5.

1K 65 2
                                    

Nat nimmt mich mit raus zum Pool und wir lassen unsere Beine ins Wasser baumeln.

Es ist angenehm einen Moment lang nicht unter vielen Menschen zu sein, endlich kann ich durchatmen. Es sind nicht mehr viele Leute im Pool, insgesamt hat sich die Party mehr nach drinnen verlegt. Calebs Partys enden meistens auf die gleiche Art und Weise. Entweder kotzt jemand alles voll oder die Sportler beschließen mitten in der Nacht noch zu grillen und bleiben bis in die Morgenstunden. Heute wird die Party wohl nicht so lange dauern, da morgen immer noch ein Schultag ist. Calebs Eltern sind wie so oft auf Geschäftsreise, doch sie haben genug Putzkräfte, die das Haus morgen wieder herrichten werden. Der Reichtum in unserer Stadt ist immer wieder beeindruckend, auf gleiche Weise jedoch auch schrecklich. Die meisten Schüler*innen unserer Schule agieren gedanken- und rücksichtslos und scheren sich sehr wenig um ihre Mitmenschen. Zumindest habe ich in Natasha jemanden gefunden, der sich anders verhält.

Sie streicht mit ihren Fingern über die Wasseroberfläche und fragt dann: „Was geht da zwischen dir und der schwedischen Vicky ab?" Ich werfe ihr einen warnenden Blick für die Anspielung auf Victoria zu, doch sie grinst nur schelmisch. „Ehrlich gesagt, keine Ahnung", gebe ich zu und zucke die Achseln. „Wir haben uns eigentlich ganz nett unterhalten, aber eindeutig kann sie mich nicht leiden", füge ich hinzu und Nat hört mir nachdenklich zu. Dann schaut sie auf das Wasser vor uns und nickt: „Jup."

Als nicht mehr von ihr kommt, stoße ich ihr leicht gegen den Arm, doch sie lacht nur. „Hast du wieder das mit deinem Hamster erzählt?", fragt sie prüfend und ich schnipse ihr dafür sofort gegen die Stirn. „Im Ernst, Kiwi, niemand will das wissen", sagt sie lachend und ignoriert, dass ich ihr meinen Mittelfinger zeige. „Es war ein einziges Mal", sage ich zu meiner Verteidigung, muss jedoch auch leicht schmunzeln. Noch immer zieht Natasha mich damit auf, dass ich auf einer Party in dem kleinen Club in unserer Stadt einem Mädchen von meinem Hamster erzählt habe. Der kleine Rodney ist tragisch beim Versuch, in einer Pfütze schwimmen zu gehen, verstorben. Nat und ich haben ihn dann in unserem damaligen Garten in einer feierlichen Zeremonie begraben. In etwa so viel muss ich zu meinem Flirtverhalten sagen, um deutlich zu machen, wie prekär meine Situation ist.

„Wie wäre es?", fragt Nat und ich brauche einen Moment, um zu verstehen, worauf sie hinaus will. Sie zeigt auf das Wasser vor uns, doch ich verziehe sofort leicht mein Gesicht. „Komm schon", sagt sie, steht auf und reicht mir ihre Hand. „Gehen wir danach heim?", frage ich und meine beste Freundin nickt direkt. Seufzend nehme ich ihre Hand und lasse mir von ihr aufhelfen. Sie zieht grinsend ihr Shirt aus, weil sie natürlich kein Problem damit hat, im BH vor anderen Leuten zu stehen. Tatsächlich ist kaum mehr jemand hier draußen, trotzdem lasse ich meine Klamotten an. Wir legen unsere Handys beiseite und Nat greift nach meiner Hand. „Danke, dass du mitgekommen bist", sagt sie ehrlich und ich lächele leicht.

„Schon okay", brumme ich und drücke ihre Hand kurz mit meiner. Ein Grinsen entsteht auf Nats Gesicht und keine Sekunde später zieht sie mich mit sich ins kühle Wasser des Pools. Kaum tauche ich wieder auf, spritzt sie mich mit Wasser ab und wir kämpfen gegeneinander. Als Caleb herauskommt, lacht er und springt direkt hinterher. Er nimmt Nat auf seine Schultern und Toby kommt mir zur Hilfe, um gegen die beiden zu kämpfen. Ich halte mich an Natashas Händen fest und versuche, sie von Calebs Schultern zu schubsen und obwohl sie stärker als ich ist, habe ich Erfolg. Sie fällt samt ihrem Freund ins Wasser und Toby dreht sich lachend mit mir auf den Schultern im Kreis. Per und die beiden Austauschschüler von Caleb und Toby klatschen für uns und Kristen schmunzelt über unser Verhalten. Auch Alice steht neben ihnen und für einen Moment erahne ich auch ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Dann trifft ihr Blick auf meinen und ihr Ausdruck wird wieder abweisend. Ich versuche mir meinen Spaß nicht kaputt machen zu lassen, doch ganz kalt lässt es mich leider nicht.

Toby lässt mich wieder runter und wir schwimmen zum Rand des Pools. Per reicht mir netterweise ein Handtuch, dass ich mir aber sofort mit Nat teilen muss. Die Nacht ist mittlerweile schon etwas kühler, sodass wir alle gleich zu zittern anfangen. „Wir machen uns jetzt los", meint Nat zu Caleb und gibt ihm noch einen Kuss. Dann dreht sie sich zu den anderen und zeigt auf Kristen: „Und du fährst." Dann schnappt sie sich den Autoschlüssel von der Ablage neben dem Pool und wirft ihn Kristen zu, ohne auf eine Antwort zu warten. Nat macht zwar oft fragwürdige Dinge, doch sie würde nie betrunken Auto fahren. Da Kristen Natashas Auto liebt, grinst sie sofort über die Schlüssel in ihrer Hand und erklärt den Schwed*innen auf Englisch, dass wir jetzt fahren. Ich schnappe mir mein Handy und folge dann meiner angetrunkenen Freundin zu ihrem Auto.

Caleb umarmt mich noch und hilft dann seiner Freundin auf den Beifahrersitz. Ich setze mich auf die Rückbank in die Mitte und kapiere erst danach, dass ich gleich zwischen den schwedischen Geschwistern sitzen werde. Keine Minute später fährt Kristen los und ich befinde mich in einer Wolke aus edlem Parfum. Die beiden Geschwister riechen beide auf ihre Weise wirklich gut und wenn ich ihren Armschmuck und ihre Hände betrachte, sieht man ihnen sofort an, wie viel Wert sie auf ihr Aussehen legen. Per trägt neben seiner Armbanduhr einen schicken silbernen Ring am Daumen und seine Hände sehen aus als wären sie ganz weich. Man könnte damit bestimmt Reklame für Handcreme machen. Mit meinen Händen könnte man höchsten die Reklame beginnen, um den vorher nachher Effekt zu verdeutlichen. Alice Hände sehen etwas weniger perfekt aus und es erinnert mich daran, dass sie Tennis spielt.

Nat fängt an ein Gespräch anzuleiern und Per antwortet ihr auch sofort. Ich konzentriere mich vor allem darauf, Alice auf keinen Fall aus Versehen zu berühren. Sie trägt selbst auch zwei Ringe und ihre Fingernägel sehen aus wie auf den Bildern bei der Maniküre. Mein Blick fällt auf meinen Arm und meine Armbänder, die Alice vorhin berührt hat. Es sind einige Festivalbänder und mein absolutes Lieblingsarmband, das mir Nat zu meinem fünfzehnten Geburtstag geschenkt hat. Es ist ein Pride-Armband in Regenbogenfarben und ich habe es seit damals nie ausgezogen. Ob Alice es gesehen hat? Ich muss daran denken, wie sie mich angesehen hat, als ich bei „Ich hab noch nie eine Person des gleichen Geschlechts geküsst" getrunken habe. Sie konnte gar nicht schnell genug von mir wegkommen, nachdem sie meinen Arm gesehen hat. Ein kühler Schauer krabbelt über meinen Rücken, als ich kapiere, was ihr Problem mit mir sein könnte. Ich spanne mich automatisch noch mehr an als vorher und Alice scheint es zu bemerken. Ihr Blick brennt auf meiner Wange, doch ich ignoriere ihn und schaue nach vorne auf die Straße. Ich werde einfach kein einziges Wort mehr mit ihr wechseln und sie komplett ignorieren. Auf keinen Fall werde ich freiwillig eine weitere Minute mit jemandem verbringen, der meine Sexualität nicht akzeptiert. Mein Vater hat mir genug Jahre meines Lebens zur Hölle gemacht, so etwas mache ich nie wieder durch.

Als Kristen bei Nat anhält wird mir klar, dass sie mich heimbringen wird und Alice dann mein Haus sehen wird. Schnell tippe ich Kristen an und meine: „Ich schlafe bei Nat, bis morgen." Sie nickt nur und winkt mir zu, Alice ignoriere ich beim Aussteigen einfach. Ich folge meiner besten Freundin und sie stellt keine Fragen, weil es nicht ungewöhnlich ist, dass ich spontan bei ihr schlafe. Sie zeigt Per noch ein paar Sachen und kommt dann zu mir ins Bad. Während sie sich abschminkt, putze ich meine Zähne und setze mich auf den Rand der großen Badewanne. „Ich bin echt froh, keinen Austauschschüler zu haben", murmele ich und Nat schmunzelt leicht. Sie dreht sich zu mir und erwidert: „Ich wette, es würde dir mit der Zeit gefallen."

Nachdenklich putze ich weiter die Zähne und muss daran denken, wie Alice mich angesehen hat, bevor sie vor mir weggelaufen ist. Ihre Augen waren so offen und ihr Ausdruck so warm. Wie kann ein Mensch sich innerhalb von Sekunden so sehr verändern? „Ganz anderes Thema", meint Nat und grinst leicht. „Vicky hat getrunken und sie hat dich angelächelt, das habe ich genau gesehen." Sofort laufe ich rot an und winke ab, doch meine Freundin lässt natürlich nicht locker. Sie zeigt im Spiegel auf mich und meint: „Mach endlich was, das ist deine Chance." Noch bis wir nebeneinander im Bett liegen, nervt Natasha mich und lässt nur locker, weil ihre Augen irgendwann von selbst zufallen.

Ich versuche mit dem Gedanken an Victoria einzuschlafen, doch aus irgendeinem Grund ist das letzte, was ich sehe, bevor ich einschlafe, der vernichtende Blick einer reichen Schwedin.


Only the rain knowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt