insecure

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„Life is a journey, not a destination."-Ralph Waldo Emerson

"Komm runter, Ems", schreit meine Schwester aus dem Badezimmer.
Wie kann sie nur so ruhig bleiben?
Heute ist der erste Tag an einer neuen Schule und ich weiß nicht, ob ich dafür bereit bin.
"Ich schaffe das nicht." Einer meiner vielen negativen Charakterzüge ist auf jeden Fall, dass ich mir viel zu wenig zutraue, und das hat mir schon Einiges in meinem Leben verbaut. In meiner alten Schule wurde ich beschrieben mit den Worten: schüchtern, verklemmt und verplant. Jepp. Das bin ich wohl.
Ich binde mir meine Haare zu einem strengen Pferdeschwanz zusammen und betrachte mich im Spiegel. Spießig. Das erste Wort, das mir zu meiner Frisur und meinem Styling einfällt.
Lori tritt neben mich und holt ihre kleine Schminktasche aus ihrer Handtasche.
"Du musst dich einfach mal locker machen und dich nicht immer so in alles reinstressen", sagt sie, während sie sich ihre Wimpern tuscht.
Lori ist das komplette Gegenteil von mir.
Sie liebt Aufmerksamkeit und hat immer viele Freunde und auch viele Jungs, die ihr diese Aufmerksamkeit schenken.
Es ist ja auch kein Wunder.
Ich schaue wieder in den Spiegel und sehe eine top gestylte Lori und neben ihr mich.

"Müssen wir das echt tragen?" Lori hebt angewidert unsere neue Schuluniform in die Luft.
Wir müssen ab jetzt eine Schuluniform tragen, da wir nach unserem Umzug auf eine private Highschool gehen werden.
Ich blicke auf die zwei karierten Röcke, die vor uns auf meinem Bett liegen. So muss ich mir wenigstens keinerlei Gedanken machen, was ich anziehen soll. Und so kann niemand deine Klamotten als spießig oder nicht stylisch heruntermachen, flüstert mir die abscheuliche Stimme in meinem Kopf zu. 
Ich zucke mit den Schultern. "Ich glaube, so läuft man an einer Privatschule eben rum."
Lori zuckt ebenfalls mit den Schultern und geht anschließend ins Badezimmer, um sich umzuziehen.

Wir haben eigentlich ein gutes Verhältnis.
Doch in letzter Zeit entfernt sich Lori immer mehr von mir und unserer Familie.
Sie ist viel lieber mit ihren schnöseligen Freunden im Starbucks oder mal wieder in einer teuren Boutique shoppen. Ein weiterer Punkt, in dem wir grundverschieden sind. 

Unsere Eltern besitzen eine eigene Firma, da mein Vater Informatik studiert hat und er sich damit selbstständig gemacht hat.
Meine Mutter ist nach unserer Geburt fünf Jahre zuhause geblieben, um sich um uns zu kümmern. Seit sie wieder arbeitet, arbeitet sie bei unserem Dad in seiner Firma als seine persönliche Assistentin. Cliche komm raus.
Der Chef und seine Assistentin.
Unsere Familie ist ziemlich wohlhabend und vor allem Lori genießt das Privileg, indem sie ihr Geld für Shopping oder überteuerten Kaffee rauswirft. Ich spare schon ewig, um mir mein Traum vom College zu erfüllen, ohne dass meine Eltern für alles aufkommen müssen.

Ich hatte noch nie sonderlich viele Freunde.
Das rührt vielleicht daher, dass ich, im Gegensatz zu meiner Schwester, eher introvertiert bin. "Ems, mach weiter. Wir kommen noch zu spät." Ich nicke nur mit dem Kopf und ziehe mir meine neue Schuluniform an.
Sie passt wie angegossen. Auch wenn ich glaube, dass der Rock etwas kurz geraten ist.
"Lori, Emily. Kommt ihr? Der Wagen ist da", ertönt die fröhliche Stimme meiner Mutter.
Anscheinend hatte sie schon ihren ersten Kaffee. Ohne ihren Kaffee am Morgen ist sie nämlich nicht ansprechbar.
"Wir kommen", rufe ich meiner Mutter zu.

Schnell schnappen Lori und ich uns unsere Louis Vuitton Taschen und rennen die Treppen unseres großen Hauses nach unten.
"Bye, Mom", sagen wir gleichzeitig  und verschwinden durch unsere Haustüre hinaus zum Wagen.

"Guten Morgen, Logan", grüße ich den Fahrer, der uns lächelnd die Türe aufhält.
Unser persönlicher Fahrer heißt Logan und ich mag ihn sehr gerne. Er ist ein total netter Mensch und du kannst mit jedem Problem zu ihm kommen. Ich kenne ihn schon mein ganzes Leben lang und ich habe eine echte Vertrauensbasis zu ihm aufgebaut.
Logan lächelt mich durch seinen Rückspiegel an und fährt durch unsere Einfahrt.
Draußen blühen die Kirschbäume. Ich liebe den Übergang zwischen Frühling und Sommer.
Es ist wunderschön, wenn alles komplett aufblüht.
"Wir sind da." Ich schaue durch das Fenster hinauf zum Eingang unserer neuen Schule.

Wie ich Lori kenne, lernt sie direkt wieder die coolsten Leute hier kennen und ich verkrieche mich währenddessen in der Bibliothek, um möglichst unsichtbar zu bleiben.
"Tschüss, Logan", verabschiedet sich meine Schwester und steigt selbstbewusst aus dem schwarzen BMW.
Ich tue es ihr gleich und hänge mich an ihre Fersen. Ich habe das Gefühl, dass ich mich sonst womöglich noch verlaufe und ich habe keine Lust, jemanden nach dem Weg zu meiner nächsten Klasse zu fragen. Zu viel Interaktion mit fremden Menschen.

Innen angekommen, stehen wir in einer riesigen Halle mit Marmorboden.
Es ist alles sehr sauber und schon fast steril.
Als Lori und ich den Gang entlang schlendern, zieht Lori wieder alle Blicke auf sich. Wie auch nicht.
Ich meine, sie ist wunderschön und hat einen tollen Körper und vor allem ist sie eins: selbstbewusst.
Sie läuft mit straffen Schultern an den, hauptsächlich männlichen, Gaffern vorbei auf dem Weg zum Zimmer des Direktors.

craving your bloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt