Die Tribute von Panem-Dunkele Lügen

Kapitel 72-Lügen und Wahrheiten

@Muffin1807 gewidmet ;)

Finnick P.o.V.

Die Blicke der anderen bohren sich in meinen Rücken, aber ich ignoriere es vollkommen.
Jetzt gibt es nur Annie und mich.
Ihre Haare riechen nach Salzwasser und ich erinnere mich an meinen Traum, den die Simularien in der Arena ausgelöst haben.
Annie am Strand mit wallenden Haaren und dem hellorangenen Kleid. Annie, die zwanzig Jahre alt ist.
Wir haben wieder die Chance, dass alles so wird wie im Traum. Dass wir zusammen alt werden, sorgenfrei.

Nach einer gefühlten Ewigkeit räuspert sich jemand hinter mir und ich löse mich langsam.
Hinter mir steht Marc Tieson.
Mein eigentlich bester Freund.
Seit den Hungerspielen hat er mich noch kein einziges Mal besucht.

„Marc", sage ich in angestrengt neutralem Tonfall.

„Wir müssen reden", antwortet er ruhig und blickt mich undurchdringlich an.

Marc dreht sich um und geht geradeaus in eine Ecke, in der ein Ständer mit Messern steht.

Zögerlich folge ich ihm und lächle Annie noch ein mal kurz an, die mir unsicher hinterher blickt.
Ihr Blick ist härter als vor den Spielen. Irgendetwas liegt in ihrem Blick, dass sie anders wirken lässt.
Übersieht älter aus, erfahrener.
Als hätte sie eine Menge prägender Dinge erlebt.
Vielleicht ist es bei mir auch so. Vielleicht sehen mich andere Leute auch so, seit ich von den Spielen heimgekehrt bin.

„Finnick, kommst du?“

Ich löse meinen Blick von Annie.
Als ich mich umdrehe, steht Marc direkt vor mir und ich knalle fast gegen ihn.

Sein Gesichtsausdruck ist hektisch und er blickt sich noch ein paar Mal unsicher um, bevor er anfängt zu sprechen.

„Yanne Brighton.“

Er wartet kurz und blickt sich noch ein mal um.

„Erinnerst du dich noch an sie?“, fragt er und sieht mich ernst an.

Yanne Brigton war die große Schwester meiner besten Freundin Elyss.
Yannes Familie verstarb wenig nachdem Yanne die Hungerspiele gewann bei einem Unfall und Yanne starb ein Jahr später.

Ich nicke unsicher.
„Was ist mit ihr?“
„Als sie dich nach dem Unfall ihrer Familie besucht hat, was hat sie gesagt?“

Ich versuche mich zu erinnern.
Es ist schon fast fünf Jahre her.

Eines Tages klingelte es mitten am Nachmittag hektisch an der Tür.
Yanne stand davor. Die langen blonden Locken vom Regen klatschnass und zerzaust. Ihr Gesicht rot und die braunen Augen glühend wie heiße Kohlen.
Kaum öffnete ich die Tür stürmte sie hinein und rannte in unser Wohnzimmer, wo sie sich aufs Sofa kauerte und weinte.
Verwirrt schloss ich die Tür und folgte ihr still ins Wohnzimmer.
Meine Eltern waren für zwei Tage ins Kapitol zu einem von Präsident Snows Festen gefahren, wie eine Menge anderer angesehener Leute aus Distrikt vier.

„Sie sind tot, Finnick“, wimmerte sie.
Ich setze mich immer noch still neben sie.

„Wer ist tot?“, fragte ich. Ich roch Alkohol aus Yannes Mund. Vielleicht war sie nur zu betrunken und redete wirre Sachen.
Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter. Als sie mir in die Augen sah, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Die ganze Überlegenheit und der Hauch von Arroganz, die sie so attraktiv machten, waren verschwunden.
Pure Angst war ihr ins Gesicht  geschrieben.

„Sie sind tot. Wegen mir.“
Beruhigend strich ich ihr über die Schulter.
„Möchtest du, dass ich dir einen Tee mache?“, fragte ich. Mein zehn-jähriges Ich verstand nicht, dass es sich um etwas ernstes handelte.