“Hey, Sitzung war ganz gut, aber ich bin müde jetzt. Bin gerade auf dem Weg nach Hause und würde mich gleich gerne erstmal etwas hinlegen. Ich melde mich später, okay?” Wincent starrte auf sein Handy. Hatte er sie doch verpasst? Das konnte eigentlich gar nicht sein, er hatte die Eingangstür zumindest immer im Augenwinkel im Blick gehabt. So langsam bekam er ein immer schlechteres Gefühl und es gab nur eine Möglichkeit, die Wahrheit herauszufinden. Er stieg aus dem Auto und lief schnell über sie Straße. Etwas hektisch öffnete er die Tür und die Dame am Empfang schaute ihn etwas verwirrt an. “Kann ich Ihnen helfen?” fragte sie etwas verdutzt und wartete auf Wincents Antwort. “Sorry, können Sie mir sagen, wann die letzte Patientin gegangen ist? Sie hätte bis 16 Uhr einen Termin gehabt und ich sollte sie abholen. Oder ist sie noch da?” Er nannte ihr den Namen und die Frau schaute in ihren Terminkalender. “Tut mir Leid, aber dazu kann ihnen leider keine Auskunft geben.” Wincent seufzte. Und er hatte schon fast damit gerechnet. “Aber können Sie mir wenigstens sagen, ob generell in der letzten Stunde jemand die Praxis verlassen hat? Also nicht irgendjemand, sondern eine junge Frau mit blonden Haaren?” Die Dame am Empfang schaute ihn über den Rand ihrer Brille an. “Hören Sie, junger Mann. Ich habe hier nicht jeden im Blick, der die Praxis betritt oder verlässt. Ich würde sie also höflich bitten, draußen auf ihre Freundin oder wen auch immer zu warten.” “Aber…” “Dort ist die Tür.” sagte sie jetzt in einem sehr energischen Ton. “Martha, was ist denn…” Der Psychologe kam in den Empfangsbereich und stockte, als er Wincent sah. “Wincent, was machst du denn hier?” Er ging auf ihn zu und sie gaben sich eine kurze Umarmung. Sie hatten sich lange nicht mehr gesehen, aber es gab eine Phase in Wincents Leben, wo sie viel und auch sehr intensiven Kontakt hatten. Wincent hatte sich ihm damals als ersten anvertraut und war ihm immer noch dankbar, dass er ihm damals so schnell helfen konnte. “Hallo Hannes. Ähm, ich wollte Finja abholen, ist sie noch hier?” Hannes legte Wincent einen Arm auf die Schulter. “Lass uns doch kurz in mein Büro gehen. Wie gehts dir denn so?” Wincent war etwas irritiert über diese Frage, folgte ihm dann aber in sein Behandlungszimmer. Wincent schaute sich kurz um, es hatte sich nichts verändert und er fühlte sich sofort wohl hier. Hannes hatte sich ihm gegenüber gesetzt und schaute ihn eindringlich an. “Hör mal, eigentlich darf ich dir das gar nicht sagen, aber ich mache mir Sorgen.” Wincent schluckte. Was sollte das denn jetzt heißen? “Finja war bisher nicht hier. Wir haben einmal kurz telefoniert und einen Termin vor ein paar Wochen vereinbart, aber sie ist nicht gekommen. Ich habe sie dann nochmal angerufen, und sie sagte, sie hätte den Termin total vergessen. Wir haben dann einen Neuen abgemacht, aber den hatte sie dann kurzfristig abgesagt, genau so wie einen weiteren neuen Termin. Das kam mir schon komisch vor, aber als ich eben gehört habe, dass du davon ausgegangen bist, dass sie hier ist, sind meine Alarmglocken angegangen.” Wincent schaute Hannes mit offenem Mund an. Sein Gefühl war also nicht falsch gewesen, Finja hatte ihn wirklich angelogen. “Ich, ähm, also sie hat mir erzählt, dass sie jede Woche hier ist. Ich habe das nicht weiter hinterfragt, weil ich ihr geglaubt habe. Shit.” Er fuhr sich mit den Händen durch die Haare. “Mach dir erstmal keine Sorgen Wincent, du hast alles richtig gemacht, du musstest ihr ja auch vertrauen. Aber das Verhalten passt total zu dem, was sie erlebt hat. Sie hat sicher Angst vor einer erneuten Konfrontation und versucht, dieser aus dem Weg zu gehen. Um sich aber deswegen nicht rechtfertigen zu müssen, lässt sie ihr Umfeld einfach in dem Glauben, dass alles gut ist. Aber das brauche ich dir ja nicht zu erzählen.” Er lächelte Wincent an und dieser nickte. Er musste zurückdenken an die Zeit, an dem es ihm so schlecht ging. Nach außen hin hatte man ihm das auch selten angemerkt, er hatte immer eine gute Miene gezeigt. Er konnte Finja also auch verstehen. Aber trotzdem verletzte es ihn, dass Finja ihn angelogen hatte. Dass sie ihm scheinbar nicht vertraute oder ihn nicht belasten wollte, oder was auch immer. Es tat einfach weh zu wissen, dass er ihr nicht helfen konnte, solange er nicht bei ihr war.
“Und was soll ich jetzt machen?” Wincent schaute Hannes ratlos an. “Sprich mit ihr. Du kannst ihr ruhig die Wahrheit sagen. Du musst sie nicht in Watte packen. Sie darf ruhig wissen, dass du verletzt bist. Zeig ihr, dass sie sich dir öffnen kann, wenn du das ebenso tust. Mach ihr aber bitte keine Vorwürfe, damit würdest du vermutlich eher eine Trotzreaktion herbeirufen. Und wenn es ihr hilft, kommt ihr gerne beide gemeinsam vorbei. Du hast meine Nummer.” Dankbar schaute Wincent ihn an. Eigentlich hatte er gehofft, Hannes Hilfe nie wieder in Anspruch nehmen zu müssen, aber jetzt gerade war er froh, dass er mit ihm reden konnte. Und sein Angebot würde er sehr gerne annehmen. Zum Einen, damit Finja die Angst verlor, herzukommen, aber auch, um vielleicht noch zu lernen, wie er mit der SItuation besser umgehen konnte. Es fiel ihm schwer, ruhig zu bleiben. Am liebsten wäre er sofort aufgesprungen, wäre zu Finja gefahren und hätte sie zur Rede gestellt. Aber Hannes hatte Recht, damit würde er vermutlich nichts bewirken. Er bedankte sich bei Hannes und ging wieder zurück zu seinem Auto. Hinterm Steuer überlegte er, was er jetzt machen sollte. Er entschied sich dazu, Finja erstmal anzurufen, um zu schauen, wie es ihr überhaupt ging. Aber Finja ging nicht ans Telefon. Verdammt, dachte sich Wincent und beschloss, bei ihrer Tante vorbeizuschauen um zu gucken, ob Finja Zuhause war. Als er vor dem Haus parkte, wurde er nervös und er musste sich wirklich zusammenreißen, nicht wütend zu werden. Mit wackeligen Knien ging er auf das Haus zu. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Aber erstmal musste er sich hoffen, dass Finja überhaupt Zuhause war. Er klingelte und wenig später öffnete jemand die Haustür. Es war Finjas Tante. "Wincent! Dich habe ich ja gar nicht erwartet. Wollte Finja nicht morgen zu dir kommen?" Wincent nickte. "Ja, wollte sie. Aber ich dachte, ich kann sie heute überraschen." Er überlegte einen Moment, ob er ihrer Tante auch in seinem Plan, sie bei der Praxis abzuholen, erzählen sollte.
Er konnte nicht einschätzen, ob Finja ihrer Tante die Wahrheit erzählte oder sie ebenfalls anlog. "Komm rein, du kannst gerne dein Glück versuchen. Aber sie hat heute ihr Zimmer noch nicht verlassen." Okay, ihre Tante wusste also auch nichts und Wincent entschied sich, ihr die Wahrheit zu erzählen. "Okay, das ist komisch. Mir hat sie erzählt, dass sie heute ihre nächste Therapie Sitzung hat und ich wollte sie dort abholen. Aber da habe ich erfahren, dass sie gar nicht dort war. Hat sie etwas gesagt, dass sie den Termin abgesagt hat?" Am Blick ihrer Tante erkannte Wincent, dass sie genau so überrascht war, wir er vorhin. "Ähm, ich wusste nichts von einer Therapiesitzung. Zu mir meinte sie, dass sie noch etwa zwei Monate warten muss, um einen Platz zu bekommen." Wincent machte ein besorgtes Gesicht und Finjas Tante bemerkte es. "Willst du einen Kaffee? Ich glaube, wir müssen mal reden." Wincent nickte. Das Gefühl hatte er auch. Er folgte ihr in die Küche und setzte sich an den Tisch. "Ich verstehe das nicht. Wenn sie bei mir ist, habe ich das Gefühl, es geht ihr gut. Wie schlimm ist es wirklich?" Er hatte inzwischen tatsächlich ein bisschen Angst vor der Antwort. "Ich bekomme sie kaum zu Gesicht. Die meiste Zeit ist sie oben in ihrem Zimmer und lernt. Oder schläft. Das Haus verlässt sie nur, wenn sie zur Arbeit geht." Immerhin geht sie dort hin, dachte Wincent sich. "Sie redet wenig und ich erkenne sie manchmal gar nicht wieder. Ich habe gedacht, dass wird alles besser, wenn sie erstmal in Therapie ist. Besonders die Panikattacken." "Panikattacken?" fragte Wincent verdutzt. "Hat sie dir davon nichts erzählt? Ich hole sie inzwischen von jeder Schicht ab, weil sie sich nicht alleine nach Hause traut. Zweimal kam sie ganz panisch nach Hause, weil sie dachte, ihr wäre jemand gefolgt. Und das ist wohl auch ein paar Mal in der Uni passiert. Seitdem lernt sie nur noch Zuhause und Daniel ist der einzige, der ihr ab und zu Bücher von der Uni bringt." Wincent fuhr sich mit den Händen durch die Haare. "Shit…" flüsterte er und Finjas Tante schaute ihn besorgt an. "Ich dachte, du wüsstest das alles. Verdammt, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich doch längst bei dir gemeldet. Ich bin nur leider auch wenig Zuhause und bekomme nicht alles mit. Aber ich habe immer mitbekommen, wie glücklich sie war, nachdem sie bei dir war. Leider hielt das nie lange an."Ihre Tante klang wirklich erschüttert und Wincent wollte nicht, dass sie sich Vorwürfe machte. "Schon okay, ich hatte wirklich keine Ahnung. Aber das konntest du ja nicht wissen. Aber wir müssen ihr helfen. Ich mache mir wirklich Sorgen." Finjas Tante nickte. "Vielleicht redest du mal mit ihr, ich glaube auf dich hört sie am Meisten." Wincent nickte. Er stand vom Küchentisch auf und ging die Treppe nach oben. Vor ihrer Zimmertür stoppte er und atmete tief ein. Sollte er klopfen? Er ballte die Hand zu einer Faust und hob sie an, hielt aber inne, bevor seine Hand die Tür berührte. Das war doch Quatsch. Er wurde nicht darum bitten, einzutreten. Er musste dringend mit ihr reden, ob sie wollte oder nicht. Entschlossen griff er nach der Türklinke und drückte sie.
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Wann kommt die Liebe in mein Leben
FanfictionFinja und Wincent Ist wirklich alles Gold, was glänzt? Wincent Weiss: Senkrechtstarter und A-Promi der Deutschen Musik Szene. Frisch verliebt und glücklicher denn je. So zumindest der Schein. Doch was passiert, wenn er es nicht mehr schafft, den Sch...