13.

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Nach dem Spiel knutscht Nat eine halbe Ewigkeit mit Caleb rum, während Toby mit den anderen Jungs über seinen Elfmeter redet. Per steht bei mir und fragt mich, was wir heute noch machen.

„Wir sind nachher bei Victoria, weil da all die Freundinnen deiner Schwester sind", erkläre ich ihm und er nickt. Sein Blick schweift über die anderen Schwedinnen und ich meine erkennen zu können, dass er nicht wirklich begeistert von meiner Aussage ist. Bevor ich nachfragen kann, kommt Nat zurück und zieht uns mit sich zu dem Stand mit Slush-Eis. Die Schule hat für das Fest sogar ein kleines Riesenrad besorgt, das Nat und Caleb sicherlich nachher fahren werden. Die Fußballer gehen sich duschen, während wir über den Hof schlendern.

Mik und Ole versuchen sich beim Dosenwerfen und Nat kauft jede Süßigkeit, die sie finden kann. Ständig drückt sie mir, Alice und Per Essen in die Hand und möchte, dass wir es probieren. Ihre Freude ist wie immer ansteckend, nur Victoria und ihre Freundinnen haben schon nach einer knappen Stunde keine Lust mehr. Sie kommt zu mir und sagt mir Bescheid, dass sie jetzt gehen werden. Ich schaue zu Nat, die mit Per an einem Tischkicker steht und ihm ihre vom Slush blaue Zunge rausstreckt. Ein Teil von mir würde viel lieber hier bei ihr bleiben, wo ich mich sicher fühle und Spaß habe. Dann denke ich jedoch daran, dass es vielleicht meine einzige Chance ist, Victorias Haus zu sehen. Also schaue ich zu Alice und frage sie, ob sie bereit ist. Sie mustert mich kurz und nickt dann.

Statt jedoch ihren Freundinnen hinterher zu gehen, geht sie zu Nat und meint: „Kann ich mit dir reden." Mir fällt wieder ein, dass sie ja heute mit ihr reden wollte, um bei ihr einzuziehen. Ich schaue Victoria und ihren Freundinnen hinterher und bekomme Panik, wenn ich daran denke, gleich allein unter all diesen Mädchen zu sein. Auch wenn ein Teil von mir, Alice nicht ausstehen kann, weiß ich trotzdem, dass ich zumindest mit ihr reden kann. Ich weiß, dass ich bei ihr kein völlig schüchterner Trottel bin. Aus Panik greife ich nach ihrem Handgelenk und ziehe sie von Nat weg. „Wir müssen los", sage ich schnell zu meiner besten Freundin und zum Glück ist sie zu abgelenkt vom Spielen, um zu merken, wie seltsam ich mich verhalte. Sie winkt mir nur und widmet sich dann wieder dem Tischfußball.

Sichtlich verwirrt folgt Alice mir zum Ausgang und hält mich am Arm fest, bevor wir den anderen folgen. Ich schaue sie an und sie runzelt fragen die Stirn: „Was ist jetzt los?" Ich seufze und reibe mir über die Stirn. Wie soll ich ihr erklären, dass sie gerade tatsächlich die Person ist, die ich an meiner Seite brauche, um diesen Nachmittag zu überstehen. „Du kannst bei mir wohnen bleiben, okay?", sage ich und ihre Augen weiten sich erstaunt. „Wenn das an meinem guten Deutsch liegt, muss ich dich leider enttäuschen. Das war nur gespielt", sagt sie und kurz bin ich verdutzt darüber, dass sie jetzt einen Scherz macht. Als ich über ihre Worte nachdenke, muss ich automatisch leicht lachen, weil das genau mein Humor ist. Ein kleines Lächeln umspielt ihre Mundwinkel und sie sieht auf gewisse Weise ein bisschen stolz aus.

„Aber es gibt Bedingungen", sage ich wieder etwas ernster und sie verschränkt gespannt ihre Arme vor der Brust. „Erstens: Ich kann dich genauso wenig leiden, wie du mich, aber deshalb würde ich dich nicht vor anderen bloßstellen. Es wäre also schön, wenn du das auch nicht machen würdest." Etwas wie Schuldbewusstsein huscht über ihr Gesicht und sie will etwas sagen, doch ich lasse sie nicht. „Zweitens: Du lässt mich am Wochenende ausschlafen." Alice schmunzelt leicht über den zweiten Punkt und nickt: „Krieg ich hin." Ich nicke nachdenklich und bin mir nicht sicher, ob ich gerade nicht einen großen Fehler gemacht habe. Als Victoria nach uns ruft, ist es jedoch auch schon zu spät.

Victorias Haus ist größer als Nats, aber nicht halb so gemütlich. Es gibt kaum Farbe außer etwas rosa und alles wirkt so, als wäre es steril. Die Schwedinnen sitzen alle draußen auf einer großen Terrasse und wirken so, als würden sie über irgendetwas reden, das in Richtung Mode geht. Alice sitzt zwischen ihnen und man kann schnell erkennen, dass alle ihr irgendwie gefallen wollen. Sie hat die meiste Zeit einen kühlen Ausdruck auf dem Gesicht und verhält sich ganz anders als noch vor wenigen Minuten in meiner Nähe. Ich sitze bei Victoria und ihren Freundinnen, die etwas abseits sitzen, weil sie Shisha rauchen wollen. Sie reden ebenfalls über einen neuen Lippenstift, von dem ich noch nie gehört habe. Ich versuche an den richtigen Stellen zu lächeln und zu nicken, damit es nicht auffällt und es klappt erstaunlich gut. Victoria bietet mir ihren Schlauch an, doch ich lehne dankend ab. Erstens mag ich Shishas nicht wirklich und zweitens bin ich mental nicht bereit dazu etwas mit meinen Lippen zu berühren, das vorher Victorias Mund berührt hat. Sie sieht heute Mal wieder super gut aus und auch ihre Freundinnen scheinen sie ständig beeindrucken zu wollen. Allerdings hat Victoria zu keiner Zeit einen kühlen Blick drauf, sondern immer ein Lächeln.

Sie erzählt mir von ihren Eltern, die auch darüber nachdenken, ihren Pool wie bei Caleb umzubauen. Ich schaffe es zu nicken, bin aber zu nervös etwas zu antworten. Zum Glück will aber sowieso direkt wieder jemand anders etwas von ihr, sodass es gar nicht auffällt. Mein Blick huscht zu Alice, die leider auf beiden Seiten von ihren Freundinnen eingerahmt ist. Ausnahmsweise hätte ich sie gerne neben mir, weil es mir komischerweise leicht fällt, mit ihr zu reden. Sie redet selbst nicht wirklich viel und ist auf komische Weise trotzdem der Mittelpunkt der Konversation. Immer wenn sie lächelt, scheint das ein Triumph für ihre Freundinnen zu sein. Ich bin überrascht, wie richtig ich mit der Annahme lag, dass sie die Beliebteste an ihrer Schule sei. Ihr Blick trifft meinen und sie zieht ihre Augenbrauen leicht zusammen. Sie mustert mich und Victoria und legt ihren Kopf dann leicht schief.

„Und du Kyra?", bringt die Stimme von Gwyneth mich dazu, mich wieder zu den anderen zu drehen. Alle schauen mich gespannt an und ich werde sofort rot. „Was war die Frage?", frage ich nervös und Victoria schmunzelt leicht. „Wen von den Schweden findest du am hübschesten?", wiederholt sie für mich und vermutlich werde ich noch eine Stufe röter. Ich überlege kurz und sage dann: „Per sieht ziemlich gut aus." Sofort nicken einige und Gwyneth sagt: „Meine Rede." Victoria lächelt und meint: „Und seine Schwester auch." Die anderen stimmen ihr natürlich sofort zu, während ich dazu keinen Kommentar abgebe. Ich hätte natürlich auch ein Mädchen nennen können, schließlich sind Victorias Freundinnen alle sehr offen. Victoria hat sich bereits in der sechsten Klasse geoutet, als ich noch gar keine Ahnung hatte, dass Mädchen auch eine Option sein könnten. Damals stand ich auf einen Jungen aus unserer Nachbarschaft und habe ihm wochenlang nachgeweint, als er umgezogen ist. Zum Glück geht das Gespräch schnell über in eine Diskussion über die Gene der Schweden und niemand fragt mehr nach meiner Meinung.

Als die Mädchen beschließen, noch Pizza zu bestellen, klingelt mein Handy. Meine Mutter bittet mich, auf meine Schwester aufzupassen, weil sie noch einen kurzfristigen Termin hat. Auf dem Weg nach drinnen, gehe ich schnell zu Alice und sage ihr leise, dass wir heim müssen. Sie nickt direkt und sagt dann irgendetwas schwedisches zu ihren Freundinnen. Einige von ihnen lächeln irgendwie mitleidig, was mir einen bitteren Geschmack im Mund gibt. Ich verabschiede mich von Victoria und sie bringt uns noch zur Tür. „Bis morgen", sagt sie und umarmt erst Alice und dann mich. Als mich der süße Duft ihres Shampoos trifft, schlägt mein Herz etwas höher.

Die Umarmung dauert zwar nur wenige Sekunden, doch sie reicht, um mich völlig aus der Bahn zu werfen.


Only the rain knowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt