Kapitel 16

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( M e l o d y )

In einer beigen Stoffhose und einer schwarzen Bluse bekleidet lief ich langsam die Treppen herunter. Nachdem Silas den Abend so abrupt beendet hatte, wollte ich mein Zimmer nicht verlassen, um ihm nicht zu begegnen, doch mein Hunger hatte mich besiegt. 

Ich hoffte, dass er weg oder zumindest in seinem Büro war, doch dieser Gedanke löste sich in Luft auf, sobald seine dunkle Stimme aus der Küche drang. 

Ich biss die Zähne zusammen, widerstand dem Drang, auf der Stelle kehrt zu machen und mich wieder nach oben zu schleichen. Es hatte keinen Sinn, denn ich war erst einen verdammten Tag hier in meiner persönlichen Hölle. 

Als ich um die Ecke in die Küche sah, traf mich der Blick einer kleinen, älteren Dame. Sie war es mit der Silas, der an dem Küchentisch gelehnt stand und seinen Kaffee trank, gesprochen hatte. Er trug einen dunkelblauen Anzug, der so gut saß, dass er sicherlich maßgeschneidert war. 

Silas sah von seiner Tasse auf und musterte mich auffällig, jedoch ohne seine Miene zu verziehen. Der Blick der älteren Dame wanderte von ihm zu mir und sie lächelte mich an. 

"Guten Morgen, Miss Thompson", sang sie und trat einen Schritt auf mich zu. Nervös verschränkte ich meine Hände ineinander, versuchte Silas Blick zu ignorieren. "Guten Morgen", gab ich leise zurück. 

"Mein Name ist Gigi", erklärte sie und rieb sich die Hände an ihrer Schürze. Ihre großen, beinahe schwarzen Augen funkelten mich freundlich an. "Ich arbeite für Mr. De Clare und seine Familie. Wenn sie etwas benötigen, dann lassen Sie es mich gerne wissen" 

"Vielen Dank... Gigi", antwortete ich und konnte nicht widerstehen, einen weiteren Blick auf Silas zu werfen. 

Sobald unsere Blicke sich trafen, versteinerte seine Miene. Unsanft ließ er seine Tasse auf dem Küchentisch zurück und lief an Gigi vorbei. Er blieb für eine Millisekunde neben mir stehen, ohne aufzuschauen und verließ den Raum. 

Ein kalter Schauer jagte mir durch den ganzen Körper, dann roch ich seinen Duft, den er im Vorbeigehen hinterlassen hatte. 

Silas roch nach Vanille und Strandurlaub. Und ich liebte Vanille und Strandurlaub. 

Es war ironisch, dass jemand wie er so sanft roch. 

"Möchten Sie Frühstück?", riss Gigi mich aus meinen Gedanken. Kurz darauf erkannte ich, dass ich Silas perplex hinterher gestarrt hatte. Ich nickte ihr mit geröteten Wangen zu. "Frühstück klingt gut", gab ich kleinlaut von mir. 

Gigi bereitete mir ein Rührei mit Avocado-Toast zu und ich aß im Wohn- und Essbereich. 

Seit dem Silas wortlos gegangen war, hatte auch sie nicht mehr viel mit mir gesprochen. Vielleicht hatte er ihr die Anweisung gegeben, mich zu ignorieren, denn es kam mir nicht so vor, als hätte sie etwas gegen mich und dennoch hatte sie jeden Versuch meinerseits, mit ihr Smalltalk zu führen, abgeblockt.

Ich kaute gedankenverloren auf meinem letzten Bissen herum, starrte auf das Sofa vor mir und dachte wieder einmal an den gestrigen Abend. 

Vielleicht war es das, was Silas wollte: Mich für einen kurzen Augenblick in Sicherheit wiegen, mir einen Funken von Vertrauen abfordern, um ihn dann zu zerstören. 

Er hatte mich regelrecht von sich geschubst, seine Miene versteinert. Und dann... hatte er gegrinst und gesagt, ich solle verschwinden, bevor ich mich endgültig lächerlich machen würde. 

Man könnte sich die Frage stellen, weshalb ich mich lächerlich machte, doch ich wusste es genau in der Sekunde, in der er es gesagt hatte: Ich WOLLTE ihn küssen - und er hatte es gespürt. In diesem Moment hatte ich etwas zwischen uns gespürt und WOLLTE ihm nah sein. 

Secrets of London I Dark Romance / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt