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D A V I D
Sobald ich am nächsten Morgen aufstehe, fällt mein Blick auf die bereitgestellte Kleiderstange in meinem Nebenzimmer.
Auf ihr hängt, sorgsam in steifes Plastik eingepackt, einer der neuen Anzüge. Er ist grau, gerade geschnitten, elegant. Daneben baumelt, ebenfalls umsichtig eingehüllt, eine rote Fliege und das passende Einstecktuch. Das Rot erinnert mich eher an ein verschwommenes Orange und steht in scheußlichem Kontrast zu dem hellen Grau. Die Farben werden meine ohnehin schon blasse Haut noch bleicher aussehen lassen. Ich seufze ergeben und wende den Blick ab.
Es ist nicht meine Entscheidung, was ich in der Öffentlichkeit trage. Oder was ich generell trage. Oder was ich überhaupt mit meinem Leben anfangen will. Ich habe kein Mitspracherecht. Kein bisschen. Jede einzelne Entscheidung in meinem Leben wird von Kyle Brighton getroffen.
Mein Vater ist das Oberhaupt der Familie, wie es in der Gesellschaft üblich ist. Er hat die Macht. Ihm obliegt das Recht, über mein Leben zu bestimmen. Ausgehend vom Kreis der Ältesten wird die Gesellschaft von den Männern dominiert. Älteste, Väter, Söhne. Das ist die Rangordnung. Das ist meine Welt.
Meine Gedanken wandern zu der Verlobung heute Nachmittag. Unsere Gesellschaft wird von älteren Jahrgängen beherrscht, deshalb müssen möglichst schnell Nachkommen gezeugt werden. Um sie dennoch exklusiv zu halten, herrscht die Regel vor, nur so lange nach einem Kind zu versuchen, bis ein Junge geboren wird. Jede Familie braucht einen zukünftigen Stammhalter, einen Erben. Mit einer raschen Verlobung der Töchter, welche dadurch mit jungen sechzehn Jahren an eine andere Familien abgegeben werden, wird der Grundstein gelegt. Töchter, Mädchen, Frauen sind in der Gesellschaft unerwünscht. Sie werden als unbrauchbar und nutzlos angesehen. Der einzige Zweck ihres Daseins ist die Sicherung des Familienstamms durch einen Erben. Die Töchter sind hübsch anzusehen, sollen schweigen und sich fügen.
Die beste Frau ist die, die am wenigsten spricht. Das ist die Gesellschaft.
Erneut betrachte ich den eleganten Anzug vor mir. Mein Vater wird mich verloben, sobald ich achtzehn werde. Das geschieht erst in neun Monaten. Mir bleibt also noch Zeit, mich mit diesem schrecklichen Gedanken abzufinden. Natürlich kann ich nicht beeinflussen, wer meine Ehefrau wird. Kyle wird sie sorgfältig unter den Kandidatinnen für mich auswählen und ich muss mich fügen.
Rasch ziehe ich mich an und folge den Fluren zum Esssalon, wo das Frühstück schon auf mich wartet. Zu meiner Überraschung ist mein Vater nicht anwesend. Selbst sein Gedeck wurde bereits weggeräumt.
„Tia?“, frage ich eine der Dienstbotinnen, welche sofort beginnen, meinen Teller zu füllen. Ruckartig deutet sie einen kleinen Knicks an, hält den Kopf gesenkt. Sie sieht mich nicht an, als sie mir antwortet. „Was kann ich für Euch tun?“
Ich ignoriere das Mitgefühl, das augenblicklich in mir hochsteigt. Jedes Mal wenn ich einen der Arbeiter meines Vaters anspreche, fühle ich mit ihnen, wenn sie vor Furcht keinen Ton herausbringen oder beinahe etwas fallen lassen. Sie sind nur hier um ihre Arbeit auszuführen, höre ich Kyles Stimme in meinem Kopf. Ja, sie haben ihre Arbeit zu erledigen – aber es ist doch nicht zu viel verlangt, andere Menschen respektvoll zu behandeln? Vor allem die weiblichen Arbeiterinnen sind es, welche die Trauer über die Ungleichheit in mir anrühren. Sie müssen sich noch unterwürfiger verhalten, als die Frauen in der Gesellschaft es ohnehin schon tun.