auf dem Friedhof zu bleiben?
Juve liegt ebenfalls in einem.
Ich denke an ihre Familie, die um ihr Grab herumsteht.
An ihre kleinen Schwestern, die erst in ein paar Jahren verstehen werden, was passiert ist. Erst dann, wenn sie selber zu Tode geweiht sind.

Auf dem Weg zurück sind wir beide in Gedanken vertieft und reden kein Wort miteinander.
Als wir vor meiner Haustür ankommen, lässt sie meine Hand los.
  „Ich muss nach Hause. Meine Mutter hat gesagt, ich soll nicht zu spät zurück kommen“, sagt sie leise, während sie unauffällig ängstlich an meinem neuen Haus hoch und wieder herunter schaut.

Unschlüssig sehen wir uns an, dann ziehe ich sie zu mir und küsse sie kurz.
Dann drehe ich mich um und lege meinen Fingerabdruck auf die kleine Plätze, woraufhin sich die Tür öffnet.
Ich drehe mich noch ein mal um.
Annie lächelt mich an und ich lächle zurück.
  „Danke“, sage ich bevor ich mich umdrehe, durch die Tür gehe und sie schließe.

Ich laufe direkt die Treppen herunter, zu Daloreas Zimmer.
Ich klopfe an die Tür und warte einen Moment. Der kleine Flur ist dunkel und ihr Zimmer ist am hinteren Ende. Hier unten gibt es kein Fenster und keine Lampe.
Schließlich öffnet Dalorea die Tür. Ihre Augen sind gerötet. Wahrscheinlich hat sie geweint.
Ich umarme sie spontan und drücke sie lange.
Erst ist sie unschlüssig, was sie tun soll, dann legt sie ihre Arme ebenfalls um mich und beginnt zu schluchzen.
Ihr Körper bebt und Tränen sickern in mein Shirt.
Irgendwann nehme ich sie an der Hand und ziehe die Treppen hoch. Sie stolpert mir hinterher, während ihr Körper immer noch von Schluchzern geschüttelt wird.
Angekommen in meinem Zimmer drücke ich sie in meinen Schreibtischstuhl und schiebe einen Block und einen Stift zu ihr.
Zögernd nimmt sie den Stift.
Sie hört auf zu schluchzen, aber eine letzte Träne rollt über ihre Wange und tropft aufs Papier.
Ich brauche ihr keine Frage zu stellen, denn sie beginnt von sich aus zu schreiben.

Du wolltest, dass ich dir Geschichte von meiner Familie erzähle.

Sie sieht mich kurz an und ich nicke.

Ich bin die einzige Überlebende aus meiner Familie. Präsident Snow hat alle anderen umgebracht und dein Vater hat dabei geholfen.

Sie schreibt weiter, aber ich schüttele den Kopf.
Alles dreht sich und ich taumele zurück, stoße gegen eine Büßte und sie fällt auf den Boden. Dort zerbricht sie in tausend Stücke. Dalorea senkt den Kopf.

„Das kann nicht sein“, flüstere ich. Mir wird übel.
„Ich muss frische Luft holen“, stottere ich und renne die Treppe hinunter, stoße dir Tür auf und renne Richtung Ende des Dorfes der Sieger. Ich renne aus dem Tor hinaus und stolpere.
Ich falle auf den von der untergehenden Sonne aufgewärmten Boden. Obwohl stechender Schmerz durch mein Knie zuckt, stehe ich auf und renne weiter. Ich spüre, wie Blut an meinem Bein herunter rinnt.
Das kann nicht sein. Mein Vater würde niemals unschuldige Menschen umbringen. Vor allem keine ganze Familie. Außerdem würde das Kapitol niemals eine unschuldige Familie umbringen.
Vielleicht haben Yanne oder ihre Eltern etwas getan. Dann ist es trotzdem falsch sie zu töten, aber vielleicht war es etwas Schlimmes gewesen.
Nein, nein, nein.
Nichts, was mir erzählt wird, passt zusammen.
Tränen schießen mir in die Augen und ich taumele weiter.
Als ich stehen bleibe, erkenne ich, dass ich wieder auf dem Friedhof bin. Es dämmert, aber ich sehe trotzdem, dass ich vor Elyss' Grab stehe.
Aber die kleine Erdfläche ist nicht mehr frei. Ein paar kleine Blumen ragen aus der Erde.
Ich lächele.
„Danke, Annie“, wispere ich.

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Ich weiß, ich habe seit Ewigkeiten nicht mehr weiter geschrieben, aber hier ist das Kapitel :) ich hoffe, es gefällt euch ❤
Viele Grüße
Eure Lona

Die Tribute von Panem-Dunkele LügenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt