Kapitel 19

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( M e l o d y )

In den darauffolgenden Tagen sah ich Silas nicht ein einziges Mal. Ich war mir sicher, dass er viel zu tun hatte, doch unterbewusst stellte ich mir die Frage, ob er mir aus dem Weg ging. 

Dadurch, dass ich in meinen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung sehr eingeschränkt war, hatte ich meine Hausaufgaben in drei Tagen fertig bekommen. 

Ich fühlte mich etwas freier darin, in dem Haus herumzulaufen, sah es mir genauer an und stöberte durch die Bücherregale. Es gab ein paar Romane und Krimis, die ich mir durchlesen wollte. Während des Schuljahres blieb kaum Zeit etwas anderes zu lesen, als Schulbücher, daher nahm ich mir vor, die Zeit hier sinnvoll zu nutzen. 

Die letzten Sonnenstrahlen versiegten mit jedem Tag mehr, die Nacht brach immer früher ein und so fand ich mich bäuchlings auf meinem Bett und mit einem Buch in der Hand wieder, während die Regentropfen auf dem Fensterglas tanzten. 

Die hälfte des Buches hatte ich bereits gelesen, als ich unten ein Poltern hörte. 

Erschrocken zuckte ich zusammen und ließ das Buch auf mein Bett fallen. Ich tastete die Matratze nach meinem Handy ab: 20:45 Uhr. Ich schien drei Stunden lang so vertieft gewesen zu sein, dass ich sogar vergessen hatte, mir mein Abendessen aus der Küche zu holen.

Ich hatte Gigi darum gebeten, es mir in die Küche zu stellen und vermutlich war sie es, die unten gerade aufräumte. Ich schwang mich vom Bett, wollte mich dafür entschuldigen, das ich das Essen bisher nicht angerührt hatte, doch ich mein Zimmer verließ, stellte ich fest dass nirgendwo Licht brannte. Ich konnte das Knacken von Feuer hören, das vermutlich aus dem Wohnzimmer kam. 

Das konnte bloß Silas sein...oder?

Unsicher schlich ich die Treppe hinunter, konnte nichts weiter hören als das Feuer und sah die Schatten, die durch den Türschlitz in den Flur drangen. 

Vor der geschlossenen Tür blieb ich stehen, fragte mich ob ich anklopfen sollte, doch dann verwarf ich den Gedanken wieder. Es kam mir komisch vor, denn ich wohnte ja hier - zumindest noch für ein paar Tage - also sollte Silas damit rechen, dass ich das Wohnzimmer betrete. 

Ich öffnete extra laut die Tür, wollte mich extra bemerkbar machen, doch dann hielt ich in der Bewegung inne. 

Meine Augen wurden groß und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als ich Silas auf dem Sofa erkannte. Ich hielt mir die Hand vor den Mund, konnte nicht anders, als ihn anzustarren. 

Er trug eine schwarze Anzughose und ein schwarzes Hemd - oder das, was davon noch übrig geblieben war. Es war förmlich aufgerissen, gab seine Tattoos preis und ich konnte Blut erkennen. Sein Haar war durcheinander, seine Fingerknöchel blutig und offen, doch er hielt lediglich ein Glas Whiskey in der Hand, stützte es auf der Armlehne ab und starrte ins Feuer. 

Er rührte sich nicht, als ich den Raum betrat, auch nicht als ich mich räusperte. 

"Silas?", fragte ich vorsichtig. Sein Kopf bewegte sich nur wenige Millimeter in meine Richtung, bevor er sich wieder zurückdrehte. 

Ich schluckte schwer, zwang mich dazu, einen Bogen zu laufen und mich vor ihn zu stellen. 

Meine Lippen schürzten sich, als ich nun einen uneingeschränkte Blick auf ihn erhaschte. Er hatte ein blaues Auge und riesige Kratzer auf seinem Oberkörper. Er sah furchtbar aus. 

"Was ist passiert?", fragte ich besorgt und kniete mich vor ihn. 

Silas sah mich an. In seinen Augen lag eine Taubheit, die ich noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte - oder überhaupt bei einem Menschen. 

Secrets of London I Dark Romance / AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt