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Das zweite Fußballtraining macht ähnlich viel Spaß wie das erste, zumindest bis Victoria mit ihren Freundinnen am Spielfeldrand auftaucht. Zunächst habe ich Angst, dass es mich zu nervös macht, doch ich bekomme es ganz gut ausgeblendet. Alice scheint es dabei jedoch anders zu gehen, da sie in den letzten Minuten keinen gescheiten Pass mehr zustande bringt. Ich versuche sie aufzumuntern, doch sie ignoriert die Versuche gekonnt. Ich vergesse immer wieder, dass ich in der Nähe ihrer Freundinnen quasi nicht existiere. Also lasse ich es schließlich sein und konzentriere mich stattdessen auf meine Leistung. Die Trainerin ist sehr zufrieden mit dem Training und sagt mir, dass ich am Samstag in die Startelf komme. Selbst Victoria lächelt mich an, als ich an ihr und ihren Freundinnen vorbeilaufe und meint: „Ziemlich cooles Tor." Sofort entsteht ein Lächeln auf meinem Gesicht und ich spüre, wie der Stolz meinen Körper nur so durchflutet.

Den ganzen restlichen Tag bin ich super gelaunt und sage auch sofort zu, dass wir Sonntag bei den Jungen wieder zusehen. Alice verschwindet zuhause direkt im Zimmer, doch selbst das kann mir nicht meine Laune vermiesen. Ich gehe mit meiner Schwester zu den Enten im Park und spiele dann ein bisschen auf der Straße mit ihr Fußball. Zwischendurch überlege ich, mit Alice zu reden, doch als sie bei unserem abendlichen Ritual wieder am Start ist, verwerfe ich den Gedanken. Wir bringen Finja zusammen ins Bett und Alice erzählt ihr wieder irgendetwas auf Schwedisch. Ich sitze auf dem Boden vorm Bett, halte die Hand meiner Schwester und schließe ebenfalls die Augen. Es ist erstaunlich wie schön die Stimme eines Menschen sein kann.

Als sie fertig mit erzählen ist, öffne ich die Augen wieder und lege meinen Kopf leicht schief. Sie sieht mich an und ihr leichtes Lächeln, ermutigt mich zu fragen: „Würdest du ihr etwas vorspielen, wenn du eine Gitarre hättest?" Sie wirkt sichtlich überrascht von der Frage und wirkt so, als würde sie einige Momente darüber nachdenken. „Vielleicht", flüstert sie und steht dann auf. Sie hält mir ihre Hand hin und fügt hinzu: „Aber nur, wenn du nicht dabei bist." Ich schmunzele leicht und lasse mir von ihr aufhelfen.

Der Freitag fliegt nur so an uns vorbei und schon steht das Spiel am Samstag an. Alice darf noch nicht mitspielen, aber sie unterstützt unsere Mannschaft trotzdem von der Tribüne. Nat hat Caleb und die anderen Jungs dazu gebracht, ebenfalls zu kommen und die Stimmung ist echt gut. Als ich Victoria auf der Tribüne entdecke, schlägt mein Herz schneller und mir wird bewusst, wie wichtig dieses Spiel für mein Selbstbewusstsein sein könnte. Unsere Kapitänin Emma stellt uns auf das Spiel ein und gewinnt dann auch die Seitenwahl. Schon nach wenigen gespielten Minuten spüre ich, wie gut es mir tut, wieder auf dem Platz zu stehen. Mir gelingt fast alles und ich schaffe es Emma ein Tor aufzulegen. Sie läuft grinsend zu mir und klatscht mit mir ab: „Das habe ich vermisst."

Wir führen zur Halbzeit 2:0 und das Publikum schenkt uns lauten Applaus auf dem Weg in die Kabine. Die zweite Halbzeit verläuft ereignislos, bis wir einen Konter fahren und Emma mir einen perfekten scharfen Pass zuspielt. Ich vollende mit der Hacke ins untere linke Eck und laufe grinsend zur Tribüne, wo mir alle zujubeln. Nat und Caleb sind aufgesprungen und versuchen sich in der Lautstärke ihres Jubels zu überbieten, Toby tippt an seinen Kopf, um mir zu zeigen, wie intelligent mein Angriff war. Ich grinse breit und als ich zu Victoria sehe, zwinkert sie mir zu. Mein Herz schlägt schneller, doch unser Blickkontakt wird unterbrochen, als meine Mitspielerinnen zu mir kommen und mich fast umwerfen, als sie mich umarmen.

Wir gewinnen 4:0 und rücken dadurch in der Tabelle vom fünften auf den vierten Platz. Die Stimmung nach dem Spiel ist super und als ich zu meinen Freunden laufe, legt Caleb direkt seinen Arm um mich und ruft: „Siegesfeier bei mir zuhause." Nat zieht mich in eine Umarmung und sagt mir wie stolz sie auf mich ist und Toby wuschelt mir durch meine frischgewaschenen Haare. Als Alice neben ihm auftaucht, habe ich den Drang in mir, sie zu umarmen. Im Grunde habe ich nur dank ihr wieder ein Spiel bestritten. Sie lächelt leicht, was mir den nötigen Mut gibt, einen Schritt auf sie zu zumachen und mich kurz an sie zu schmiegen. Sie zuckt direkt zusammen, schließt dann aber ihre Arme um mich und flüstert mir zu: „Dein Tor war mega." Wie immer entsteht eine Gänsehaut in meinem Nacken und ich muss lächeln, als sie sich wieder von mir löst. Für einen Moment erwidert sie es, doch dann wird ihr Ausdruck wieder kühl und sie beendet unseren Augenkontakt. Wie zu erwarten, ertönen die Stimmen der Schwedinnen hinter mir, die zu Alice laufen und ihr irgendetwas erzählen.

Ich drehe mich von ihnen weg und will mit Nat reden, als Victoria auf mich zu kommt. „Das war echt klasse", sagt sie und bringt mich damit zum Lächeln. „Danke", sage ich und irgendwoher nehme ich den Mut zu fragen, ob sie beim nächsten Spiel auch zusehen will. Sie nickt direkt und bringt meinen Puls damit mit Sicherheit in einen kritischen Bereich. „Ich habe gehört, dass es eine Party bei Caleb gibt?", fragt sie und bevor ich antworten kann, kommt Caleb selbst zu uns. „Für Getränke und Pizza ist gesorgt, kommt wann immer ihr wollt", sagt er und sagt den anderen dann Bescheid, dass wir los wollen. Ich schaue zu Alice und ich meine erahnen zu können, dass sie mir einen entschuldigenden Blick zuwirft. Letztendlich kann mir egal sein, ob sie bei ihren Freunden bleibt, da die wohl auch alle auf die Party kommen werden. Also fahre ich mit Caleb und Toby mit und nehme Emma und eine weitere Spielerin gleich mit. Die Fußballerinnen haben sonst nicht viel mit den Fußballern zu tun, aber vielleicht habe ich ja die Chance, das zu ändern.

„Das könnte ich den ganzen Tag machen", meint Nat, als wir uns nach einer Erfrischung im Pool auf die Liegen daneben legen. Es ist ein heißer Tag und die Abkühlung nach dem Spiel ist wirklich angenehm. Caleb bringt uns Colas und springt dann selber ins Wasser, um mit Toby Wasserball zu spielen. Es ist ein toller Tag und ich freue mich sogar, als Victoria mit der großen Gruppe Mädchen an den Pool kommt. Ausnahmsweise fühle ich mich nicht hilflos, sondern stark und bereit, einen Schritt auf sie zuzugehen. Ich stehe auf und will zu Vicky gehen, als Caleb den Wasserball volle Wucht in das Gesicht kriegt. Es erinnert mich an eine Szene aus dem Film, den wir mit Per und Alice im Kino gesehen haben und ich muss lachen. Schnell gehe ich zu Alice, weil ich weiß, dass sie darüber lachen wird.

Aus Gewohnheit gehe ich dicht zu ihr, um ihr meine Beobachtung zuflüstern zu können, doch in dem Moment dreht sie sich in meine Richtung und streift mit ihrer Hand meine nackte Hüfte. Sofort kribbelt meine Haut an der Stelle und ich zucke leicht zusammen. Alice selbst wirkt so, als hätte ich ihr einen Stromschlag gegeben und weicht von mir zurück. Ich will ihr den Witz erzählen, doch sie wirft mir einen so abweisenden Blick zu, dass es mir durch Mark und Bein geht. Kurz schaue ich sie verständnislos an, doch dann kapiere ich, dass es nur an ihren Freundinnen liegen kann. Ist es ihr Ernst, dass sie nicht mal ein Wort mit mir wechseln kann, wenn sie in der Nähe sind? Enttäuscht schüttele ich den Kopf und gehe zurück zu Nat. All meine Zuversicht in Bezug auf Victoria ist mit einem Mal verschwunden und ich will mich einfach nur verkriechen.

Als Nat zu Caleb gehen will, greife ich schnell nach ihrem Handgelenk und frage: „Kannst du bei mir bleiben?" Sie mustert mich besorgt und schaut dann rüber zu Victoria, die mit ihren Mädels wieder mal Shisha raucht. „Das wird schon, es braucht nur Zeit", versucht mich meine beste Freundin aufzumuntern. Wenn sie nur wüsste, dass meine Laune ziemlich wenig mit Vicky zu tun hat. Tatsächlich ist es am Ende Toby, der meine Laune wieder verbessert, in dem er versucht meinen Hackentrick mit dem Wasserball nachzumachen und dabei ausrutscht. Grinsend zeigt er auf mich und meint: „Morgen probiere ich dasselbe, Kiwi." Ich muss leicht lächeln, als mir jedoch der Spitzname auffällt und mein Blick auf Caleb fällt, der so tut, als hätte er gar nicht zu gehört. „Na warte", sage ich und schnappe mir den Wasserball, um Caleb damit abzuwerfen. Der läuft nur lachend vor mir weg und ruft, dass es nicht seine Schuld sei.

Wir essen Pizza und schauen abends wieder Fußball mit beiden unserer Mannschaften. Victoria und ihre Mädels gehen irgendwann, weil sie doch recht wenig von der Bundesliga verstehen und Alice geht mit ihnen mit. Ich bin ziemlich froh darüber, weil ich mich dadurch wieder wohler fühle und den Abend genießen kann. Nat bringt mich nach dem Spiel heim und obwohl ich müde bin, schaffe ich es nicht einzuschlafen. Ich höre, wie Alice um kurz nach Mitternacht in die Wohnung kommt, meine Mutter wird ihr wohl einen Schlüssel gegeben haben.

Heute ist der erste Tag seit letztem Sonntag, an dem ich wieder wünschte, sie wäre zu Natasha gezogen.


Only the rain knowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt