Zarte Bande

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>>Wie ist es, wenn man seine Richtige Mutter gekannt hat?<< unsicher schaue ich zu ihm hoch. Seine Stirn liegt in tiefen Falten und die Augenbrauen hat er schmerzhaft zusammen gezogen.

>>Beschissen.<< sagt er traurig.
>>Warum denn das? << frage ich erschrocken. Was kann seine Mutter getan haben, dass er so unglücklich darüber ist. >>Ich wünschte, ich hätte meine Mutter gekannt.<< gebe ich leise zu.
>>Manchmal wünschte ich, ich hätte sie nicht gekannt. << Ian klingt so betrübt, dass es mir in der Seele wehtut.

>>Aber... sie war Jahrelang für dich da. Hat sich um dich gesorgt und war bei dir. Oder nicht? Sie hat dich nicht weggegeben, kaum dass du auf der Welt warst, so wie meine Mutter. << gebe ich zu bedenken.
>>Mag sein. << sagt er knapp. >>Aber jetzt ist sie nicht mehr da. <<

>>Wie war denn seine Mutter so? << frage ich ihn ängstlich. Dieses Thema ist auch für ihn ein rotes Tuch. Etwas das ihn reizt und das uns immer in Streit geraten lassen hat.

Aufgewühlt fährt er sich mit der Hand durch die Haare, dann schaut er mich nachdenklich an. In seinem Gesicht arbeitet es unaufhörlich, als würde er überlegen, ob er mit mir reden soll.

Dann tritt ein entschlossener Ausdruck auf sein Gesicht und er nickt unmerklich in sich hinein.

>>Meine Mutter war fürsorglich und liebevoll, bis sie jemanden kennenlernte. Bevor er kam war alles besser. << beginnt er leise. >>Als ich klein war habe ich ihr immer beim Klavierspielen zugehört. Ich lag mit dem Kopf auf ihrem Schoß und habe ihr gelauscht, bis ich eingeschlafen bin. Sie konnte wirklich wunderschön spielen. Sie hat sogar Konzerte gegeben. Irgendwann kam dann dieser Mann. Sie verliebte sich in ihn und er sich in sie. Ich weiß nicht, was passiert ist aber eines Tages hörte ich sie streiten. Ich glaube, er war ihr untreu aber ich weiß es nicht mehr genau. Von diesem Tag an, verweigerte meine Mutter das Essen. Sie sprach immer davon, dass sie zu dick sei, das sie abnehmen müsse und das, wenn sie nicht so fett wäre dieser Mann sie nicht verlassen hätte.<< zittrig atmet Ian ein. >>Sie magerte immer weiter ab, bis sie ins Krankenhaus kam. Ich war ihr vollkommen egal. Sie hat nicht mehr gekocht, hat mir auch sonst nichts mehr zu essen gegeben, wenn ich nicht in der Schule etwas bekommen hätte, wäre ich sicherlich auch irgendwann im Krankenhaus gelandet. Ich glaube sie hat mich dafür verantwortlich gemacht, dass er sie verlassen hat. << sagt er nachdenklich.

>>Als sie ins Krankenhaus kam, kam ich zuerst in ein Heim. Da Jungen in meinem Alter aber nicht besonders gut vermittelbar waren haben sie mir keine großen Hoffnungen auf eine Pflegefamilie gemacht, aber dann kam Page. << sagt er schlicht.

Während er redet schaut er mich nicht an, er starrt gedankenverloren vor sich hin und scheint weit weg zu sein, doch jetzt senkt er langsam den Kopf. Seine Augen treffen meine.

>>Wenn man sicher weiß, dass die eigene Mutter lieber sterben würde, als bei Ihrem Sohn zu sein, fühlt sich diese Gewissheit an, als würde dir Jemand Tag für Tag das Herz aus dem Leib reißen. Du zweifelst an dir selbst und glaubst nicht, das dich jemand lieben kann, glaubst nicht, das du es wert bist geliebt zu werden.<< In seinen Augen schimmert es verdächtig und eine einzelne Träne kullert seine Wange hinunter. Ich strecke die Hand aus und fange sie mit dem Finger auf. Dann folge ich sanft der Spur, die sie hinterlassen hat und streiche seine Wange entlang, die genauso weich ist, wie ich sie mir vorgestellt habe.

>>Ich weiß genau was du meinst. << flüster ich verständnisvoll. >>Es ist genau das, was ich immer von meiner Mutter denke. Dass sie mich nicht wollte, das sie mich weggeschmissen hat, wie ein Stück Müll. << spreche ich zum erstem mal meine Gedanken aus.

✔All I want is... YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt