59.

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Ich föhne mir schnell meine Haare und folge Alice dann nach unten.

Mittlerweile ist es zehn, doch Nat scheint noch immer zu schlafen. Kristen sitzt mit Per auf der Terrasse und trinkt Kaffee, die Eltern der Schweden sind nirgends zu sehen. Alice läuft zu Per an den Tisch und schnappt sich zwei Tassen, die sie unter die Kaffeemaschine stellt, die sie natürlich hier draußen stehen haben. Sie macht mir einen Kaffee so wie ich ihn mag und sagt dann irgendwas Schwedisches zu ihrem Bruder. „Guten Morgen", sage ich zu ihm und er lächelt mich freundlich an. Kristen winkt mir kurz, vertieft sich dann aber wieder in das Gespräch mit dem Schweden. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass sie in Per verknallt ist. Allerdings haben sie in Deutschland kaum ein Wort miteinander gewechselt. Andererseits wird es für andere bei mir und Alice wohl ähnlich gewirkt haben. Die Schwedin reicht mir eine Tasse und pfeift dann durch ihre Zähne. Sofort kommt Tomte angerannt und folgt uns, als wir die Treppen nach unten gehen.

Ich folge Alice an dem Teich mit den schönen Seerosen vorbei und komme nicht darum zu bemerken, wie anders sie sich heute verhält. All ihre Bewegungen wirken etwas leichter und sie ist weniger darauf bedacht, einen Schein zu bewahren. Am Rand des Gartens erkenne ich eine kleine Sitzecke, die von mehreren Rosensträuchern umrahmt ist. Alice stellt ihren Kaffee auf dem Tisch ab und macht dann eine einladende Bewegung mit ihrem Arm: „Voila,schwedische Romantik." Fasziniert betrachte ich all die Rosen in verschiedenen Farbtönen und muss zugeben, dass ihre Eltern wirklich Geschmack haben. Es hat wohl auch seine Gründe, dass ihr Schmuck so beliebt ist.

Da mir auffällt, dass es vier unterschiedliche Rosensträucher sind, frage ich: „Gibt es eine Rose für jedes Familienmitglied?" Alice lächelt schief und murmelt: „Du musst uns für ein einziges Klischee halten." Ich hebe fragend die Augenbrauen, doch sie nickt und zeigt auf die Sträucher: „Na los, welcher ist meiner." Grinsend gehe ich zu den Blumen und betrachte jeden Strauch einzeln. Ganz rechts befindet sich ein relativ kleiner Strauch mit weißen Rosen, die nach nicht viel riechen. Die Mitte bildet ein rosa und ein dunkelroter Strauch. Beim dunkelroten bin ich mir sofort sicher, dass er nicht Alice gehören kann. Mein Gefühl schickt mich zudem letzten Strauch, der gelbe Rosen trägt und relativ wild wächst. Ich rieche an einer der Blumen und bekomme sofort Gänsehaut. Erinnerungen daran, wie ich Alice Hals küsse, schießen durch meinen Kopf und ich mache verwirrt einen Schritt zurück. Ich habe mich von Anfang an gefragt, ob ihr Parfum einen natürlichen Duft nachahmt, doch ich hatte keine Ahnung, dass Rosen so riechen könnten.

Als ich mich wieder zu Alice drehe, zeige ich auf den gelben Strauchund meine: „Der ist dir." Sie nickt lächelnd und streicht sich dann nachdenklich über ihren Hals. Bevor sie fragen kann, antworte ich schon: „Ja, dein Parfum ist verdammt nah dran." Ich setze mich ihr gegenüber an den kleinen Tisch und sie vergräbt ihr Gesicht in ihrer Hand. Durch ihre Finger wirft sie mir einen schüchternen Blick zu und fragt: „Wie schrecklich findest du meine Familie?" Ich muss über ihre Frage schmunzeln, obwohl sicherlich auch etwas Ehrlichkeit dabei mitschwingt. Ich überlege kurz, wie ich am besten darauf antworte und räuspere mich dann. „Es ist für mich verrückt zu sehen, was alles möglich ist, mit sehr viel Geld. Es ändert aber nichts an meinem Bild über dich." Alice Augen weiten sich kurz, dann legt sich ein warmes Lächeln auf ihre Lippen. Ich nehme einen Schluck von meinem Kaffee und es ist natürlich der beste, den ich je getrunken habe.

„Im Nachhinein finde ich es sehr gnädig, wie du auf meine Wohnung reagiert hast", gebe ich ehrlich zu und Alice muss lachen. Tomte kommt zu ihr getapst und hält ihr einen Ball hin, den sie sofort für ihn wirft. „Dann zeig du mir deine ehrliche Reaktion auf all das hier", meint sie und ich lehne mich lächelnd im Stuhl zurück. Ich betrachte das riesige Haus am anderen Ende des Gartens und es fühlt sich immer noch etwas irreal an. „Ich glaube, es beeindruckt und verstört mich gleichermaßen. Ich meine, ich dachte die Leute bei mir zuhause wären reich, aber das hier ist völlig irrsinnig." Alice nickt und ich sehe in ihrem Blick, dass sie genauso wenig stolz auf all das ist wie ihr Bruder. Sie streicht sich durch ihre blonden Strähnen und nippt an ihrem Kaffee. Tomte kommt diesmal zu mir und ich werfe ihm den Ball, während ich frage: „Tickt Tommy so wie du?" Alice hebt kurz ihre Augenbrauen, scheint dann aber zu verstehen, was ich meine und grinst. „Du meinst, dass du seine Ausnahme bist? Ja, er ist mein tierisches Ebenbild." Ich muss lachen und erwidere ihren Blick.

Only the rain knowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt