Jordan
„Einen schönen Abend noch", wünschte ich dem älteren glatzköpfigen Mann. „Ihnen auch", brummte er.
Die kleine Glocke an der Eingangstür signalisierte mir, dass er den Shop verlassen hatte, wodurch ich hinter dem Tresen hervortrat. Klimpernd zog ich meinen Schlüsselbund aus der Hosentasche, um abzuschließen. Nachdem ich nochmal geschaut hatte, ob sich noch jemand im Verkaufsraum aufhält, zählte ich die Einnahmen, des Tages, durch und notierte den Betrag in der dafür vorgesehen Tabelle. Eigentlich müsste ich noch durch saugen und wischen, aber entschied mich das zu verschieben.
Tief inhalierte ich die erfrischende Herbstluft, als ich nach draußen trat. Passend zu der Jahreszeit regnete es wie aus Eimern. Vom Sommer, der noch ein paar Tagen zu spüren war, war nun jetzt nicht mehr übrig. Vor der Stufe zum Geschäft sammelten sich bereits einige abgefallene Blätter, die gelb und orange strahlten. Nachdem ich abgeschlossen hatte, wendete ich mich zur Haustür, die sich rechts versetzt daneben befand. Schon beim hochgehen vernahm ich den Geruch von Essen, was mich verwunderte.
Ein flüchtiger Blick auf mein Smartphone verriet mir, dass Zoe, meine Schwester, normalerweise noch bei ihrem Date sein müsste. Am Treppenende nahm ich mir den Baseballschläger, um mich schützen zu können, wenn es ein kochender Einbrecher war. Langsam und leise schlich ich den Flur entlang zur Küche. Meine Finger waren feste um das Holz geschmiegt, während sich mein Puls erhöhte.
„Jo, leg den Baseballschläger beiseite, bevor ich ihn dir überziehe", sagte Zoe, ohne sich vom Herd abzuwenden, als ich die Küche betrat. „Warum bist du denn schon hier?", wollte ich von ihr wissen. Erleichtert stellte ich das Stück Holz neben dem Türrahmen ab. „Ach, mein Date war schrecklich. Aber lass uns jetzt erst etwas essen, bevor wir darüber reden, damit mir mein Appetit nicht vergeht", bat sie mich, während sie den Inhalt der Pfanne auf zwei Teller verteilte.
Bevor ich mich zu ihr setzte, nahm ich mir ein Weinglas aus einem Hängeschrank. Skeptisch betrachte ich den Rotwein, welcher offen auf dem Esstisch stand, um zu wissen, was ich mir einschüttete. Genüsslich drehte ich mir die Carbonara auf der Gabel zurecht. Obwohl ich mir gewünscht hatte, dass ihr Date gut verläuft, war ich froh, dass es nicht so war, da ich mir sonst Essen bestellt hätte. Meine Kochkünste waren zwar akzeptabel, aber nach einem langem Tag im Shop habe ich meist keine Lust mehr mich hinter den Herd zustellen.
„Also, was war so schrecklich an deinem Date? Muss ich den Baseballschläger zurück in den Flur bringen oder kann ich ihn benutzen?", interessierte ich mich. „Wir wollten uns im Café um die Ecke treffen und dann ins Kino. Hatte ich dir erzählt, oder?", hakte Zoe nach. Ich nickte, obwohl ich mir nicht sicher war, aber das war im Grunde uninteressant. Nachdem sie mit ihrer Hand durch die knallrot gefärbt Haare gefahren war, fuhr sie fort: „Auf jeden Fall sind wir noch nichtmal bis zum Kino gekommen. Er kam sagenumwobene dreißig Minuten zu spät. Ich war schon richtig sauer, aber dann meinte er, dass ich selber schuld war, wenn ich so früh erscheinen würde. Als ob das noch nicht genug sei, behauptete er, dass es beim Sex bestimmt auch so wäre."
Um mir meine Wut nicht anmerken zu lassen, fing ich an den Tisch abzuräumen. Natürlich blieb mein Ablenkungsmanöver nicht unbemerkt, da Zoe mich zu gut kannte. Sanft drückte sie mich von der Spüle weg, um sich im nächsten Moment vor mich zustellen. Ihre Arme hatte sie vor ihrer Brust verschränkt. Sie mochte es nicht, wenn ich mich in ihre vergeigten Bekanntschaften einmischte, obwohl sie wusste, dass ich mich nur um sie sorgte. Schon häufig hatte sie mir gesagt, dass sie sich selber darum kümmern konnte, aber ich hätte es am liebsten selber geregelt. Wenn sie nicht weiterkam, sprach sie mich an, was mich erleichterte. Ich musste mir selten Sorgen machen.
„Du hattest schon lange kein Date mehr", lenkte sie ab. „Mein Liebesleben steht hier nicht zur Debatte", versuchte ich das Thema sofort abzuweisen. Zoe wusste, dass ich nichts zu meinem miserable Geschmack oder meinem kaum existenten Liebesleben hören wollte. Mit meinem Glas Wein verzog ich mich ins Wohnzimmer, wo ich mich auf die Moosgrüne Couch nieder ließ. „Ach komm schon. Wann warst du das letzte Mal aus? Das muss bestimmt schon Monate her sein", fuhr meine Schwester unbeirrt fort.
Mein letztes Date war tatsächlich schon eine ganze Weile her. Zwar erinnerte ich mich nicht mehr daran, wann es war, aber das es ziemlich schlecht gelaufen war. Der Grund war verletzend, da es bei mir andere Wunden aufriss. Auch andere, die nicht die gleichen Wunden haben, hätten es so empfunden wie ich. Danach war mir die Lust am ausgehen vergangen und ich hatte mich wieder auf die wichtigen Dinge im Leben konzentriert. Zoe setzte sich mit angewinkelten Beinen an die andere Seite von der Couch. Ihr Weinglas stellte sie auf unseren kleinen hölzernen Couchtisch. Mit der Hand an ihrer Wange stützte sie den Ellenbogen gegen das Rückteil vom Möbelstück. Ich bewunderte sie dafür, dass sie sich von ihrem gescheiterten Date nicht runterziehen ließ. Niederlagen verschlechtern ihre Laune nur nur im geschäftlichen Bereich.
„Erinnerst du dich noch an die Versteigerung?", fragte Zoe, wodurch ich nickte, „In einem Monat findet wieder eine statt. Versuch es dort noch einmal." „Nein. Dann müsste ich den Laden früher schließen. Dazu kommt, dass arbeiten anstrengend ist und ich danach wirklich keine Lust habe mich noch mit Dutzenden Idioten zu unterhalten", lehnte ich ab.
Stimmt, durch die Versteigerung war ich das letzte Mal ausgegangen. Das war das erste und letzte Mal gewesen, dass ich daran teilgenommen habe. Es gab genügend interessante Männer, aber ich empfand die Veranstaltung als lächerlich. Nur der Fakt, dass das Geld gespendet wird, hatte es für mich attraktiv gemacht. Wenn man ersteigerte hatte man zwar die Wahl, aber man zahlte teilweise hohe Summen für ein einfaches Rendezvous. Natürlich hatte man keine Garantie, dass ein Treffen kein kompletter Reinfall werden würde. Die Veranstalter bekamen ihr Geld und man selbst hatte vielleicht Glück, aber vielleicht auch nicht.
„Du kannst nicht immer nur zuhause rumhängen oder bei deinem Ehemann", warf Zoe mir vor. „Du sollst die Arbeit nicht immer als meinen Ehemann bezeichnen", erinnerte ich sie. Grinsend griff sie nach ihrem Weinglas, was nichts gutes bedeuten konnte. An ihrem verschwörerischen Blick erkannte ich, dass sie nicht vom Thema ablassen würde, bis ich zusagte. „Um einen kennenzulernen müsstest du rausgehen. Also, was bietet sich da besser an als die Versteigerung?", vielsagend wackelte sie mit ihren Augenbrauen. „Ich überlege es mir, zufrieden?", gab ich nach, um meine Ruhe zuhaben. „Ja, jetzt kann ich meinen Wein mit einem gutem Gefühl trinken."
Ein großer Schluck folgte auf diese Worte, was ich nur mit dem verdrehen meiner Augen quittierte. Noch immer lag ihr Blick aufmerksam auf mir, wodurch ich vermutete, dass da noch mehr kommen würde. Ein unangenehmer Schauer, welchen ich mir nicht erklären konnte, jagte mir über den Rücken. Vielleicht lag es an der Überlegung, mich tatsächlich bei der Versteigerung anzumelden. Es wäre eine Abwechslung zu meinem sonstigen Alltag. Wenn ich nicht vollständig erledigt sein wollte, musste ich den Shop den ganzen Tag schließen, was sicherlich einige Menschen enttäuschen würde. Ich beschloss, dass ich mir ganz dringend wieder eine Aushilfe suchen musste, da meine letzte aus privaten Gründen gekündigt hatte. Die Zeit, die ich im Shop verbrachte, hatte sich dadurch nur noch mehr erhöht.
„Wie läuft es bei dir in der Firma?", erkundigte ich mich mit aufrichtigen Interesse. „Es ist anstrengend. Aber ich ein paar Mitarbeiter gekündigt und neu eingestellt, wodurch es besser als vorher funktioniert", erzählte Zoe mir freudig. „Dad hat seine Mitarbeiter nach ihren Zeugnissen eingestellt und nicht nach ihrem Können", musste ich mal wieder feststellen.
Nachdenklich nickte sie. Wir wusste beide, dass das die Wahrheit war, aber wir sahen es nicht gerne ein. Die Firma hatte Dad viel bedeutet, wodurch wir sie nicht verkauft hatten, als wir sie geerbt hatten. Obwohl ich es ungerne getan hatte, hatte ich mir meinen Teil ausbezahlen lassen, damit ich meinen Shop eröffnen konnte, wodurch sich für mich ein großer Traum erfüllt hatte. Für Zoe hatte es den Vorteil, dass sie die Firma alleine leiten konnte. Ich war immer da, wenn sie Fragen hatte, weswegen ihr die große Verantwortung leichter fiel.
„Was ist bei dir heute spannendes passiert?", lenkte Zoe ab, was ich dieses Mal zuließ. „Da war so ein kleines Mädchen, ganz alleine. Die war vielleicht sechs oder sieben. Ihr hatte einer der Disney Pullover total gefallen und wollte den unbedingt kaufen. Da ihr Geld nicht gereicht hat, wollte sie den wieder weglegen, aber ich habe ihr den geschenkt. Du hättest ihr strahlen sehen sollen, wie groß ihre Augen geworden sind. So viel Dankbarkeit sieht man selten", erzählte ich ihr mit viel zu viel Euphorie. „Das klingt so schön", freute sie sich für mich mit.
Solche Kleinigkeiten verherrlichten mir den ganzen Tag. Kleine Kinder machten mich sowieso schwach, aber bei ihrem dankbaren Lächeln hätte ich ihr am liebsten noch mehr gegeben. Zoe sagte häufig, dass ich ein viel zu großes Herz hätte, aber es schwer zu erobern wäre. Da ich wichtigeres im Kopf hatte, hatte es mich nicht gestört. Ein Partner würde mich nur ablenken und zu viele Nerven sowie Geduld beanspruchen.

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Zeit ist Geld
Fiksi RemajaZwei Männer. Eine Auktion. Jeder ein anderes Ziel. Im Auktionshaus Caparelli werden keine wertvollen Gegenstände ersteigert, sondern Dates. Während die Auktion für den einen die Zukunft bestimmt, würde der andere lieber mit einem Glas Rotwein zu H...