61.

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Die Gedanken verfolgen mich den ganzen Tag über und werden nicht leiser, als die anderen vorbeikommen.

Alice verhält sich sofort wieder distanzierter und ich verbringe die meiste Zeit mit Toby und Mik. Caleb, Nat und Kristen probieren direkt mal den Pool aus, während Ole und Per Schach spielen. Es ist ein angenehmer Nachmittag, doch ich bin trotzdem froh, als er vorbei ist. Markus und Anna sind zwar zuhause, gehen aber abends noch aus, sodass wir nicht mit ihnen zusammen Abendessen. Per lädt uns ein, noch einen Cocktail in der Abendsonne zu trinken, doch da wir morgen früh rausmüssen, passe ich. Nat schließt sich mir an und Alice ist schon nach dem Abendessen irgendwohin verschwunden. Kristen hat natürlich kein Problem damit, allein mit Per auf die Terrasse zu gehen und den Abend ausklingen zu lassen.

Noch auf der Treppe nach oben denke ich daran, wie der morgige Tag verlaufen wird, während ich über das edle Holzgeländer streiche. Wird es genauso sein wie in Deutschland oder vielleicht noch schlimmer? Wird Alice mich beachten? Mein Kopf brummt nur so, als ich in mein Zimmer trete, doch er schaltet sich sofort ab, als zwei Hände nach meiner Hüfte greifen. Bevor ich realisieren kann, dass Alice hier auf mich gewartet hat, hat sie mich schon von innen gegen die Tür geschoben und ihre Lippen auf meine gelegt. Ich brauche nur einen kurzen Augenblick, um aus meiner Starre aufzuwachen und ihren Kuss zu erwidern. Ihr Duft umhüllt mich und sie ist mir so nah, dass ich ihre Körperwärme an mir spüren kann. Sofort spüre ich, wie sie mir über den Tag gefehlt hat, obwohl wir im Grunde zu keiner Sekunde getrennt waren. Es ist nicht Alice, die mir gefehlt hat, es ist meine Zicke, die ich vermisse, wenn wir nicht allein sind.

Ich fahre mit meiner Hand in ihre offenen Haare und spüre, wie sie mir leicht in meine Unterlippe beißt. Ihre Finger zerren an meinem Shirt und sie raunt mir ins Ohr: „Zieh das aus." Den Gefallen tue ich ihr sofort und lege meine Lippen wieder auf ihre, um sie dann küssend in Richtung Bett zu schieben. Sie streicht mit ihren Fingern über meine Hüfte und meinen Rücken und hinterlässt überall ein heißes Kribbeln auf meiner Haut. Sie hat mir so sehr gefehlt und ich spüre eindeutig, dass ich mich auch nach ihrem Körper verzerrt habe. Ich drücke sie sanft in die Matratze und brauche mich gar nicht zu ihr zu beugen, weil sie mich bereits zu sich herunterzieht. „Ich liebe es, dich zu küssen", flüstert sie und ich muss lächeln. Es hat sich also nicht geändert, dass sie ein offenes Buch ist, sobald wir uns näherkommen.

Ich stütze mich mit meinem Arm ab, sodass ich sie ansehen kann und streiche sanft mit meinen Fingern über ihren Hals. „Schläfst du wieder hier?", frage ich und spüre an meinen Fingern die Stelle ihrer Haut am Hals, die nicht so glatt und perfekt ist wie der Rest. Sie beißt sich auf ihre Lippe und sagt dann leise: „Aber dann wird es noch schwerer." Ich hebe fragend meine Augenbrauen, weil ich nicht verstehe, worauf sie hinauswill. Ich spüre, wie sie mit ihrer Hand kleine Kreise über meinen Rücken fährt, als sie sagt: „Ich meine wir beide in einem Bett...mit dieser Spannung zwischen uns." Ich muss leicht grinsen, als ich kapiere um was sie versucht, herumzureden. Dann werde ich jedoch leicht stutzig über ihre Aussage und frage frei heraus: „Du willst nicht mit mir schlafen?"

Es ist einer der seltenen Momente, in denen Alice rot anläuft und ich liebe alles daran. Sie wirkt dann für einen Moment wie ein ganz normales Mädchen, das genau die gleichen Ängste hat wie jeder andere. Sie schlägt mir gegen meinen Arm und murmelt: „Natürlich will ich das, vielleicht manchmal zu sehr." Ein stolzes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen, doch sie fügt hinzu: „Aber jetzt noch nicht." Ich nicke direkt, weil ich gut verstehen kann, was in ihr vorgeht. Ich habe vielleicht schon meine Erfahrungen mit Mädchen gemacht, aber so weit war ich noch nie mit irgendwem. Auch ich bin gehemmt, doch gleichzeitig ziemlich sicher, dass ich mich viel zu sehr von ihr angezogen fühle, um mich selbst zu bremsen. Für sie muss das alles noch schwieriger sein, weil sie ständig an sich selbst zweifelt.

„Ich werde dich nie zu irgendetwas drängen", versichere ich ihr und sie lächelt kurz. „Ich fühle mich nie unwohl in deiner Nähe, Kiki", sagt sie und irgendetwas an diesem Kompliment macht mich unglaublich glücklich. Sie legt ihre Hand an meine Wange und flüstert dann: „Es tut mir leid, dass ich dich immer wieder enttäusche." Sofort schüttele ich den Kopf und erwidere: „Tust du nicht und bestimmt nicht damit, dass du mich nicht ranlässt." Ich gebe ihr einen sanften Kuss und beuge mich dann zu ihrem Ohr, um zu flüstern: „Glaub nicht, dass du mich damit abschrecken könntest." Als ich eine Gänsehaut an ihrem Hals erkenne, lasse ich mich zufrieden neben sie sinken. Sie dreht sich zu mir, um mich ansehen zu können und greift nach meiner Hand, um sie an ihr Herz zu ziehen.

„Hast du noch was mit Victoria zu tun?", fragt sie und erwischt mich damit leicht unvorbereitet. Statt mich zu rechtfertigen, erwidere ich in leichter Panik: „Hast du noch einen Freund?" Alice Blick wird kurz leicht verletzt, dann nickt sie mit zusammen gepressten Lippen. „Das habe ich wohl verdient", gibt sie zu und streicht mit ihren Fingern über meine. „Morgen wird scheiße, oder?", frage ich und sie nickt nachdenklich. Ich will sie nicht fragen, wie sie mit mir umgehen wird, wenn ihre Schulfreundinnen dabei sind. Sie ist gerade so offen zu mir, das will ich nicht kaputt machen.

„Ich freue mich jetzt schon auf morgen Abend", sagt sie und bringt mich damit zum Lächeln. „Ich auch", hauche ich und lehne meine Stirn an ihre. Ich spüre ihr Herz an meiner Hand klopfen und ihren Atem an meinen Lippen. In diesem Moment wird mir klar, dass ich viel mehr für Alice empfinde, als ich jemals wollte. Es ist nicht mehr nur dieses aufregende Kribbeln in meinem Bauch, es ist ein schwereres, tieferes Gefühl und ich muss sofort aufhören darüber nachzudenken, was es bedeutet. „Zähneputzen?", frage ich sie und sie nickt lächelnd.

An diesem Abend schläft Alice wieder in meinen Armen ein und es macht mir eine Sache klar.

Am Ende des Tages gehört sie mir.


Only the rain knowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt