~ Immer wenn es regnet, muss ich an dich denken ~
„Weil es mein Wunsch ist und du mir heute jeden Wunsch erfüllen musst", überredet Nat mich, eine Augenbinde anzuziehen. Es ist ihr Geburtstag und sie will mich unbedingt entführen, obwohl das wohl eher meine Aufgabe wäre. Sie fährt mit mir irgendwohin und führt mich dann über einen holprigen Weg, wo sie mich mehrmals im Kreis dreht. Ich weiß wirklich nicht womit sie mich nach all den Jahren noch überraschen will.
„Zähl bis zwanzig, dann kannst du gucken", meint sie und widerwillig mache ich, was sie von mir verlangt. Ich zähle, doch schon bei fünf nimmt sie wieder meine Hand und führt mich ein Stück weiter. Als ich über etwas stolpere, will ich sie schlagen, treffe jedoch knapp daneben und streife nur ihre Haare. Verwirrt bleibe ich stehen, Nat hatte ihre Haare heute überhaupt nicht offen. Perplex greife ich in die Richtung, in der ich die Person neben mir erahne und bekomme eine Schulter zum Greifen. Vorsichtig taste ich mich über den Hals hoch zu ihrer Wange und eine Gänsehaut schießt über meinen Rücken. Das kann nicht sein.
Schnell greife ich nach ihrer Hand und taste an ihrem Finger entlang. Ich finde einen Ring, doch es ist nicht derjenige, den ich selbst monatelang getragen habe. Etwas Enttäuschung macht sich in mir breit, als meine Hand jedoch ergriffen wird und kurz darauf wieder an den Hals der Person vor mir gelegt wird. Vorsichtig streiche ich mit meinen Fingern über die Haut und kann etwas Raues spüren, eine Narbe.
Mein Herz beginnt zu rasen und ich reiße mir sofort die Augenbinde von meinem Gesicht. Mein Mund klappt auf, als ich Alice vor mir stehen sehe. Sie lächelt leicht und meint: „Den Ring trage ich so schnell nicht wieder." Verwirrt runzele ich die Stirn, ich verstehe nicht, was hier passiert. „Tut mir leid, dass ich dich so überfalle, aber ich habe nur eine Chance und die kann ich unmöglich dem Zufall überlassen", sagt sie, doch ich verstehe noch immer nur Bahnhof.
„Dieser Ring, den ich so lange getragen habe, ist kein echter Alice, keins von den Schmuckstücken, die meine Eltern verkaufen, sind es. Du bist die einzige Person auf der Welt, die ein echtes Alice Schmuckstück besitzt und ich will, dass du auch die erste bist, die einen Alice-Ring besitzt." Überrascht hebe ich meine Augenbrauen und verstehe nicht, worauf sie hinauswill. Sie greift in ihre Jackentasche und holt eine kleine Schachtel heraus. Als sie vor mir auf die Knie geht, kapiere ich, was gerade passiert und mein Herz setzt für einen Moment aus. Mit einem Mal nehme ich alles viel klarer wahr.
Die vielen Blumen um uns herum, die daran erinnern, wie wir in Schweden im Schmetterlingsgarten gesessen haben. Der Feldweg, auf dem wir stehen, der früher Teil der S7 war und mich daran denken lässt, wie ich Alice zum ersten Mal geküsst habe. Alice, die vor mir kniet, in dem Vans-Shirt, das sie nur für mich gekauft hat und ohne all den teuren Schmuck, den sie sonst trägt.
„Ich liebe dich, Kiki und ich will keine weitere Sekunde ohne dich leben. Glaub mir, ich wäre nicht hier, wenn ich es nicht so meinen würde. Ich hätte dich nie so lange warten lassen, wenn es nicht nötig gewesen wäre. Ich habe Nats Segen und ich habe den Segen deiner Mutter. Ich habe selbst Finjas Segen, bitte, mach mich zur glücklichsten Zicke auf der Welt und werde meine Freundin." Tränen rinnen längst über meine Wangen und machen es mir schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Mein Körper handelt jedoch von selbst, kniet sich zu meiner Freundin und zieht sie in einen chaotischen Kuss. Von meinem Schwung überwältigt fällt Alice mit mir ins Gras, schafft es aber trotzdem meinen Kuss zu erwidern. Ich habe es so sehr vermisst ihr nah zu sein, ich will sie nie mehr loslassen.
„Ist das ein Ja?", fragt sie außer Atem zwischen den Küssen und ich nicke sofort. Lächelnd greift sie nach meiner Hand und schiebt mir den schönsten Ring, den ich je gesehen habe, an meinen Finger. „Ich liebe dich", flüstert sie mir zu und küsst mich voller Gefühl. „Ich dich auch", erwidere ich noch immer überfordert von meinen Gefühlen und lehne meine Stirn gegen ihre. Meine Schwedin ist hier bei mir und sie gehört mir allein.
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„Sie hat ja gesagt", verkündet Alice grinsend, als wir bei mir zuhause, was mittlerweile das gleiche wie Nats Haus ist, ankommen. Nat lässt direkt den Korken des Champagners platzen und kommt dann zu uns, um uns grinsend zu umarmen. Alice hat mir längst erzählt, dass sie schon seit Ewigkeiten geplant hat, mir diese Frage zu stellen. Sie hat einige Monate gebraucht, um den Mut aufzubringen, sich ihren Eltern entgegenzustellen und es dauerte weitere Monate, bis ihre Eltern wieder mit ihr redeten. Mittlerweile hat sie eine eigene Kollektion in Arbeit und wird eigene Boutiquen in Deutschland eröffnen. Per hat ihr bei allem geholfen und sie überredet mit zu Nats Hochzeit zu gehen. Eigentlich hatte Alice sich noch nicht bereit gefühlt, mich zu sehen, doch letztendlich hat es ihren Plan nur noch mehr bestärkt. Direkt nach der Hochzeit ist sie zu Nat gekommen und hat sie gefragt, ob noch immer die Chance bestehe, dass ich sie zurücknehmen würde. Da ich Nat erst kurz vor der Hochzeit gesagt hatte, dass ich noch immer verliebt in Alice bin, war das wohl ein Kinderspiel für meine beste Freundin.
Als Finja zu uns kommt, erkenne ich sofort, dass Alice sie nur übers Telefon gesprochen haben kann. Die Augen der Schwedin werden groß und sie schließt meine Schwester sofort in ihre Arme.
„Du bist so groß geworden", sagt sie verdattert und Finja grinst stolz. „Und ich kann Englisch", erwidert sie und bringt Alice damit zum Lachen. „Jetzt wo mein Deutsch langsam besser wird", sagt meine Freundin in nahezu akzentfreiem Deutsch. Sie hat wohl nie aufgehört, ihre Sprachkenntnisse aufzubessern. Ich muss darüber lächeln, dass sie das alles scheinbar wirklich schon ewig plant. Sie hat nie aufgehört an mich zu denken, ich könnte nicht glücklicher sein. „Herzlichen Glückwunsch", ertönt es aus einer anderen Ecke des Zimmers und ich erkenne Per, der seiner Schwester zunickt. Lächelnd umarme ich ihn und flüstere ihm zu: „Danke, dass du an ihrer Seite warst." Er grinst nur und schnappt sich dann einige Sektgläser, um sie von Nat befüllen zu lassen. Als meine Mutter zu mir kommt, schüttele ich lächelnd den Kopf: „Du hast es gewusst." Sie zuckt nur grinsend mit den Achseln und erwidert: „Ich wusste schon immer mehr als dir lieb ist." Schmunzelnd nicke ich und trete einen Moment weg vom ganzen Trubel ans Fenster.
Draußen hat es zu regnen begonnen und es ist wie eine Metapher für mich. Unsere Geschichte hat mit Regen begonnen und er ist noch immer unser Begleiter. Die vielen kleinen Tropfen wussten die Wahrheit schon lange bevor es irgendwer von uns wusste. Meine Schwedin gehört zu mir und ich werde sie nie mehr gehen lassen. „Komm mit", flüstert Alice mir ins Ohr und zieht mich an meiner Hand mit auf die Terrasse.
Auf dem Rasen stehend, mit Regentropfen auf der Haut, lächelt sie mich an und meint: „Wir sollten Kristen dafür danken, dass sie sich Corona eingefangen hat." Lachend streiche ich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schließe die Lücke zwischen uns. Wir küssen uns im strömenden Regen, es ist Anfang Frühling, doch uns ist nicht kalt.
Vielleicht weil der Regen mittlerweile unser Freund ist.
Vielleicht weil in uns beiden endlich wieder ein Feuer lodert, dass so schnell nicht erlöschen wird.
Oder vielleicht weil sich Schweden für mich genau so anfühlen muss.
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Oh Leute, unfassbar, dass es schon wieder so weit ist. Ich muss mich wie schon so oft bei euch für all die netten Worte und vielen Votes bedanken. Es war mir eine Ehre, euch mit dieser Geschichte unterhalten zu dürfen und ich hoffe, dass sie euch zum Lächeln bringen konnte.
Es tut mir selbst ein bisschen weh, diese Geschichte zu beenden, weil mir die Charaktere wirklich ans Herz gewachsen sind. Wie ihr mich aber kennt, dauert es nicht lange bis zu unserer nächsten Reise.
Auf ein baldiges Wiedersehen <3
skamy2009
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Only the rain knows
RomanceKyra ist seit sie denken kann verknallt in ein Mädchen, das nicht mal weiß, dass sie existiert. Sie ist zu schüchtern, um den nächsten Schritt zu wagen, als aus dem Nichts jemand in ihr Leben tritt, der alles verändern wird. Es ist sehr viel leicht...