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Auf der Heimfahrt in der Bahn hole ich den Bildstreifen aus meiner Jackentasche und betrachte ihn. Es bringt direkt die Schmetterlinge in meinen Bauch zurück, wenn ich sehe, wie ehrlich Alice auf den Bildern lächelt. Das eine zeigt uns kurz bevor wir uns küssen und ich könnte mir stundenlang anschauen, wie Alice mich darauf ansieht. Ich schreibe ihr, dass ich mich auf morgen freue und stecke mir dann meine Kopfhörer in meine Ohren.

Als ich zuhause ankomme, habe ich noch keine Antwort von ihr, dafür aber eine Nachricht von Vicky. Sie schreibt mir, dass es ein schöner Abend war und schickt mir ein Bild von ihren Beinen im Whirlpool. Dazu schreibt sie, dass es schöner zu zweit wäre mit einem traurigen Smiley. Es lässt mich nicht kalt, dass sie so offensiv mit mir flirtet. Noch vor zwei Wochen wollte ich genau das und hätte nicht in meinen kühnsten Träumen daran geglaubt, dass es passieren könnte. Zum ersten Mal kommt mir auch der Gedanke, dass Alice am Sonntag weg sein wird und ich sie vielleicht nie wieder sehen werde. Mit Victoria könnte ich die Chance auf etwas langfristiges haben. Ich betrachte das Bild noch eine Weile und weiß nicht, was ich antworten soll. Vielleicht ist es wirklich gut, dass Nat jetzt Bescheid weiß. Ich brauche dringend jemanden, mit dem ich über mein Gefühlschaos reden kann.

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Am nächsten Tag in der Schule habe ich das Gefühl, Alice würde mich noch mehr ignorieren als sonst. Dafür sucht Victoria meine Nähe mehr als sonst und sitzt auch in der Pause bei uns. Sie lächelt viel und scheint ihre Freundinnen für einen Moment zu vergessen. Wieder mal spüre ich, wie schön es sein kann, wenn jemand stolz darauf ist, dich zu mögen. Wenn ich Alice ansehe, merke ich, dass es mir wehtut, wie wenig sie zu sich selbst steht. In der Gegenwart ihrer Freundinnen existiere ich überhaupt nicht für sie. Victoria ist perfekt in allem, was sie tut und trotzdem schaffe ich es nicht, meine Aufmerksamkeit wirklich auf sie zu lenken. Ein Teil von mir würde viel lieber bei Alice sein und ihr davon erzählen, wie ich heute Morgen in der Bahn auf eine Oma draufgefallen bin.

Erst nach der Schule beim Fußballtraining sehe ich meine Chance, mit ihr zu reden, doch auch dort ignoriert sie mich. Ich versuche mich aufs Training zu konzentrieren, doch es fällt mir ziemlich schwer. Bei einer Zweikampfübung schaffe ich es, Alice auszuspielen, werde jedoch von ihr so geschubst, dass ich den Ball nicht mehr kontrollieren kann. „Ey", sage ich genervt und schubse sie zurück. Ihr Ausdruck bleibt kühl und nichtssagend, doch ich sehe, wie sie sich leicht anspannt. Ich runzele fragend die Stirn, doch sie dreht sich weg und lässt mich stehen. Ich schüttele verständnislos den Kopf, spüre jedoch kurz darauf den mahnenden Blick meiner Trainerin. Sie will logischerweise nicht, dass sich Spielerinnen während des Trainings miteinander anlegen. Genervt verdrehe ich die Augen und laufe Alice hinterher.

Ich greife nach ihrem Handgelenk und meine: „Warte mal." Als sie sich zu mir dreht, wirkt ihr Ausdruck für einen Moment nicht feindselig, sondern ziemlich traurig. Ihre Augen glänzen und es lässt meinen Ärger sofort verpuffen. Wärme breitet sich stattdessen in mir aus und ich spüre in mir, dass ich sie unbedingt beschützen will. „Alles okay?", frage ich leise und sehe ihr in die Augen. Sie zuckt nur die Achseln und will wegsehen, doch ich lasse es nicht zu. Ich streiche vorsichtig mit meinem Daumen über die Innenseite ihres Handgelenks und flüstere: „Seit wann hast du Angst, mir die Wahrheit zu sagen?" Für einen Moment sieht sie mich nur an, dann seufzt sie und antwortet leise: „Seit du mit Victoria flirtest."

Erstaunt weiten sich meine Augen und wie von selbst entsteht ein kleines Grinsen auf meinen Lippen. Sofort macht Alice wieder zu und will vor mir weglaufen, doch ich renne ihr schnell nach und versperre ihr den Weg. „Ich flirte nicht mit ihr, okay?", versichere ich ihr, doch sie wirkt nicht so, als würde sie mir glauben. „Ich lächele nur, weil es mich ziemlich glücklich macht, dass du eifersüchtig bist", gebe ich zu und ausnahmsweise wird Alice rot. Mein Grinsen wird noch breiter und ich traue mich, ihr in die Hüfte zu stupsen. „Können wir das nachher besprechen und jetzt noch ein letztes Mal zusammen spielen?", frage ich sie hoffnungsvoll und nach einigen Sekunden gibt sie nach und nickt. „Wehe du schubst mich nochmal, Zicke", sage ich ihr, bevor ich mir einen Ball schnappe und ihn ihr zuspiele.

Sie versucht, es zu verstecken, doch ich kann genau sehen, dass sie grinsen muss.


Only the rain knowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt