58.

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Da der nächste Morgen ein Sonntag ist, können wir ausschlafen, doch ich wache trotzdem schon um halb neun auf. Als ich mich müde drehe, erkenne ich, dass Alice nicht mehr neben mir liegt. Für einen Moment überlege ich, ob ich den letzten Abend nur geträumt habe, doch in meiner Decke hängt eindeutig noch ihr Duft.

Müde schäle ich mich aus dem Bett und tapse in das Bad. Meine Haare sehen übel aus, weshalb ich beschließe, schnell unter die Dusche zu springen. Danach fühle ich mich frischer und wacher, obwohl mir der Flug immer noch etwas in den Knochen hängt. Ich ziehe mir meinen Lieblingspulli, einen schwarzen Hoodie von Nike, über und stecke mir meine nassen Haare hoch. Dann überlege ich, ob ich gucken soll, ob Nat schon wach ist, doch ich wage es stark zu bezweifeln. Mein Blick fällt auf die zweite Tür im Bad und ich erinnere mich daran, dass ich mutiger sein wollte. Also trete ich kurzerhand ohne zu Klopfen durch die Tür und kann mich gar nicht schnell genug umsehen, da springt mir Tomte schon entgegen.

Alice sitzt auf ihrem Bett und kritzelt in ihrem Block herum und bis eben saß Tomte wohl ruhig neben ihr. Jetzt springt er aufgeregt um mich herum und ich kraule ihn lächelnd hinter seinen Ohren. „Du bist schon wach?", fragt Alice überrascht und ich zucke die Achseln als Antwort. „Hast du mich nicht duschen hören?" Sie schüttelt den Kopf und zeigt auf ihre Ohren, in denen Airpods stecken. Sie nimmt einen der Kopfhörer raus, konzentriert sich aber weiterhin auf ihren Block, während sie sagt: „Guck dich gerne um, aber eigentlich kennst du ja schon alles." Das ist genau, worauf ich gewartet habe und ich lasse mir Zeit, wirklich alles zu betrachten.

Langsam wandere ich durch ihr Zimmer und schaue mir ihre ganzen Sportauszeichnungen an. Der erste Platz bei Juniortennismeisterschaften, Medaillen für Sportlerauszeichnungen der Stadt und Urkunden für jedes Jahr seit 2010. In ihrem Bücherregal finde ich vor allem Biografien und einige Fantasyromane. Auf einer weiteren Kommode stehen einige Bilder und sie erinnern mich an die im Esszimmer. Sie sind perfekt aufgereiht und zeigen alle nur ihre Familie oder den Tennisverein. Die Familienfotos sehen in etwas so aus, als wäre ihre Familie tatsächlich immer noch adelig. In einem davon stehen sie um ihren Vater herum, der auf einem großen Sessel sitzt, in einem anderen sind sie eine Bilderbuchfamilie beim Golfen.

„Warum hast du mir nie wirklich von deiner Familie erzählt?", frage ich, während ich die Bilder betrachte. Alice brummt nur und murmelt: „Ich wette, du hast da deine ganz eigene Theorie zu." Ich drehe mich zu ihr und sie nickt mir auffordernd zu. Also gehe ich nachdenklich weiter durch den Raum zu der Tür, die zu ihrem Kleiderschrank führt und meine:„ Du hast mir auch nicht erzählt, wie reich ihr seid." Wieder brummt Alice nur und ich muss mich zusammenreißen, um nicht erfreut zu Quietschen, als ich sehe, wie viel Platz in diesem Schrank ist. „Und du hast mir nicht erzählt, dass du eine Kardashian bist", füge ich hinzu und höre, wie sie lachen muss. Ihr Kleiderschrank ist voller schicker Klamotten für jeden Anlass und alles ist perfekt geordnet und sortiert. Es gibt eine ganze Abteilung für den Sport und eine kleine mit legeren Klamotten, die sie größtenteils mit in Deutschland hatte. Dazwischen hängt auch das Vans Shirt, das sie mir bei einem unserer Telefonate gezeigt hat. Grinsend nehme ich es aus dem Schrank und betrachte es nochmal. Sei mutiger, sagt mir eine Stimme in meinem Kopf. Also ziehe kurzerhand meinen Pullover über meinen Kopf und ziehe mir das Shirt über. Es riecht nach Alice und ich fühle mich sofort wohl darin.

Als ich wieder ins Zimmer gehe, schaut Alice kurz auf und ihre Augen weiten sich direkt. Sie nimmt sich den zweiten Kopfhörer aus dem Ohr und legt den Block weg. „Ich wusste, dass es dir steht", meint sie lächelnd und mustert mich lange. Ich lasse mich am Ende des Bettes nieder und betrachte den Ring an meinem Zeigefinger einen Moment lang. „Du hättest mir übrigens sagen können, wie wertvoll er ist", murmele ich, doch Alice scheint nicht zu verstehen, was ich meine. „Du hast gesehen, wie ich lebe, dir muss klar gewesen sein, dass ich nichts mit ähnlichem Wert besitze und damit nicht wirklich umgehen kann", gebe ich ehrlich zu, doch Alice schüttelt direkt den Kopf. Sie hält mir ihre Hand hin und als ich mich nicht bewege, meint sie: „Los, komm her." Also krabbele ich zu ihr und lasse zu, dasssie mich zwischen ihre Beine zieht. Ich lehne mich mit meinem Rücken gegen ihre Brust, während sie ihre Arme um mich schlingt und meine Hand in ihre nimmt.

„Meine Eltern haben diesen Ring nach meinen Wünschen kreiert und er hat mich nie etwasgekostet. Es war mehr ein Zufall, dass er zu ihrem Bestseller geworden ist. Er ist so teuer wegen der Diamanten, die in ihm verarbeitet sind, aber das ist nicht der Grund, warum ich ihn dir gegeben habe." Sie hält mir ihre Hand vors Gesicht, sodass ich die Ringe an ihrem Ring- und Mittelfinger sehen kann. „Einer davon hat meiner Oma gehört, den anderen habe ich zu meinem achtzehnten Geburtstag bekommen. Wenn ich gewollt hätte, dass du davon ein Auto kaufen kannst, hätte ich dir einen davon da gelassen", meint sie trocken und ich kann nur schwer fassen, wie viel Geld in Schmuckstücken liegen kann. Sie streicht über meinen Zeigefinger und sagt: „Es ist mein liebster Ring, weil ich darüber entscheiden durfte, wie er aussieht. Meine Mutter wollte ihn ganz anders designen, doch sie hat mir ausnahmsweise zugehört und auf meine Meinung vertraut. Deshalb habe ich ihn dir gegeben, weil du mir das Gefühl gibst, ich selbst sein zu können."

Ihr Worte sind so ehrlich, dass mich ein tiefes Gefühl von Rührung ergreift. Ich habe es vermisst, auf diese Weise mit ihr zu reden. „Wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Sekunde darüber nachgedacht, dass andere erkennen könnten, dass der Ring aus der Kollektion meiner Eltern ist. Ich habe nur daran gedacht, dass ich dich nicht verlassen will", flüstert Alice mir ins Ohr und ich schmiege mich mehr gegen ihren Hals. „Jetzt hast du mich wieder", versichere ich ihr und spüre, wie sie leicht lächelt. Tomte springt zu uns aufs Bett und legt sich auf unsere Beine. Mein Blick fällt auf sein braunes Fell und als ich in kraule, tritt er mit seinem Bein aus und trifft dabei Alice Block. Ich muss automatisch grinsen als ich sehe, was da an dem Stift hängt, mit dem sie geschrieben hat.

„Du hast es behalten?", frage ich verblüfft und streiche mit meinem Finger über das Armband, das Finja für Alice gebastelt hat. „Wie oft machst du noch den Fehler, zu denken, ich sei eine herzlose Prinzessin?", haucht sie mir zu und ich muss schmunzeln. Mir kommt eine Idee und ich richte mich auf und drehe mich zu Alice um. „Gibst du mir deine eigene Gartentour?", frage ich sie und sie lächelt über den Einfall. Als ich einen bettelnden Blick auflege, nickt sie und hält mich auf, als ich meinen Pulli holen will.

„Meine Eltern kennen das Shirt nicht, du kannst es gerne anlassen", sagt sie und ichmuss darüber grinsen, dass es ihr zu gefallen scheint, wenn ich ihre Klamotten trage.

Only the rain knowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt