Kapitel 27

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( M e l o d y )

Ein kalter Windhauch zog durch meine Jacke hindurch und ich schlang meine Arme um meinen Oberkörper. Der Himmel war so grau, dass er einem das Gefühl gab, der Tag wäre nie richtig angebrochen. 

All das passte ganz wunderbar zu meiner Stimmung. 

Mein Lieblingsplatz in dem Garten vor der Schule fühlte sich nicht mehr so an wie vor wenigen Wochen. 

Meine ganze Existenz fühlte sich nicht mehr so an, wie vor wenigen Wochen. 

Meine Fingerspitzen waren taub und ich war mir sicher, dass es nur zum Teil daran lag, dass es so kalt draußen war. 

Schwer atmend beobachtete ich die wenigen Mitschüler, die sich bei dem Wetter ebenfalls vor die Tür getraut hatten. Sie liefen zu zweit die Wege entlang, vertraten sich die Beine zwischen ihren Tutorien. 

Die Art, wie sie liefen, verriet mir viel über ihren Wissensstand. Zwei von ihnen liefen schnell, unterhielten sich angeregt und gestikulierten viel mit ihren Händen - das Lernen lief aktuell nicht gut für sie. 

Zwei weitere hatten jeweils einen Kaffeebecher in der Hand. Sie starrten auf den Boden vor sich und unterhielten sich leise. Sie waren fokussiert, ihre Lernpause bloß obligatorisch und sie waren draußen, um ihren Gehirnen neuen Sauerstoff zu liefern - sie würden die Prüfungen ohne Probleme bestehen. 

Unwillkürlich fragte ich mich, wo ich stand. Meine Freundinnen und ich lernten viel, aber mein Kopf war oft ganz woanders. Entweder bei Silas und unserem letzten Kuss, der so ganz anders war als alles andere davor. Dieser Kuss war... leidenschaftlich.

Oder meine Gedanken drifteten zu der Vorstellung ab, dass ich nach meinem Abschluss direkt von einem Ballkleid in ein Hochzeitskleid springen sollte. 

Die Vorstellung, dass Silas De Clare mich leidenschaftlich küsste erschien mir weniger absurd als die Hochzeit. 

"Kaffee?", holte mich eine Stimme aus meinen Gedanken und ich zuckte zusammen. Zwei Beine, gehüllt in einer dicken schwarzen Leggings blieben vor mir stehen. Ich schaute hoch, blinzelte ein paar Mal, bis ich Emma erkannte. 

Sie verlagerte ihr Gewicht von einem Bein zum anderen, während sie mir einen der beiden Kaffeebecher vor die Nase hielt. "Danke", sagte ich, während ich den Becher nickend entgegen nahm. 

"Mir ist beim besten Willen kein Grund eingefallen, wieso du bei den Temperaturen über eine Stunde hier draußen herumsitzt, deshalb dachte ich mir, ich setze mich zu dir und finde es heraus", damit ließ sie sich auf den Platz neben mir fallen und umklammerte mit beiden Händen den Becher. 

"Ich wusste nicht, dass ich schon eine Stunde hier sitze" Das erklärte zumindest die tauben Finger. 

"Also", Emma räusperte sich nachdenklich, "was ist los?"

"Das sind meine ersten großen Prüfungen an dieser Schule und ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren", brummte ich und nahm einen Schluck aus dem Becher. Der Kaffee war noch ziemlich heiß, doch das störte mich nicht. Ich genoss die Wärme, die sich in mir ausbreitete. 

"Und warum kannst du dich nicht konzentrieren? Ist es wegen Silas?" Wohlwissend lehnte Emma sich zurück und sah in die Ferne. Sie schien die beiden Mitschüler zu beobachten, die immer noch wild gestikulierten und diskutierten. Das hielt sie mit Sicherheit warm. 

Emma wusste nicht viel über das, was zwischen Silas und mir passiert war. Sie wusste, dass wir uns auf eine merkwürdige Art angefreundet hatten... und dass wir uns geküsst hatten. 

Ich ertrug es nicht mehr, länger darüber zu schweigen. Es fühlte sich an, als würde ich jedem, der mir nah stand, etwas vormachen. Allen voran mir selbst. Auch wenn ich noch nicht bereit war, über alles zu sprechen, war es dennoch eine Erleichterung. 

Secrets of London I Dark Romance / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt