Bilder vor Augen

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„Darf ich?", höre ich Fabi sanft fragen, nachdem die Türklinke zu meinem Zimmer nach unten gedrückt wurde und jemand eingetreten ist. „Du immer", nicke ich auch wenn er das im dunklen Raum nicht sehen kann. Ich höre wie Fabi seinen Anzug auszieht und spüre dann wie er sich in Boxershorts zu mir legt. „Das ist dämlich. Ich sollte runter zu Maxi", murmele ich genervt, „Er braucht mich jetzt mehr." „Lass mal, er kommt zurecht. Ich hab wegen Hannah schon mit ihm gesprochen. Natürlich macht es ihn fertig, aber er kommt klar." 

„Wie konnten wir das nicht merken? Im Nachhinein macht alles Sinn.." „So offentlich war es nicht", will mich Fabi besänftigen und legt seinen Arm so um mich, dass ich meinen Kopf an seine Brust legen kann, „Konntest du es Alex erklären?" „Nein, es ist aus. Ich kann es ihm nicht einmal verübeln", seufze ich langgezogen. 

Es fühlt sich an als hätte ich auf einen Schlag mein ganzes Leben verloren. Zumindest den Teil, den ich gerade erst gefunden und lieben gelernt habe. Die Person, die ich bei Alex war. Die Luisa, die nicht mehr jeden Tag zum Friedhof rennt, ehrlich lacht, seine Nähe genießt. Die Luisa, die es versaut hat. Ich hätte es ihm damals sagen sollen. Wie naiv konnte ich nur sein? Ich bin mit ihm zusammen gezogen, ohne einmal durchdacht zu haben was danach passieren würde. 

Zum Glück versteht sich meine Familie besser, sodass ich hier ohne Bauchschmerzen wieder einziehen könnte. Viel schlimmer aber ist es ohne Alex hier wohnen zu müssen. Ich habe es genossen, mit jemandem zusammen zu wohnen, der mir ein Gefühl von Heimat gibt und bei dem ich mich geborgen fühle. 

„Der kriegt sich wieder ein. Lass ihn mal einen Tag wütend sein und morgen sieht die Welt anders aus." „Denke nicht. Er hat mir schon geschrieben, dass ich morgen meine Sachen holen soll." „Bisschen kurzfristig, nicht?", murmelt Fabi in den dunklen Raum hinein, doch wir sind uns so nahe, dass ich seinen Atem an meiner Stirn spüren kann. Wenn ich meinen Kopf nach oben wenden würde.. Nein. Ich muss das mit Alex erst einmal abschließen, bevor ich an so etwas denke. Das ist nur der Frust, der aus mir spricht. 

Andererseits.. wir standen schon so oft kurz davor, uns nahe zu kommen. Vielleicht sollte das mit Alex so passieren. Vielleicht hat mein Unterbewusstsein absichtlich bewirkt, dass ich ihm nichts von Fabi erzähle. Nein, Blödsinn, ich habe mich bewusst dagegen entschieden. Weil ich Angst hatte, Alex zu verlieren. So ist das nämlich. „Wird schon", zucke ich bemüht gleichgültig bevor wir endlich etwas zur Ruhe kommen.


„Was machst du denn hier?", fragt mich Alex überrascht, als ich vor seiner Tür stehe. Das war mal für eine Weile unsere gemeinsame Wohnung. Fühlt sich an als würde ich einen Teil von mir verlieren, diese lebendigen Teil von mir.. Er sieht mich zwar genauso überrascht an wie er klingt, doch irgendetwas an ihm wirkt auch erfreut. Vielleicht könnten wir über gestern noch einmal reden? 

„Du hattest mich doch gestern gebeten, meine Sachen heute zu holen", erinnere ich ihn und wage dann den ersten Schritt zu einer Versöhnung, „Wir können auch gerne reden." Alex sieht mich unschlüssig an. Heißt das, er muss sich gerade davon überzeugen? Das würde ja auch bedeuten, dass er nicht ganz abgeneigt ist.. Wenn wir reden und ich ihm die Situation erkläre dann könnten wir wieder zusammenkommen und- 

„Du hattest Recht. Deine Crêpes sind mit den Jahren nur besser geworden", höre ich Jana's Stimme und reiße die Augen aus Schock weit auf. Das kann er nicht ernst meinen. Es ist acht Uhr morgens. Als ob sie heute Morgen erst zum Frühstücken gekommen ist. Ich verstehe seine Wut ja, aber sich gleich die Ex-Affäre wieder an Land zu angeln halte ich nicht für die feine Art. 

Und ich dachte noch, wir könnten uns versöhnen. Sehr naiv mal wieder. Ich werfe Alex einen Blick zu, der ihm zu verstehen gibt, was ich von der Situation halte. „Lu, ich war-" „Ach, alles gut. Mein Terminkalendar ist sowieso voll. Ich schicke einfach wen", zucke ich nur bemüht gleichgültig und drehe mich sofort um. So schnell ist es vorbei.


„Wenn wir demnächst Großmutter besuchen sollten wir das Fotoalbum mitnehmen, das Leo ihr mal zusammengestellt hatte. Das wollte sie bisher jedes Mal sehen, wenn wir dort waren", schlage ich vor, als Maxi und ich später mit Fabi in der Küche sitzen und einen ruhigen Nachmittag mal genießen. Gut, semi ruhig. Ich bin immer noch wütend auf Alex, dass er so geschmacklos reagiert.

„Oh ne, da müssen Leo's ganzes Zimmer durchsuchen", jammert Maxi, „Hast du dich nicht selbst die letzten Monate geweigert, seinen Kram auszuräumen?" „Da ging es um's Ausräumen und nicht darum, ein Fotoalbum zu finden. Außerdem hätte ich fast zwei Brüder verloren also halte ich ganz sicher nicht an blöden Zetteln fest, die er da oben liegen hatte." 

„Eine ganz neue Luisa. Klingt fast so als hattest du die Überdosis", fügt Fabi schulterzuckend an was mich kurz stutzen lässt. Bin ich jetzt verletzt oder nicht? Eigentlich nicht. Ich muss damit klarkommen, dass Geschehenes angesprochen wird. „Die hatte ich wohl heute Morgen nötig", brumme ich schließlich, „Wie ich heute Morgen festgestellt habe, hatte Alex gestern Nacht noch Besuch." 

„Wie Besuch?", haken die Jungs entgeistert nach. „Jana", brumme ich nur, „Naja, egal. Ich habe Andreas gebeten, meine Sachen zu holen." „Ist sie heiß?", fragt Maxi an Fabi gewandt was mich dazu bringt, dass ich meine Augen verdrehe. „Würdest du wahrscheinlich bejahen. Dein Frauengeschmack ist auch schrecklich", beschwere ich mich weiter. „Schon okay, Lu. Kann nicht jeder so gut wie ich sein", grinst mir Fabi aufheiternd entgegen. 

Bevor wir uns zu sehr in das Thema vertiefen möchte ich lieber wieder über das Fotoalbum sprechen. Auch wenn Fabi und Maxi mehr Interesse an meinem Privatleben haben, schaffe ich es, sie vom Thema abzubringen. „Okay, zurück zum Thema. Also wir suchen das hellblaue Fotoalbum, das Maxi damals gebastelt hat, richtig? Dann los", meine ich motiviert, sodass sie mir mürrisch folgen. 

Ich habe kein Problem mehr damit, Leo's Zimmer zu durchforschen. Ich hatte heute nur nicht vor meine Freizeit so zu verbringen. Andererseits ist das besser, als Alex' Wohnung auf den Kopf zu stellen oder meine Gefühle zu thematisieren. Leo hatte einen bestimmten Teil seines Regals mit Briefen und Bildern der Familie gefüllt, sodass wir das gefragte Fotoalbum schnell finden. Doch kein Gesuche. Hm, was mache ich dann heute mit meiner Freizeit? Wie verdränge ich meine Gedanken? 

„Schaut mal her", meint Fabi nachdenklich, als er einen Brief aus dem Fach kramt, „Leo hat doch nie eine Freundin erwähnt, oder?" „Nicht dass ich wüsste, wieso?" „Hier ist ein Brief von einer Selina Christiansen. Seit wann schreibt Leo Briefe..", murmelt Fabi vor sich her, als er plötzlich verstummt und ein Bild rauszieht. Nicht irgendein Bild. „Fuck", stößt Maxi verblüfft aus. Du sagst es, Bruder. Das ist ein Ultraschallbild. 

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