Testament

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Der Umzug hat mich meine eigentliche Sorge rund um meine Eltern vergessen lassen. Immerhin eine Woche lang haben sie meine Gedanken nicht missbraucht. Was mache ich nur? Entscheiden werde ich mich ja wohl nicht. Ich will mich nicht entscheiden und schon gar nicht, weil sie es sagen. Ich habe ihnen zu lange Macht über mich gegeben. Maxi hat nichts erwähnt. 

Ich vermute also, dass es nur ein gut gemeinter Ratschlag war. Es wäre wohl am besten, wenn ich sie morgen besuche und mit ihnen über alles rede. Das ist doch ein diplomatisches Vorgehen. Wenn Maxi die Schweiz sein kann, kann ich auch Amerika spielen. 

„Wir wohnen seit einer Woche zusammen. Solltest du nicht genauso strahlen wie die Sonne?", schmunzelt Alex und drückt meine Hand fester. Das Wetter ist wirklich toll. Deshalb sind wir auch auf dem Rückweg von einem langen Spaziergang. „Kitschig", lache ich leicht, „Ist das deine neue Angewohnheit?" 

„Ich freue mich einfach über die letzten Ereignisse", gesteht mir Alex, „Ich bin froh, dass wir es bis hierher geschafft haben. Für so viel hat es bei mir bisher noch nie gereicht." „Woran ist es gescheitert?", frage ich interessiert.

 „Ich hatte nie so starke Gefühle für eine Frau, dass ich meine ganze Freizeit mit ihr verbringen könnte. Man geht ja auch Verpflichtungen ein. Dazu war ich früher nie bereit. Mit dir.. bin ich bereit." Jetzt strahle ich doch. „Wir sind gutes Team", stelle ich wieder einmal fest, ändere meine Blickrichtung aber, als ich den Rolls Royce in Alex' Einfahrt sehe, „Mutter, Vater."

Kaum kommen wir vom Spazierengehen zurück sehe ich die beiden hier stehen. Das war's dann wohl mit einem Gespräch morgen. „Wir möchten mit dir reden. Alleine", stellt mein Vater klar. „Okay", murmele ich trotz meiner Vorahnung irritiert und sehe zu Alex, „Ist es okay, wenn wir-"

„Ja, klar. Gib mir einfach Bescheid", nickt er verständnisvoll und winkt ab, „Wir sehen uns gleich innen." Alex küsst meine Wange und geht schonmal voraus in die Wohnung.

„Wir haben dich aus unserem Testament gestrichen", kommt Vater sofort zur Sache, „Nachdem du dich so lange nicht gemeldet hast und wir von Mike erfahren mussten, dass du hierher ziehst, war die Entscheidung klar." 

„Vater, nein, so ist das nicht. Ich war mir nicht sicher, was ihr damit meintet und wollte morgen mit euch reden", versuche ich mich zu erklären und ignoriere erst einmal ihre erste Aussage, „Ich bin eure Tochter, auch wenn ich mit jemandem zusammen bin, bei dem ihr es nicht gutheißt. Ich bin erwachsen und mit dem Menschen zusammen, den ich liebe." 

„Bitte Luisa", verdreht meine Mutter ihre Augen genervt, „Du weißt doch gar nicht was wahre Liebe ist. Du hast die Beziehung zu Mike nach Jahren aufgegeben und denkst du liebst einen Mann, den du seit ein paar Monaten kennst? Er versteht diese Familie und alles, das dahinter steht, doch gar nicht." 

„Was dachtest du dir nur, als du mit ihm in die Schweiz gefahren bist? Du hast doch gar nicht an unsere Familie gedacht", fügt Vater an. „Ich lasse nicht zu, dass ihr mich darstellt als hätte ich etwas verbrochen. Wir haben uns an alles gehalten. Das was die Presse daraus macht kann ich nicht beeinflussen. Was tut ihr denn? Fliegt mit Maxi um die halbe Welt", entgegne ich ihnen entsetzt. 

Ich habe ihnen gerade wirklich meine Meinung gesagt. Gut, einen Bruchteil meiner Meinung, aber ich mache Fortschritte. Es fühlt sich immer noch so an als sei ich respektlos. Jahrelang gaben sie mir das Gefühl ich sei respektlos, wenn ich nicht so mit ihnen geredet habe wie es sich in dieser Familie gehört. Als Kind habe ich einmal statt ‚Mutter' ‚Mama' gesagt und wurde in einen Benimmkurs gesteckt.

„Das sind Geschäftsreisen, Luisa. Dein Bruder gibt sich immerhin größte Mühe, das Geschäft angemessen zu übernehmen. Im Gegensatz zu dir, die es mit Füßen tritt. All das was wir jahrzehntelang aufgebaut haben, was deine Großeltern aufgebaut haben."

„Ihr habt die Firmen eurer Eltern übernommen. Was habt ihr da bitte aufgebaut?", erwidere ich trocken und bin stolz, wieder etwas gemacht zu haben, was ihnen nicht passt, doch da spüre ich einen Schmerz auf meiner Wange. Hat sie gerade-? Meine Mutter hatte mich gerade geohrfeigt. 

Das kann doch nicht wahr sein. Sie wollen mich enterben, beleidigen Alex, manipulieren mich seit Jahren und jetzt wird sie handgreiflich? Wenn ich mich bis jetzt nicht entschieden hätte wüsste ich wohl wen ich bevorzuge. „Ihr seid also gekommen, um mich zu degradieren? Fein, ich würde sagen das reicht. Wir sind fertig miteinander", meine ich dann unüberlegt und knallhart. 

Ich habe mir immer geschworen, dass ich eine Grenze ziehe, wenn der kleinste Funken an Gewalt verübt wird. Egal ob meinen Brüdern oder mir gegenüber. Bisher konnte ich alles rechtfertigen. Ich habe jeden Tag versucht, sie zu verstehen, und mir selbst gegenüber zu verteidigen. Es mag vielleicht hart gewesen sein, zu behaupten, dass sie nur die Firmen übernommen haben. Sie haben sich auch viel aufgebaut, das stimmt. Aber nichts rechtfertigt die Tat meiner Mutter.

„Wir sind gekommen, um alles einzufordern, was du von uns bekommen hast. Das Auto, deine Taschen, die mehreren Millionen zum Studieneinstieg. Alles, Luisa", geht mein Vater auf seine eigentliche Forderung ein. Gut, dass ist wohl der größere Schlag ins Gesicht. Wo soll ich denn das ganze Geld aufbringen? Das Auto ist nicht mehr das gleiche wert wie früher. Bis ich die Taschen verkauft und mein Geld aus den Investitionen zurückgeholt habe vergehen Wochen.

„Das könnt ihr nicht. Was soll ich denn machen? Ich habe keine Bahnkarte und wie soll ich jetzt die Millionen so plötzlich überweisen?", hauche ich entsetzt. „Per Online-Banking natürlich." Jetzt könnte ich meine Mutter ohrfeigen. Zum Glück denke ich nur daran und fahre nicht meiner Haut wie sie es getan hat. 

„Dann fordere ich meinen Pflichtteil ein. Anders kann ich euch nichts zurückzahlen." „Unsere Anwälte finden schon Möglichkeiten, deine Frechheiten zu umgehen. Du hast dein Studium mit Bravur bestanden, aber dir fehlt die Erfahrung. Du hast eine Woche Zeit. Das sollte reichen. Sonst hast du doch auch so kreative Ideen." 

Ich schlucke hart. Sie haben mir im Prinzip erklärt, dass ich nicht mehr ihre Tochter bin. Ob ich ihnen je gut genug war? Hätten sie das ohnehin geplant? Sobald Maxi alles übernimmt, mich aus der Familie verbannen, weil ich nicht gut genug für sie bin? Allein der kalte Blick mit dem sie mich ansehen. 

Hätten sie es auch gemacht, wenn der Unfall nicht passiert wäre? Hätten sie uns beide verbannt? Was, wenn ich noch mit Mike zusammen bin? Die Antworten auf diese Fragen interssieren mich brennend. Ob ich sie kenne oder nicht, ändert nur leider an der Situation nichts. Also nicke ich nur noch und sehe sie nicht weiter an bevor ich ins Haus gehe. 

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