Harry
Keinen Freund und keine Familie. Schlimmer hätte es sie nicht treffen können. So weit entfernt von zu Hause und dann musste sie auch das noch durchmachen. „Komm mit zu mir. Mein Haus ist groß. Es hat mehrere Gästezimmer, einen Garten, einen Pool. Du kannst dich da wie zu Hause fühlen und erst mal abschalten", platzte es, ohne weiter darüber nachzudenken, aus meinem Mund. „Dort ist so viel Platz, dass du dich auch zurückziehen kannst, wenn dir danach ist." Ich spürte den Blick von Rocco in meinen Nacken und auch ihre Verwunderung. „Wenn das für dich okay ist, natürlich. Es ist ein Angebot,... wenn du nicht alleine sein möchtest." Was zum Geier redete ich da eigentlich? „Nur,... wenn es keine Umstände bereitet", hauchte sie leise mit gesenktem Blick. „Überhaupt nicht. Sollen wir dann noch schnell ein paar Sachen von dir holen?", fragte ich und wartete nervös auf ihre Antwort.
Zögerlich nickte sie und sagte Rocco die Adresse ihres Hotels. Sofort machte er sich auf den Weg und fuhr zum „Seaside Inn" nahe dem Santa Monica Pier. Das kleine Hotel hatte glücklicherweise eine Tiefgarage, durch die wir ungesehen ins Innere kamen. Während Emma ihre Sachen zusammen suchte, blieben Rocco und ich draußen vor der Tür, um ihr ein bisschen Privatsphäre zu geben, aber in der Nähe zu bleiben, wenn sie Hilfe benötigte. Ich spürte immer wieder den Blick von Rocco, der mich nun langsam nervös machte. „Was?", fragte ich flüsternd auf dem Hotelflur. „Geht es dir gut? Seit wann lässt du eine Frau in dein Haus?", fragte er mich ebenso flüsternd.
Ich verstand seine Frage, die nicht unberechtigt war. Prinzipiell lasse ich niemand Außenstehenden in mein Haus. Doch bei Emma war es eine besondere Ausnahme. Die Situation war komplett anders. „Was sollte ich den machen? Ich konnte sie doch nicht einfach bei einer Beratungsstelle absetzten und sagen, dass sie da gut aufgehoben sei", erklärte ich Rocco meinen Standpunkt. „Und hier hätte ich auch nicht bleiben können. Früher oder später würde mich jemand in diesem Hotel erkennen und die Schlagzeilen dazu wären heftig. Das kann ich ihr doch nicht zu muten, nachdem was vorgefallen ist", fügte ich hinzu und merkt, dass meine Stimme immer lauter wurde. „Ist ja gut. Ich hab es ja verstanden. Du herzensguter Samariter. Ich hoffe nur, dass du dich nicht überschätzt mit der Situation", sprach Rocco offen und ehrlich. Ich nickte besorgt. „Das hoffe ich auch", erwiderte ich und schaute auf die Hoteltür von Emma. „Wenn das mal gut geht!", schnaufte er und verdrehte die Augen.
Kurz darauf kam Emma mit einer Tasche aus ihrem Zimmer. „Ich habe alles." Ihre Stimme war plötzlich so zaghaft und heiser. Noch immer hatte sie das zerrissene Kleid an und trug meine Jacke darüber. Ihr langer geflochtener Zopf war zerzaust und einzelne Strähnen hingen ihr ins blasses Gesicht. „Komm, Emma, lass uns verschwinden", forderte ich sie auf, übernahm ihre Tasche und bat sie mit einer Handbewegung vorauszulaufen. Es fiel mir verdammt schwer, sie nicht schützend in den Arm zu nehmen. Ich ließ sie zwischen Rocco und mir laufen. Wir schafften es schnell und ungesehen aus dem Seaside Inn zu verschwinden. Im Auto schaute sie die ganze Fahrt über aus dem Fenster und sprach kein Wort. Sie sah müde und erschöpft aus. Und das war sie auch, denn ich konnte im Augenwinkel erkennen, wie ihr ständig die Augen zufielen. „Emma?", sprach ich sie leise an, damit sie nicht aufschreckte. Mit müden Augen sah sie zu mir und versuchte etwas zu lächeln. „Halte noch ein bisschen durch. In gut 5 Minuten sind wir bei mir." Mit einem nicken sah sie dann wieder aus dem Fenster.
Sie hatte all ihre Energie verbraucht durch diesen Abend. Das, was ihr widerfahren war, sollte niemanden passieren. Ich war so stinksauer auf Brenner. Vorhin musste ich mich zügeln, um ihn nicht ins Koma zu prügeln. Als ich Emma sah, wie er sie auf die Motorhaube presste und sich an ihr rieb wie ein läufiger Köter, habe ich nur noch rotgesehen. Hätte ich nicht beim Einsteigen diese seltsamen Geräusche gehört, wer weiß, was dann mit ihr geschehen wäre. Warum bin ich nicht einfach früher hinter ihr hergelaufen, vielleicht wäre das überhaupt nicht passiert. „Harry,... hör auf damit", hörte ich Roccos Stimme. Ich schaute in seine Augen, die sich im Rückspiegel spiegelten. „Du hast alles richtig gemacht. Du machst dir schon wieder zu viele Gedanken über 'was wäre, wenn'. Hör auf damit. Du machst dich nur kaputt." Mein Blick huschte zu Emma. Sie war eingeschlafen. „Ich weiß Rocco. Aber so bin ich nun mal. Ich mache mir um alles eine Platte." Das wusste er nur zu genau. Rocco begleitet mich inzwischen schon 4 Jahre und hatte einiges an Blödsinn mitbekommen, den ich verzapft hatte, aus dem er mich oft heraus boxen musste.
Endlich kamen wir auf meiner Zufahrt an. Das große Tor öffnete sich und gab den Weg zu meinem Haus frei. Erleichterung machte sich in mir breit bei dem Gedanken, nur noch wenige Meter von meinem sicheren Zufluchtsort entfernt zu sein. Eine Zuflucht, die jedoch für ein paar Tage auch für sie offen stand. „Emma ... Darling,... wir sind da!", flüsterte ich ihr zu und schaltete das Licht im Innenraum des Wagens an. Langsam öffnete sie ihre Augen und rieb sie sich verschlafen die Augenlider.
Sie sah mich an und begann ganz leicht zu lächeln. Sie erschrak nicht. Ich lächelte zurück und stieg aus dem Wagen, als Rocco anhielt. Ich eilte herum und öffnete für Emma die Tür. „Pass auf die Kante ...", begann ich, da blieb sie auch schon mit dem Saum ihres Kleides am Metalltritt hängen und riss sich den Stoff noch mehr kaputt. „Tut mir leid, Emma ..." Doch sie schüttelte nur mit dem Kopf und winkte mit der Hand ab. „Egal. Ich werde dieses Kleid sowieso verbrennen. Also kann es ruhig kaputtgehen." Heiser und monoton sprach sie, während ich ihr Kleid vom Metall löste.
„Na dann willkommen bei mir zu Hause", hieß ich sie willkommen und führte sie zu meiner Eingangstür. Wortlos lief sie hinein und ich schaltete für sie die Lichter ein. Für diesen Moment schien ihre Müdigkeit komplett verschwunden zu sein. „Hier ist ihre Tasche!" Rocco stellte sie neben die Eingangstür und trat zu mir heran und legte seine Hand auf meine Schulter. „Du bist sicher, dass du das hier hinbekommst?", fragte er besorgt nach und sah zu Emma, die still vor meiner Sofalandschaft stand „Ich bin 27 Jahre und keine 12 mehr. Ich bekomme das schon hin." Rocco lachte kurz auf bei meiner Bemerkung. „Da wäre ich mir nicht so sicher, mein Freund! Aber gut. Wenn irgendetwas ist oder ihr was braucht, ruft durch. Ich bleibe in Bereitschaft."
Rocco verabschiedete sich bei uns und verließ eilig mein Haus. Ich nahm mir Emmas Tasche und lief zu ihr rüber. „Komm, ich zeige dir dein Zimmer", forderte ich sie leise auf und legt meine Handfläche an ihren Rücken. Sie zuckte kurz zusammen, worauf ich sofort meine Hand wegnahm. „Tut mir leid. Ich bemühe mich, dich nicht zu berühren, versprochen", meinte ich. Sie nickte und senkte ihren Blick „Na komm." Forderte ich sie leise auf und ging voran zur großen Treppe, die in den zweiten Stock führte. Von hier gelangte man zu drei weiteren Zimmern. Links befand sich ein Gästezimmer und rechts mein Schlafzimmer. Gegenüber gab es ein zusätzliches Zimmer für Gäste. „Das hier ist dein Zimmer", erklärte ich und öffnete für sie die Tür. Ihren Augen weiteten sich, als sie das Gästezimmer betrat. „Dort hinten befindet sich ein Bad. Im Schrank hinter der Tür sind frische Handtücher. Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Ich bin unten im Wohnzimmer, wenn du mich suchst oder etwas brauchst", wies ich sie hin und stellte ihre Tasche auf dem Bett ab und ging wieder nach draußen auf den Flur. Sie lächelte und knetete nervös ihre Hände. „Danke, Harry. Für alles."
Mit einem Nicken und leichten Lächeln schloss ich die Tür des Gästezimmers. Ich strich mir müde durch meine Haare und lief nach unten ins Wohnzimmer. Dieser Abend hatte die größte Wendung angenommen, die ich je erwartet hätte. Von einer Bilderausstellung hin zur Polizei bis einer fremden Obhut geben. Mein Blick ging noch mal die Treppe hinauf. Erneut kochte die Wut hoch. Dieser Brenner ist das letzte. Emma war nicht das erste Opfer von ihm. Bisher ist er aber nie so weit gegangen. Die meisten Frauen, die er anbaggerte, waren alle karrieregeil und schliefen sich in ihrer Karriere hoch, um Erfolg zu haben. Aber Emma hatte daran kein Interesse. Das war klar und deutlich zu merken.
In meinen Kopf begannen die wildesten Szenarien abzulaufen. Wenn ich nicht dem Kellner das Tablett abgenommen hätte, weil er sich übergeben musste, wäre ich auch Emma nicht direkt über den Weg gelaufen. Manchmal führen die seltsamsten Dinge zu den schönsten Begegnungen. Wie sie vor mir stand in diesen wundervollen langen, schwarzen Kleid. Ärmellos und rückenfrei. Ihre schimmernden grünbraunen Augen mit den langen dichten Wimpern, das seidig glänzende braune Haar. Diese vollen rosa Lippen und diese süße kleine Nase. Ein zauberhaftes Wesen. Laut ausatmend ließ ich mich auf das Sofa fallen und legte meinen Kopf auf der Rückenlehne ab.
Meine Gedanken schwirrten bloß noch um Emma. Wie sie nach nur wenigen Stunden so viel Raum in meinen Kopf einnahm, war erstaunlich. Ich hoffte das sie zurechtkäme. Jetzt und auch später, wenn sich unsere Wege trennten. Der Gedanke über einen Abschied schnürte mir kurz die Brust zusammen. Ich wischte mir schnell mit der Hand über mein Gesicht und zog scharf die Luft ein, als ich an den kleinen Riss an meiner Lippe stieß. Mit einer ruckartigen Bewegung sprang ich auf. Ich brauchte Luft. Diese Gedanken und das, was Brenner in mir auslöst, machte mich stinksauer. Ich lief eilig nach draußen zur Metallbrüstung, hielt mich fest und atmete die kühle Abendluft ein. Ich musste meinen Kopf freibekommen, um wieder klar und rational denken zu können, ohne diese Wut in mir.
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Breathtaking || H.S. [18+] || German
FanfictionEmma Smith ist eine talentierte Künstlerin, die mit ihren farbenfrohen und lebendigen Gemälden die Aufmerksamkeit eines berühmten Magazins erregt hat. Sie wird zu einer exklusiven Party eingeladen, wo sie die Chance hat, ihre Kunst zu präsentieren u...