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Den Rest der Woche gehe ich Alice möglichst aus dem Weg, was allerdings dazu führt, dass ich auch Victoria kaum sehe.

Wir schreiben gelegentlich und Nat geht davon aus, dass die Party am Wochenende über meine Zukunft entscheiden wird. Der Freitag kommt schneller als es mir lieb ist und Nat holt mich wie immer ab. Sie lässt Per fahren und dreht sich direkt zu mir um, um mir zu erklären, wie sehr sie sich betrinken wird. „Caleb hat extra Ficken für mich gekauft", erzählt sie und ich muss schmunzeln. Per scheint es überhaupt nicht zu stören, den Fahrer zu spielen, weil er dadurch zumindest die Macht über die Musik hat. Er trägt heute ein dunkelgrünes Hemd und wie immer seine Uhr. Ich habe mich für ein schlichtes weißes Nike-Shirt entschieden und ausnahmsweise meine rosegoldenen Ohrringe an. Meine Haare trage ich in einem Dutt, wie ich es meistens tue.

Als wir bei Vickys Haus ankommen, hört man die Musik schon von draußen. Die Party scheint sehr gut besucht zu sein, was vermutlich auch an Vickys Bruder liegt. Er geht auf eine andere Schule und schmeißt genauso gerne Partys wie sie. Auch er ist sehr beliebt, sodass alle mit ihm befreundet sein wollen. Wir laufen durch einige Typen hindurch, die ich nicht kenne und entdecken dann schnell Toby auf einem Sofa. Er winkt uns zu sich und fragt mich direkt nach einem Rat für seine Schwedin. Ich habe die beiden in den letzten Tagen hin und wieder beobachtet, sodass ich mit gutem Gewissen sagen kann: „Mach dir keine Sorgen, sie mag dich." Er grinst sofort und reicht mir einen Becher mit Bier.

Toby hat mir schon oft von seinen Frauenproblemen erzählt und es stört ihn nicht, dass ich das nicht erwidere. Vielleicht geht er auch einfach davon aus, dass ich in niemanden verschossen bin. Mik zieht mich kurz darauf in ein Gespräch über Justin Bieber und Selena Gomez und wir diskutieren sicher eine halbe Stunde über all die Theorien im Netz. Er erzählt mir einiges über sein zuhause und fragt mich nach meiner Schwester und dem Fußball. Ich könnte mich wohl ewig mit ihm unterhalten, werde jedoch davon abgelenkt, dass Vicky in den Raum kommt. Es ist ein Phänomen, dass sie jedes Mal alle Blick auf sich zieht, sobald sie einen Raum betritt. Sie scheint den Raum mit ihrem Blick abzusuchen und bleibt dann an mir hängen. Wie immer lächelt sie nett, zeigt mir dann jedoch auch, dass ich zu ihr kommen soll. Ich entschuldige mich bei Mik und laufe ihr hinterher durch einen langen Flur.

Beim letzten Mal als ich hier war, waren wir nur draußen, sodass ich keine Ahnung habe, wo wir hingehen. Sie greift nach meiner Hand und zieht mich eine Treppe hoch in den ersten Stock. Dort durchqueren wir ein Zimmer, das wie ein Büro aussieht und landen dann auf einem großen Balkon. Von hier aus kann man über den Garten sehen und immer noch die Stimmen der vielen Leute hören, sie sind jedoch wesentlich leiser. „Ich brauchte eine Pause", murmelt Vicky und kramt in ihrer Tasche herum, um dann ihre E-Zigarette herauszuholen. „Wovon?", frage ich ehrlich und sie lehnt sich an das Geländer und zieht erstmal an der Zigarette. Dann lässt sie den Rauch mit einem tiefen Atemzug aus ihrer Nase entweichen und meint: „Es klingt vielleicht arrogant, aber davon, dass mir alle nachlaufen."

Ich mustere sie von der Seite und bin überrascht, dass sie mir das so ehrlich sagt. Ich lehne mich neben ihr an das Geländer und frage: „Aber ich bin okay?" Sie lächelt leicht und nickt, während sie ihren Blick über den Garten schweifen lässt. „Ich mag dich", sagt sie und sofort schießt mir Blut in meine Wangen. Victoria Dawson mag mich. Ich muss automatisch breit lächeln, obwohl ich versuche, es zu verstecken. „Du bist so normal, das gefällt mir. Bei dir fühle ich mich so besonders", fügt sie hinzu und mein Lächeln fühlt sich mit einem Mal nur noch halb so echt an. Wieder spüre ich das komische Gefühl in meinem Bauch wie neulich im Kino. Sie fühlt sich bei mir besonders, weil ich so normal bin? Ich schaue schnell ebenfalls in den Garten, um zu verstecken, dass sie mich verletzt hat.

Sie erzählt irgendetwas über das Ferienhaus ihrer Eltern, doch ich höre ihr nicht wirklich zu. Ich sehe von Weitem wie Nat über etwas lacht, dass Caleb erzählt hat und frage mich, ob ich mit Vicky jemals das haben könnte, was sie haben. Diese Verbindung, vor der sich Nat eine Zeit lang sträuben wollte, es jedoch nicht konnte. Ich schwärme schon so lange für Vicky, dass ich nicht mehr weiß, wie ich es abschalten kann. Trotzdem ist ein Teil von mir dankbar, als sie wieder zurück zu ihren Freundinnen gehen will. Sie möchte mich zwar mitnehmen, doch ich sage ihr, dass ich Nat noch etwas versprochen hätte. Dann dränge ich mich durch einige Leute, um erstmal von Vicky weg zu kommen und meinen Kopf geordnet zu bekommen.

Auf dem Weg nach draußen, renne ich beinahe in jemanden hinein, der gerade nach drinnen möchte. Ich stoppe im letzten Moment ab und erkenne, dass Alice vor mir steht. Ihr Blick ist wie immer nichtssagend, doch sie mustert mich und ich meine eine kleine Gefühlsregung in ihrem Ausdruck zu erkennen. „Alles okay?", fragt sie und ich bereue wirklich, dass ich so viel Zeit mit ihr verbracht habe, dass sie aus meinem Gesicht lesen kann. Ich muss daran denken, was sie über Vicky gesagt hat und es macht mich noch wütender als vor ein paar Tagen. Ein kleiner Teil weiß, dass das auch daran liegt, dass sie vermutlich Recht hatte.

Schnell verdränge ich die Gedanken und schiebe mich einfach ohne ein Wort an der Schwedin vorbei nach draußen.


Only the rain knowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt