Veränderung

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Ich stelle mich vor den Spiegel, der obwohl einige Sachen dagegen geprallt sind immer noch heil ist und betrachte mich nachdenklich.

Langsam hebe ich die Schere. Mein Blick wandert im Spiegel von meiner Hand zu meinem Unterarm.

Soll ich mir die Pulsadern aufschneiden?

Ich könnte es tun.

Ich setzte die Schere an und ziehe sie ein Stück mein Handgelenk hinauf. Aber ich drücke nicht richtig zu. Trotzdem merke ich den Schmerz, der eine feine rote Linie hinterlässt. Es fließt kein Blut, es ist nur ein Kratzer trotzdem werde ich ruhiger. Mein Blick wandert von den Händen zu meinem Bauch, auf dessen höhe ich meine Hände mit der Schere halte.

Ich könnte sie mir auch in den Bauch rammen. Abschätzend mustere ich das unscheinbare Ding in meiner Hand.

Ist die spitze scharf genug dafür oder sollte ich doch lieber ein Messer aus der Küche holen. Mit einem Messer ist es bestimmt einfacher und geht auch viel schneller, aber ich kann nicht nach unten gehen, denn da sind Mara und Pascal. Also muss ich mir was anderes einfallen lassen.

Langsam wandert mein Blick weiter. Von meinem Bauch zu meiner Brust. Von der Brust zum Hals.

Dorthin, wo Ich die Schlagader heftig unter meiner Haut pulsieren sehe. Meine Hände mit der Schere gleiten nach oben, langsam, zögerlich.
Ich packe die Waffe fester, richte sie auf meinen Hals. Ich lege die spitze an genau die stelle, wo ich die Ader pulsieren sehe.
Heftig atme ich ein und aus. Soll ich? Soll ich das wirklich tun?
Es ist ganz leicht, es wird ganz schnell gehen. Wenn die Ader erst einmal offen ist, dauert es nicht lange, bis ich verblute und dann hat dieser ganze scheiß ein Ende.

Unschlüssig stehe ich da. Ich bin angespannt, meine Hände zittern.
Warum überlege ich eigentlich noch? Sein wir doch mal ehrlich!

Was hält mich hier denn eigentlich noch. Mein Leben ist scheiße! 

Trotzdem kann ich diesem Drama kein ende bereiten.
Fieberhaft grübele ich darüber nach, was mich daran hindert den letzten Schritt zu tun und dann sehe ich Mike vor mir.
Sein weiches Gesicht, sein verträumtes Lächeln, seine blauen Augen, die mich mitfühlend, belustigt, nachdenklich oder mitleidig ansehen. Ja Mitleidig! schnell vertreibe ich den Gedanken an ihn.
Stattdessen denke ich an Mel. Meine Beste Freundin. Die roten Haare passen so gut zu ihren grauen Augen. Ob sie mich vermissen würde?
Ich weiß das es mir das Herz zerreißen würde, wenn sie nicht mehr da wäre, aber geht es ihr genauso? Bestimmt.
 Dabei sollte sie froh sein, wenn ich weg wäre, dann müsste sie sich nicht zwischen mir und Jason entscheiden.
Sie hat etwas Besseres verdient als mich!
Und was ist mit meinen Eltern. Gott, die sind doch froh, wenn ich endlich weg bin!
Schießt es mir in den Sinn und schon bin ich wieder auf hundertachtzig.
Mein Entschluss wächst. 
Ich sammle alle Energie die ich aufbringen kann, schließe die Augen und atme tief durch. Ich denke noch einmal an alle, die mir wichtig sind und entschuldige mich bei ihnen, das ich ihnen so viel Kummer bereite, dann ballt sich meine Faust fest um die Schere.

Als ich die Augen öffne fällt mein Blick auf etwas, das ich unbewusst schon die ganze zeit gesehen habe, auf etwas , das ich anhabe und das mir kraft gibt. Kraft, das was ich tun wollte, nicht zu tun.
Die Jacke! Ian's Jacke.
Ich möchte nicht, das sich seine Jacke mit meinem Blut voll saugt, ich möchte nicht, das ihm jemand anderer die Jacke wiedergibt. Sondern ich möchte ihm selbst diese Jacke zurückgeben. Irgendwann.

Und deshalb! Und zwar nur deshalb ramme ich die Schere nicht in meinen Hals, ich beende mein Leben nicht in diesem Moment, sondern versuche mich dem zu stellen, was kommt.
Aber ich bin immer noch so energiegeladen, habe noch immer eine so zerstörerische Wut in mir, das ich irgendwo damit hin muss.
Und als ich diesmal den Blick hebe und in den Spiegel schaue, fasse ich kurzentschlossen einen meiner Zöpfe und schneide ihn ab!
"Schnipp!" macht die schere und noch einmal "Schnipp!" wieder und wieder, bis alle Dreadlocks in kurzen Stummeln von meinem Kopf abstehen. Die Abgeschnitten Enden liegen Leblos am Boden. So leblos wie ein Stein am Strand. So leblos, wie ich es gewesen wäre, wenn ich die Schere nicht nur dazu benutzt hätte, meine Haare abzuschneiden.

Angeekelt pfeffere ich die Schere beiseite und schmeiße mich auf mein Bett.
Ich zittere, als die Anspannung nachlässt.
 Verdammt! Ich hätte tot sein können! Verdammt! Verdammt! VERDAMMT!
Und dann kommt sie, die Verzweiflung, die Trauer, die Panik. Rollt wie eine Welle über mich hinweg und lässt mich haltlos schluchzend in meinem Bett zurück.

Ich weine, wie ich schon lange nicht mehr geweint habe. Weine, als gäbe es kein Morgen mehr. Keine Zukunft, keine Hoffnung, nur noch Trauer und schmerz.
Die Beine Dicht an den Bauch gezogen liege ich lange auf meinem Bett und weine. Das licht verblasst und hinterlässt nichts als Dunkelheit.
Auch die Musik ist längst verstummt, als sich mein Körper langsam entspannt, weil ich vollkommen erschöpft auf meinem Bett eingeschlafen bin.




✔All I want is... YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt