Grübeleien

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Luisa's Sicht:

Es ist gerade einmal eine Woche vergangen, seit ich mich mit meinen Eltern zuletzt getroffen habe und ich muss gestehen, dass es mir seitdem durchaus besser geht. Keine strengen Regeln, keine Erwartungshaltung mehr. Ich kann mich auf meine eigenen Wünsche fokussieren. Das tut auch Alex' und meiner Beziehung gut. 

Wir verbringen viel mehr Zeit draußen ohne die Sorge, es könne meine Eltern stören. Wenn allein das Spazieren gehen zum Highlight wird, muss vorher etwas schief gelaufen sein. Fabi hat sich relativ wenig blicken lassen und auf meine Kontaktversuche ist er nicht stark eingegangen. Ein wenig verwundert es mich doch, nachdem zuletzt alles geklärt zu sein schien, aber vielleicht braucht er auch einfach einen Moment. 

„Ich geh schon. Das ist sicher Kathi", rufe ich begeistert, als es an der Türe klingelt. Alex will sich nachher ein Basketballspiel mit seinen Freunden ansehen, also haben Kathi und ich uns zum Kochen verabredet. Ich bin so dankbar, sie kennengelernt zu haben, vor allem nachdem Lea und Laura mal zugegeben haben, dass sie nicht wirklich an Hannah und mir, sondern nur an Maxi und Mike, interessiert sind. Wobei man seit der Trennung zwischen Maxi und Lea beunruhigend wenig von ihr gehört hat. Hm.. vielleicht hat Vater sie bestochen, dass sie ihren Mund hält.. 

„Du verfällst schon wieder ins Grübeln", beobachtet Alex meinen Gesichtsausdruck grinsend und gibt mir einen Kuss. Ich lächle zufrieden und wende mich ab, um die Tür zu öffnen. Komisch, ich hätte meinen können, dass Kathi zuletzt nicht aussah wie meine Eltern. „Was macht ihr hier?", frage ich irritiert und bewusst unhöflich, „Nein, eigentlich sollte es mir egal sein. Bitte geht wieder."

„Wir müssen mit dir reden", meint Mutter bestimmt, doch irgendwas ist komisch an ihr. Sie ist nicht herrisch. Ihre Stimme klingt sogar brüchig. Nein, Luisa, nicht in alte Muster verfallen. Bleib stark. „Ist mir um ehrlich zu sein egal", bringe ich selbstbewusst raus. Ja, genau so.

„Du musst nach Hause kommen, Luisa", behauptet mein Vater nun. Auch wenn ich mich auf meine Abneigung ihrem Verhalten gegenüber fokussiere komme ich nicht darüber hinweg, mir Sorgen zu machen. Was bewegt sie dazu, hierher zu kommen und mich auf einmal nach Hause holen zu wollen? Als wäre ich ein kleines Kind, das von zuhause weggerannt ist. Nein, damit verbringe ich meine Zeit nicht mehr.

„Zunächst einmal muss ich gar nichts und außerdem bin ich hier zuhause", stelle ich kühl klar, „Würdet ihr also bitte gehen?" Als ich das sage, zieht meine Mutter scharf die Luft ein. Was erwartet sie denn schon? Tobenden Applaus? „Es geht um deinen Bruder." 

Und da weiß ich warum sie so drauf sind. Ich habe mich nicht getäuscht. Ihre Stimme ist wirklich brüchig und wenn sie gelernt hätten zu weinen stünden sie jetzt wohl in Tränen vor mir. Maxi.. Nein, ihm muss es gut gehen. Was, wenn nicht? Nein, sie spielen das Ganze nur. Sie wollen ihre heile Welt aufrechterhalten. Alex ist wohl hellhörig geworden und stellt sich vor mich. Gut, er schickt sie weg. Sie und ihre Lügen. „Was ist mit ihm?", fragt er sie in einer neutralen Tonlage und dennoch höre ich eine gewisse Besorgnis heraus.

„Maximilian liegt im Koma", gesteht uns meine Mutter plötzlich und wird sofort emotional, die Tränen laufen ihrer Wange entlang. So habe ich sie noch nie beobachten können. Noch nie in meinem Leben habe ich diese Frau weinen sehen. Nicht einmal nach Leo's Unfall. Maxi im Koma.. Er hatte doch wohl nicht auch einen Unfall..

„Was ist passiert?", fragt Alex weiter gefasst und greift nach hinten zu mir, um meine Hand fest zu halten. Mein Herz beginnt zu rasen. Es fühlt sich an wie damals. Nur, dass Leo nicht einmal eine Chance hatte. Koma war damals keine Möglichkeit mehr. Was kann Maxi nur zugest- „Er hatte eine Überdosis. Luisa, bitte komm' mit uns. Die Familie muss-"

Eine Überdosis. Wieso bin ich nicht früher darauf gekommen? Verdammt. Wie konnte ich das überhaupt zulassen? Wir wussten doch, dass er was nimmt. Er hat nur so normal gewirkt die letzten Tage und Wochen.. „Ja, natürlich", erwidere ich hastig, „Wo ist Maxi und wie sind seine Chancen?" „Komm, bitte. Dann erklären wir dir alles."

Ich drehe mich automatisch zu Alex um, der zu keinem Moment den Griff um meine Hand gelockert hat. „Komm mit, Alexander", beschließt Mutter überraschenderweise, „Maximilian braucht uns und wir brauchen auch Hilfe. Es wartet ein Ärzteteam auf uns."


Fabi's Sicht:

Mir geht immer noch Alex' und mein Streit letztens durch den Kopf. „Weiß sie es?" Nein, wie auch. Fuck natürlich weiß sie, dass ich sie liebe. Natürlich weiß sie, dass all die Lieder von ihr handeln. Wie könnte sie es nicht wissen? Sie verdrängt die Tatsache, dass wir nicht wirklich nur Freunde sind, lediglich so lange bis es nicht mehr anders geht. In anderen Worte: So lange wie ich mich dazu entscheide, Alex nicht mehr zu erzählen und solange sie es selbst aushält. Wieso macht sie es uns beiden nicht einfacher? 

Bei der Anzahl an Frauen, die Alex hatte, kann er jeden Augenblick aufgeben und zurück in sein einfaches, spielerisches Leben gehen. Wie kann es überhaupt sein, dass jemand wie er so beziehungsunfähig ist? Wir hatten die gleiche Kindheit. Nie haben uns unsere Eltern unterschiedlich behandelt. Mama hat immer gearbeitet und sich liebevoll um uns gekümmert, Papa hat neben der Arbeit viel Zeit im Garten verbracht. 

Theoretisch sind wir eine klassische ländliche Familie, die eben im Randgebiet Münchens wohnt. Wären wir hier nicht aufgewachsen, würden wir wohl niemals hierher ziehen. Ich könnte es mir nicht leisten und Alex hat nicht das Interesse an dem Lebensstil hier. Ihm sind Menschen wie Maxi und Mike bisher immer auf die Nerven gegangen. Ich fand es nie ganz toll oder sehr schlecht. Ich mag die beiden als Freunde egal wie viel Geld sie haben. 

Je mehr ich mit Lu zu tun hatte wusste ich, dass ich mit ihr hier bleibe oder mit ihr gehe. Ganz egal wo sie ist, da will ich auch sein. Scheiße, das klingt hoffnungslos romantisch.. Deshalb bin ich auch damals nach Australien. Nachdem wir uns geküsst haben und sie so getan hat als wäre nie etwas gewesen. Dabei habe ich es genau in ihrem Blick gesehen, dass sie nicht einfach weitermachen wollte wie bisher. Aber was will ich auch mit einer Ablenkung? Ich weiß, dass mir das nichts gibt. 

Toll, ich habe zwar eine Songidee, allerdings handelt die auch wieder von Lu. Ich hasse sie dafür, dass das so lange mit Mike durchgezogen hat, und doch liebe ich sie. Mike hat sich nie bei mir beschwert. Stattdessen hat er sich letztens sogar entschuldigt. Toll, sogar er schafft es, sie zu vergessen und weiterzumachen und ich sitze hier wie ein Trottel, der nicht aufhören kann, Songs für sie zu schreiben. Wenn man vom Teufel spricht.. 

"Du musst sofort in die Klinik kommen. Maxi liegt im Koma", informiert mich Mike sofort, als ich abhebe. Alarmiert schießen meine Augenbrauen in die Höhe. „Weiß L-" „Ja, sie ist unterwegs. Wir sehen uns dort." „Fuck!", brülle ich wütend und schmeiße mein Handy reflexartig gegen die Wand. Leo.. Maxi.. Fuck. 

ANOTHER LOVEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt