kostbare Momente

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Die Begrüßung war komisch. Irgendwie war Selina viel netter, aber trotzdem zurückhaltend weshalb auch ich mich zurückgehalten habe. Sie hat uns auch ihren Sohn nicht sofort vorgestellt was ich aber auch gut verstehen kann. Zwei Fremde, die so spontan viel mehr als das sind, ist vielleicht für ein Kind überfordernd. Ich will das Beste für das Kind und wenn das heißt, dass ich warten muss, gerne.

Selina hat mir auch einen überraschten Blick zugeworfen, als sie Alex gesehen hat. Überrascht, nicht genervt. Als hätte sie sich durch das Gespräch mit Fabi mit uns allen abgefunden. So schnell? Komisch. „Hör zu, ich war nicht freundlich zu euch, weil ich meinen Sohn schützen möchte und ihr seid nun einmal.. bekannt", beschreibt sie es dezent was ich mal so dahinstehen lasse.

„Ich verstehe auch, dass Maxi's und meine Anwesenheit nicht gerade erfreulich für dich ist. Ich weiß nicht was unsere Eltern dir gesagt haben, aber Maxi und ich haben nur gute Absichten. Ich werde dir nicht vorschreiben wo du zu leben hast und wie du dein Kind zu erziehen hast nur weil es Leo's Kind ist. Genau das wollten wir immer vermeiden und ich bin stolz darauf, dass Leo das auch so geschafft hat. Es ist schwer, auf diese Art und Weise Vertraute zu finden, die unsere Wünsche berücksichtigen." Gut, erster Schritt geschafft. Wir haben Verständnis für einander aufgebaut. Soweit so gut.

„Deine Eltern haben damals nicht viel gesagt. Sie haben es mitbekommen und wollten noch mit Leo sprechen, wenn er von eurer Reise zurückkommt. Sie waren jedenfalls nicht begeistert und ich wusste, dass man versuchen würde, uns das Kind wegzunehmen. Nachdem er aber verstorben ist habe ich nichts mehr von deinen Eltern gehört. Es war als würden sie die Angelegenheit totschweigen."

Sie sieht ernsthaft betroffen aus. Ich bin es gewohnt, Menschen zu analysieren und stelle meistens fest, dass sie schauspielern, um sich mein Mitleid und dadurch Geld oder andere Vorteile zu erhaschen. „Das haben sie auch", nicke ich und spüre wie mich Alex unterstützend unter dem Tisch anstubst. Komisch, ihn plötzlich wieder so nah bei mir zu haben. „Sie haben mir ihn jedenfalls nicht weggenommen und das war mir das Wichtigste."

„Hast du dich deshalb nie gemeldet, nie nach Geld gefragt? Egal ob das deine Absicht ist oder nicht, aber du kannst nicht ein Kind groß ziehen und gleichzeitig dein Leben aufgeben, vor allem nicht, wenn man dich hätte unterstützen können", ärgere ich mich schnell über die Situation. „Meine Mutter hat ich viel unterstützt in den letzten Jahren, aber es war nicht leicht. Wichtig war mir nur, dass es Leandro gut geht." Leandro. Seinen Namen zu hören lässt mich lächeln. Sie hat ihn nach Leo benannt.

„Ein schöner Name", lächle ich ihr ermutigend zu. „Leo hat viel von dir gesprochen, von euch allen. Ich habe euch bzw. eure Presseartikel in der Zeitung verfolgt", gesteht sie mir. Ja, sie hasst uns doch nicht.

„Pass auf.. Ich weiß was du von uns denken musst und es ist vermutlich berechtigt. Wenn du willst, dass ich gehe, bin ich weg. Wenn du uns allen, Leandro und uns, die Chance ermöglichen möchtest, uns kennenzulernen, wäre ich dir sehr dankbar. Auch unsere Eltern haben sich seit Maxi's Unfall und dem Herzinfarkt meines Vaters gebessert. Sie sind nicht perfekt, aber besser. Jedenfalls gehen wir beide bitte jeden Schritt nur so weit wie und es für richtig hälst." Alex grinst mich stolz an. Ja, ich kann tatsächlich auch sachlich bleiben. Alles andere ist nicht zielführend.

„Kommt, ich stell ihn euch vor." Alex und ich stehen sofort auf und folgen ihr den kleinen Flur entlang. Alex muss mein Herzpochen spüren, denn er legt mir beruhigend seine Hand auf den Rücken. Da steht er plötzlich vor uns. Mein Neffe.

„Wir haben Besuch", erklärt Selina ihm langsam, als er sich noch schüchtern hinter ihrem Bein versteckt. „Hallo Leandro", begrüße ich ihn sanft und gehe in die Hocke, damit er mich auch besser sehen kann, „Wir sind Freunde von deinem Papa. Ich bin Luisa und das ist mein Freund Alex. Hast du viele Freunde?"

Er schüttelt schüchtern den Kopf. Er ist ihm so verdammt ähnlich. Leo hat sich früher auch immer hinter Mutter's Beinen versteckt, als Besuch kam, wurde dann aber gezwungen, brav und höflich zu sein. Ich werde nicht die gleichen Fehler machen. „Ein schönes Zimmer hast du", meint Alex ruhig und zeigt auf einen Ball, „Magst du Fußball?" Da geht Leo einen Schritt zur Seite, sodass wir ihn besser sehen können. Er nickt schüchtern. „Willst du nicht von deiner Lieblingsmannschaft erzählen?", hilft Selina uns woraufhin er begeistert nickt.

Ich kann es selbst kaum glauben, als ich eine halbe Stunde später auf die Uhr sehe und feststelle, dass wir so lange über seine Lieblingsmannschaft geredet haben. Wenig überraschend ist wohl, dass unsere Familie auch hier gute Kontakte hat aber das würde ich dann Selina sagen. Ich möchte das Kind nicht begeistern, wenn sie vielleicht dagegen ist.

„Es ist wird langsam spät", meint sie schließlich mit Blick zur Uhr, „Ich koche noch und bringe ihn bald ins Bett." „Ja klar, wir wollen euch nicht aufhalten", nicke ich und verabschiede mich herzlich von Leandro, der sich uns mittlerweile geöffnet hat und uns zum Abschied umarmt.. eine Kinderumarmung eben, die widerum viel liebevoller ist als die meisten Umarmungen eines Erwachsenen.

„Danke, dass du mir eine Chance gegeben hast", stelle ich klar, als wir nur noch zu dritt sind. „Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt." Ich schmunzle mit ihr. „Ich mir tatsächlich auch", stimme ich belustigt zu, „Weißt du.. Als Leo in dem Auto saß und der Unfall passiert ist.. das Ganze hat mich Jahre gekostet, um damit klar zu kommen, vor allem weil ich alles genau gesehen habe. Ich hätte selbst nicht gedacht, dass ich hier nicht Leandro sehe, sondern viel zu viel Leo in ihm. Umso dankbarer bin ich dir dafür, dass du mich angerufen hast."

„Ich hätte dir nichts angemerkt", lächelt sie mir zufrieden entgegen, „Ich war wohl auch etwas voreingenommen eurer Familie gegenüber. Gut, ich denke, dass ich eure Eltern richtig einschätze, aber du scheinst so zu sein wie Leo erzählt hat und euer Bruder wirkt auch etwas normaler als in den Nachrichten."

„Maxi hat auch eine harte Zeit hinter sich und es gab Momente, in denen sind Leo und ich verzweifelt, weil er so ist wie er ist, aber er ändert sich. Nein, er war nie so ein riesen Idiot, er stand einfach unter Druck. Auch das wollen unsere Eltern ändern und dabei brauchen sie eben Hilfe und es wird dauern, aber wir sind dran."

„Verstehe.. Wenn du willst, gib deinem Bruder Bescheid. Lass uns das in Ruhe angehen." Ich nicke dankbar und verabschiede mich von ihr. Alex und ich verlassen die Wohnung recht schnell, aber sehr zufrieden. „Danke", gebe ich überwältigt von mir, als wir zusammen im Auto sitzen. „Jederzeit", nickt Alex aufmunternd und einen Moment lang habe ich das Gefühl, dass etwas in der Luft schwebt.

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