der Beginn der Reise

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„Hey, Lu?", murmelt Alex neben mir, als ich mich am nächsten Morgen aufrichte, „Du gehst doch nicht, oder?" „Hatte ich nicht vor und könnte ich glaub ich auch gar nicht", erkläre ich ihm und zeige auf meinen verwüsteten Zustand infolge des Alkohols und uns und den Raum, „Ich binde nur meine Haare zusammen. Außerdem ist das hier meine Wohnung."

„Willst du's versuchen? Also ich meine sollen wir es angehen, mal sehen was draus wird?", schlägt er plötzlich vor und ich ziehe meine Augenbrauen überrascht zusammen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Klar, es sind die Worte, nach denen ich mich gesehnt hatte. Aber was genau würden wir probieren? Wie? „Du meinst, ob es ernsthaft funktioniert?", hake ich also unsicher nach.

„Ja, du warst ja diejenige die so verzweifelt jemanden für eine Nacht wollte", scherzt er, zieht mich aber in seine Arme und für den Moment genieße ich es. Da erinnere ich mich wieder daran wie falsch das ist. Ich habe die moralische Tiefe für ein paar Stunden gut verdrängen können, umso schlimmer prallt sie jetzt auf mich ein und ich tue das was ich sonst ziemlich gut kann. Jemanden von mir stoßen.

„Du solltest wohl doch gehen", seufze ich mit schlechtem Gewissen. Ich hätte mich nie darauf einlassen dürfen. War ja klar, dass ich es bereuen würde. Mit Mike hab ich eine sichere Zukunft und mit Alex hier.. wir flirten, das war's bisher. Scheiße, ich klinge schon wie meine Mutter und das wollte ich immer vermeiden. Wobei.. Wie sicher ist meine Zukunft mit Mike wirklich? Was noch viel wichtiger ist, würde ich mit ihm überhaupt glücklich werden? Wenn ich mal so richtig darüber nachdenke, würde mein 90-jähriges Ich die Situation nicht bereuen.

„Ist es wegen diesem-" „Wegen Mike, ja", nicke ich und seufze erneut langgezogen. Es überrascht mich, dass er nicht wirklich geht. Er will es mit mir versuchen und ich schmeiße ihn theoretisch aus der Wohnung. Nicht die feine Art.

„Sei ehrlich, wieso er?", fragt Alex interessiert und dreht sich zu mir, stütz sich dabei auf seinem Ellenbogen ab. Gott, dieser Anblick. Alles wonach ich mich gesehnt hatte. Ich hatte nämlich Recht. Zwischen uns ist es so leidenschaftlich wie vermutet. 

„Das ist doch einer der typischen BWL-Studenten, der von seinen Eltern finanziert wird und dabei denkt, er würde Großes erreichen." Dass Mike wohl wie wir alle die Firma seiner Eltern übernehmen und damit wirklich Großes erreichen würde muss ich jetzt ja nicht erwähnen. Ich weiß was er mir damit sagen möchte. 

„Du kennst ihn gar nicht", verteidige ich ihn schwach, weil ich das Gefühl habe es tun zu müssen. Dabei geht es mir wie Alex. Mich nervt es nur noch, dass Maxi und Mike so viele dieser Klischees erfüllen. Das ist nicht das, was ich mir von meinem Leben erwarte.

„Man sieht es ihm an", meint Alex schulterzuckend, legt dann aber seinen freien Arm um meine Hüfte, um mich festzuhalten, „Also wieso?" „Weil es leicht mit ihm ist, okay?", antworte ich ihm schneller und vor allem ehrlicher als gedacht. 

Woher kommen denn auf einmal diese Erkenntnisse? Gott, Lu, du hast dich viel zu lange selbst belogen. Weil es leicht ist. Was für einen schlechteren Grund gibt es eigentlich, bei jemandem zu sein? Na klar, da habe ich noch einen parat. „Er ist der Traum-Schwiegersohn meiner Eltern. Das macht es einfach. Alle sind zufrieden. Naja.."

„Außer du", konkretisiert Alex meinen Gedanken. Ich nicke schon gar nicht. Er weiß, dass er Recht hat und ich weiß das auch. „Du weißt nicht, ob es leicht mit mir ist, wenn du es nicht probierst. Dir geht es doch wie mir und wir wollten das hier schon seit Langem. Willst du echt dein Leben für diesen Typen wegwerfen? Was ist nach deinem Studium, bist du dann seine Hausfrau?"

Berechtigte Frage, wenn ich mir Mike's und meine letzten Diskussionen ins Gedächtnis rufe. Er war so zienlich jedes Mal, wenn ich alleine unterwegs war, genervt. Das hat zu einem Streit geführt, in dem noch mehr unschöne Worte gefallen und Vorwürfe gemacht wurden. Von beiden Seiten. Ich bin mir aber der Tatsache bewusst, dass ich die Person, die ich in seiner Nähe bin, nicht mag. Das bin nicht ich. 

„Verlass ihn endlich. Das geht doch schon viel zu lange. Du stürzt dich auch nicht gleich in etwas Neues. Wir wollen doch einach Zeit miteinander verbringen und sehen wie gut wir uns dann doch verstehen. Ich sehe dir doch an, dass du verglichen mit gestern, heute ehrlicher lachst. Du musst doch schon an die tausend Male überlegt haben, wie leicht es ohne ihn wäre." 

„Du klingst ja fast so als soll ich meine Beziehung jetzt für dich aufgeben", fasse ich neutral zusammen, blicke aber zur Decke. So früh so ernste Themen sind mir unangenehm. Ich möchte nicht schlecht über Mike reden. Es ist nicht so, dass er generell ein schlechter Mensch ist. Wir passen nur einfach nicht so zusammen wie wir dachten. Egal wie ich es drehe und wende, ich muss mich von ihm trennen. Das ist nur fair für alle. 

Dann hat er die Möglichkeit eine Frau zu finden, die ihn genauso mag und mit der er glücklich werden kann. Und ich werde dann.. Ich könnte mich mit Alex treffen. Ganz ohne Sorgen oder Schuldgefühle. Ihn kennenlernen. Wenn es nicht klappt, ist das auch in Ordnung. Aber zuerst möchte ich mehr über ihn erfahren, mehr Zeit mit ihm verbringen.

„Ich weiß wir müssen uns erst näher kennenlernen, aber für mich ist das nicht nur ein Flirt. Da war immer diese Spannung zwischen uns und ich bereue es, dass wir damals nicht schon nachgegeben haben. Jetzt bekommen wir aber die Chance dazu", fasst Alex unsere Situation ruhig zusammen und ich bin dankbar darüber, dass wir das ehrlich besprechen, „Du sollst nichts für mich aufgeben. Wenn du mich nicht weiter sehen willst ist das okay. Aber überlege dir bitte ernsthaft, ob du in dieser Beziehung glücklich wirst. Egal was draus wird, ich will zumindest, dass du nichts gezwungenermaßen machst, obwohl es dich nicht glücklich macht."

Ich weiß, dass ich es will. Alex hat Recht. Hannah hatte Recht. Mein Bruder hatte damals Recht. Ich sehe Alex ernst an und nicke aus meinem Bauchgefühl heraus. Wir flirten nicht nur. Wir konnten auch gut miteinander reden. Selbst wenn das nichts wird, bin ich lieber für eine Weile alleine und konzentriere mich auf meine Karriere als mich in einer Beziehung zu fesseln, die keinem von uns gut tut. Das wird mich zwar einiges an Überwindung kosten, aber ich halte mich an dem Wissen fest, dass ich mit Mike ohnehin nicht glücklich werden würde. Ich treffe diese Entscheidung nicht für Alex, sondern für mich. 

ANOTHER LOVEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt