Erinnerungen

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„Fabi, es-" „Nein, dir braucht nichts leid zu tun, okay?", unterbricht mich Fabi sofort, als er sich auf meine Bettkante setzt und ich auf meinem Lesesessel daneben Platz nehme, „Ich wäre echt gerne wütend aber ich sehe da keine Berechtigung. Egal wie ich es drehe, ich kann's nachvollziehen. Ich hatte nur selbst keine Zeit, das alles zu verdauen. Das mit uns ist damals kurz vor dem Unfall passiert. Wir haben vor Australien nicht mehr geredet und uns erst wieder am Tag nach dem Unfall gesehen. Seitdem versuchen wir doch beide nur zu überleben." 

Das war für mich enorm wichtig zu hören. Bei allem was los war in den letzten Monaten hatte ich vergessen, dass zumindest das ganze Land zugesehen hat und viele andere betroffen waren. Fabi und Leo waren so gut befreundet.. Ich habe mich schon auch bei ihm erkundigt wie es ihm geht. Aber in diesem Moment wird mir klar wie schwer das für ihn gewesen sein muss. 

Er konnte mit Mike nicht über mich reden. Die überstürzte Abreise nach Australien war nicht einfach. Er hätte sich gewünscht, dass mein Bruder mitkommt. Kaum war er weg, konnte er sich nicht einmal richtig einleben und ist für mich zurückgeflogen. Er hatte keinen freien Moment, um selbst mal zu trauern. „Es tut mir-" 

„Lu, nein. Wenn Alex derjenige ist, den du willst, dann akzeptiere ich das." „Es geht nicht um Alex, Fabi. Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich dich im Stich gelassen hab. Er war auch dein Bruder", betone ich und sehe Fabi entschuldigend an. Der widerum steht auf und umarmt mich fest. „Alles okay, Lu. Wir halten zusammen, wie immer." 

„Ja, wie immer. Wir sind die einzigen, die daran denken was er wirklich gewollt hätte." „Ich bin einfach froh, dass wir noch bei einander sind. Es hätte so viel passieren können, es ist so viel passiert. Trotzdem sind wir für einander da." „Wein?", frage ich Fabi mit einem Lachen und einer Träne auf meiner Wange zugleich. Das haben wir früher oft gemacht. Wir haben uns ein Glas genommen und es uns bequem gemacht und einfach über alles geredet. Es hat sich so leicht angefühlt damals. „Gern", nickt Fabi lächelnd und scheint wie ich in alten Erinnerungen zu schwelgen. 

„Weißt du noch mein erster Track, den ich in meinem Kinderzimmer versucht habe aufzunehmen?", lacht Fabi nun leicht und ich erinnere mich an seine kläglichen Versuche, sein Zimmer mit Eierkartons auszustatten, „Dein Bruder hat mir damals einen Tag im Musikstudio geschenkt. Ich fand es viel zu teuer, natürlich, wir kommen nun mal aus unterschiedlichen Familien, aber er hat mir keine Chance gelassen. Wenn er was wollte war er so verdammt stur." 

„Oh ja, ich wollte auch einmal unseren Geburtstag zu einer Prinzessinnenparty veranstalten und er hat es geschafft, dass das Außengebäude alles nach einer Fußballparty aussah und im Gebäude selbst nur meine Wünsche bedacht wurden. Er hat andere immer auf eine liebevolle Art und Weise vor sich gestellt", erzähle ich von unserem siebten Geburtstag, „Apropos, wie läuft's mit deiner Musik eigentlich?" 

„Gut, denke ich. Es sind wieder ein paar neue Lieder fertig geworden und ich bin endlich bereit mich damit so sehr zu befassen, dass ich diese Lieder auch teile. Die letzten Monate haben mich aus der Bahn geworfen", gibt Fabi zu und ich nicke. Er hatte sein Studium hinter sich gebracht, wollte nach Australien und danach als kleiner Musiker aus München Großes erreichen. 

Seit er aus Australien zurück ist hat er hauptsächlich gearbeitet, weil die Musik ihm noch nicht genug Geld einbringt. „Hey, weißt du auch noch, als du mal aus dem Internat geflohen bist, damit wir abends ins Schwimmbad gehen konnten? Deine Eltern sind durchgedreht", lacht Fabi und ich stimme mit ein. 

„So wütend habe ich sie noch nie erlebt. Zum Glück haben sie genug Geld und konnten ihr Problem so lösen. Deshalb hatte ich im Abschlussjahr Privatunterricht. Nur wegen dir", scherze ich, „Und du hast dir noch nicht einmal eine Standpauke anhören müssen! Meine Eltern mögen dich nach wie vor." „Du bist ja auch ein schlechter Einfluss", zieht mich Fabi auf und ich genieße noch die lustigen und leichten Momente zwischen uns.


Fabi's Sicht:

Lu wieder so nah zu sein und sie so richtig fest zu umarmen war lange überfällig. Ich erlaube mir nicht zu viele Gefühle, nicht ihr gegenüber, aber dieser Abend war sehr emotional für mich. Mittlerweile sind wir in dem Haus meiner Eltern angekommen und unterhalten uns noch vor Alex' Tür, weil wir darauf warten, dass er ihr öffnet. 

Sie hatte keine Lust mehr auf die anderen, wollte aber auch nicht alleine sein, also sind wir zusammen zu mir gefahren. Ich vermute mal, dass Alex nicht genug Interesse hatte, mitzukommen. Das kann ich ihm nicht verübeln, zumal es nicht einmal seine Freunde sind. „Lass mich raten, dein Bruder?", fragt Alex sie sofort noch bevor er sie begrüßt. 

Er versucht neutral zu klingen, aber ich merke, dass es ihm mehr bedeutet als gedacht. Ich hatte mich getäuscht. Alex scheint es sehr ernst mit ihr zu meinen. Und ich Idiot wollte ihnen im Weg stehen. Lu hatte allen Grund mehr Zeit mit ihm zu verbringen als mit mir. Ich hätte wissen müssen, dass es mal so weit kommt und ich nicht mehr der einzige bin, dem sie so vertraut. Es war leichter, als sie noch mit Mike zusammen war. 

Lu nickt und lässt sich sofort in Alex' Arme fallen. „Danke, dass du sie mitgenommen hast", meint Alex nickend zu mir. Ich würde ihn ja gerne daran erinnern, dass sie eigentlich meine Freundin ist und ich mich eben um meine Freunde kümmere, aber davon hätte keiner einen Vorteil. Also erwidere ich seinen Blick erstmal. 

„Klar, jederzeit", füge ich noch an, um freundlich zu sein. Lu in den Armen meines Bruders. Wenn es eins gibt, das ich nicht erwartet hätte wäre es das. Kurz darauf lege ich mich in mein Bett und denke an die Vergangenheit. 

„Komm mit, Leo. Deine Eltern werden dir noch jahrelang den Weg vorgeben. Du hast jetzt die Chance auf temporäre Freiheit." Ich hatte versucht, Leo zu überreden, unseren Traum von Australien zu verwirklichen. „Du weiß wie gern ich mitkommen würde." „Aber?" 

„Lu ist hier. Ich weiß sie ist stark, aber ich will sie nicht alleine zurücklassen. Nicht solange Mike sie so unter Kontrolle hat und Maxi nichts dagegen tut. Sie müsste mit dem Druck alleine umgehen." 

Ich seufzte. Ich wollte genauso wenig, dass sie alleine zurückbleibt. Ich musste aber endlich etwas für mich machen, damit ich mir nicht jeden Tag neue Hoffnungen mache. Bei jedem Streit mit Mike hatte ich die Hoffnung, dass sie es endlich einsehen würde. Sie ist nicht für diese Welt mit ihm geschaffen. 

„Vielleicht muss sie das mal verstehen. Außerdem war es immer dein Traum. Lass ihn dir nicht von irgendwem nehmen", versuchte ich ihn weiter zu überreden. „Mach ich nicht, keine Sorge. Ich will nur erst Lu glücklich wissen bevor ich monatelang abhauen kann. Wenn ich auch nur einen kleinen Fehler mache lastet doppelter Druck auf ihr." „Aber pass bitte gut auf sie auf, okay? Wenn ihr was passiert-" „Ich weiß was du für sie empfindest, Fabi. Ich werde nicht zulassen, dass was passiert." 

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