49. Wunder

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Ich saß auf meinem Bett im Tourbus und starrte vor mich hin an die Wand. Es war schon 17.30 Uhr und die anderen saßen unten beim Essen. Ich hatte keinen Hunger, also war ich nun hier und überlegte gerade, ob ich vielleicht nicht doch zu den anderen gehen sollte, als mein Handy neben mir vibrierte.

Als ich las von wem sie Nachricht war, stockte mir der Atem.

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Hey Li,
Mir ist langweilig!
Hast du Lust zu skypen?
~Sky
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Mein Herz machte einen Sprung als ich las was meine Schwester mir geschrieben hatte und ich griff sofort nach meinem Laptop, welcher am Fußende meiner Matratze lag.

Ich klickte mich auf Skype und ging auf Skys Kontakt.

Während dem endlos scheinenden tuten spürte ich wie meine Hände zitterten und endlich hob sie ab.

Ihre mittellangen blonden Haare fielen ihr einwenig verstrubbelt über die Schultern. Sie wirkte blass und ihr Lächeln müde. Ihre Augen sahen mich mit einer Mischung aus Freude, Müdigkeit und auch Trauer an.

"Hey", sagte sie. Ihre Stimme klang rauer und leiser als sonst.
"Hey", antwortete ich und versuchte zu lächeln.
Sie sah alles im allem ziemlich fertig aus, wie sie in dem großen Krankenhausbett zwischen den weißen Laken saß und mich durch die Kamera musterte.

Als sie sich durch die Haare fuhr, konnte ich sehen wo die Infusionen in ihren Arm flossen.
"Wie geht es dir?", im nächsten Moment hätte ich mich für diese Frage am liebsten geohrfeigt.

Erstens musste sie diese Frage vermutlich alle zwei Minuten beantworten und zweitens ging es ihr natürlich nicht gut, was man unschwer an ihrem blassen Erscheinungsbild ausmachen konnte.

Doch sie antwortete nur: "Ja, ganz gut..."
"Okay", ich legte meinen Kopf schief.
"Was macht ihr gerade so?"
Ich wusste nicht wie ich ihr antworten sollte. Immerhin war ich gerade mir meinem Freund und seiner Band in Amerika auf Tour, bekam einen Model Job nach dem anderen angeboten und sie?

Sie lag krank in Deutschland. Im Krankenhaus um genau zu sein. Auf einmal überkam mich eine Welle der Schuldgefühle.

"Oh ich bin es sowas von leid!", zischte meine Schwester plötzlich und ich sah überrascht auf.
"Ihr alle denkt nur weil ich krank bin kann man nicht mehr vernünftig mir mir reden oder muss mir irgendwas vorenthalten. Wenigstens von dir hätte ich erwartet, dass du mit mir redest wie mit einem ganz normalen Menschen!"

Es tat weh so etwas zu Hören, Skys Lippen zitterten bei ihren Worten und ich atmete einmal zitternd durch. Sky fuhr sich mit einer Hand über die verstrubbelten Haare und hatte die Augen zu Schlitzen verengt.

"Es.... es tut mir leid...", sagte ich leise und starrte auf die Tastatur meines Laptops.
Ich hörte nur ein Seufzen. "Nein, mir tut es leid. Ich... ich hätte dich nicht so anfahren sollen. Du wusstest ja nicht was hier los ist."

Sie sah mir bei ihren Worten direkt in die Augen.
Ich fing an ihr zu erzählen was wir so machten, wie die Konzerte der Jungs waren, wie Amerika war und so weiter.

"Hört sich gut an", meinte Sky schließlich als ich geendet hatte.

"Sky kann ich dich was fragen?", sagte ich vorsichtig.
"Klar, frag!"
"Wie geht es dir wirklich?"
Kurz atmete sie einmal tief durch, bevor sie die Augen schloss und mir antwortete.

"Es ist Scheiße! Es ist wirklich einfach nur die größte Scheiße.
Alle geben sich unglaublich Mühe, aber es macht die Sache nicht besser. Keiner kann nachvollziehen wie es ist plötzlich irgendwo aufzuwachen und zu erfahren, dass man fast eineinhalb Wochen durchgeschlagen hat und jetzt mit Blutkrebs im Krankenhaus liegt.

Weißt du, jeder sagt mir immer das ich es schaffen würde, das ich einfach immer stark bleiben müsse, dass alles wieder gut werden würde wenn ich kämpfe. Aber das ist alles garnicht so einfach. Die Nachricht, dass ich Krebs habe hat mir den Boden unter den Füßen weg gezogen.

Jeden verdammte Tag kommen Leute und sagen mir ich müsse nur an mich glauben.
Ich weiß genau das da mehr dazu gehört als nur Glaube! Natürlich kann man jedem vorspielen, dass man an sich glaubt, dass man stark bleibt und dass alles schafft. Aber tief im Inneren weiß ich genau dass ich mich im Prinzip schon so gut wie selbst aufgegeben habe. Der Moment, wenn du weißt, dass du krank bist nimmt dir alles.

Ich wollte später studieren, zu dir nach London ziehen, irgendwann mal Kinder haben, einen richtigen Job und jetzt weiß ich nichtmahl mehr ob ich meinen Schulabschluss haben werde. Ich kann es schaffen wieder gesund zu werden, aber selbst wenn, wird es nie wieder so werden wie früher.

Ich hasse es zu sehen wie sich alle Sorgen um mich machen. Wie unsere Mutter fast daran zerbricht, an mir zerbricht!"

Während sie redete liefen ihr Tränen über die Wangen und es zerriss mich förmlich sie so zu sehen. Gebrochen, hilflos und verängstigt.

"Sag soetwas nicht", flüsterte ich.
"Was?", rief sie sie verärgert, "Dass ich keine Zukunft habe? Dass ich alle mit mir runter ziehe? Dass ich es vielleicht nicht schaffe?
Du weißt genau das ich Recht habe! Wir können natürlich auch alle beten und auf das große Wunder hoffen. Aber Lia, das tun Viele und Viele werden enttäuscht!"

Ich schlug die Augen nieder. Meine Mutter hatte mir vor ein paar Tagen erzählt was genau Sky für einen Krebs hatte. Sie hatte akute Leukämie. Diese Form des Krebses ist immer lebensbedrohlich und führt, ohne Behandlung, nach wenigen Monaten schon zum Tod.

Auch nach all dem was Sky mir gerade erzählt hatte, wollte ich nicht glauben dass sie streben würde, dass sie aufhören würde zu kämpfen, dass sie aufhören würde meine kleine Schwester zu sein...

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Über diesen Link findet ihr mehr über die "akute Leukämie" raus ;)

http://m.netdoktor.de/krankheiten/leukaemie/

The Flashlight in your EyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt