R U N E
„Siehst du, David, wir haben viele Gemeinsamkeiten. Ich bin mir sicher, wir werden uns blendend verstehen. Wir Slumkinder müssen zusammenhalten, nicht wahr?" Elaine wirft schwungvoll ihr langes Haar über eine Schulter und beugt sich über den Tisch in meine Richtung. „Schön, dass es nun zumindest einen gibt, der zu seiner Vergangenheit steht und sich nicht davor versteckt. Jetzt fühle ich mich nicht mehr so alleine."
Ihre Worte sind an David gerichtet, doch ihr Blick ruht unmissverständlich auf mir. Ruhig begegne ich ihm, hebe das Kinn und lehne mich ebenfalls zu ihr nach vorne. Zwischen uns knistert die Luft vor Anspannung, vor unterdrückter Abneigung.
Elaine und ich waren und werden wohl nie Freundinnen sein. Seit jeher ist es offensichtlich, dass sie es nicht gutheißt, wie ich meine Vergangenheit von einem Tag auf den anderen hinter mir gelassen habe. Ohne ein einziges Mal zurückzublicken wurde ich zu einer Lihai. Zu einer der wichtigsten und einflussreichsten Lihai des Stammes. An meine Vergangenheit verliere ich seit vielen Jahren keinen Gedanken.
Meine Stimme ist klar und deutlich, als ich ihr flüssig in der Sprache der Städter zuraune: „Vergangenheit ist Vergangenheit, Elaine. Es hat keinen Sinn, wehmütig darin zu schwelgen. Wir sind nun bei den Lihai. Nur das zählt." Gereizt funkelt sie mich an. Ich rücke noch näher zu ihr, meine Worte beherrscht, meine Emotionen bis aufs Äußerste kontrolliert. Ich gebe meiner Verärgerung, meiner Abscheu Elaine gegenüber keine Chance, von mir Besitz zu ergreifen. „Wir sind sehr verschieden, du und ich. Ich habe meinen Weg gefunden und du deinen. Wir sind beide Lihai. Ich würde dir raten, das zu akzeptieren." Keine Gefühlsregung tanzt über mein Gesicht. Ich bin vollkommen ruhig, distanziert.
Ich lebe für die Lihai. Die Vergangenheit zählt nicht mehr, sobald man sich dazu entschließt neu zu beginnen. Alles, was wichtig ist, ist der Stamm. Das gemeinsame Überleben.
Elaine zieht sich zurück, weicht vor mir weg, vor den Worten, die meine Lippen verlassen haben. Sie weiß genau, welche Position ich bei den Lihai einnehme. Sie weiß genau, dass sie sich es nicht leisten kann, mich anzugreifen – und sei es nur verbal. Ich akzeptiere ihren Rückzug und sehe darüber hinweg, wie ihre Augen voller unterdrücktem Zorn sind und ihre Hände angriffslustig zittern. Sie atmet durch, sammelt sich, gibt ihre Niederlage zu. Die lockere Stimmung an unserem Tisch ist dahin.
„Jeder von uns ist unterschiedlich. Das ist doch was Schönes!", versucht Vic das Gespräch zu retten. „Und jetzt haben wir noch ein weiteres, einzigartiges Mitglied. David!" Er lächelt in die Runde, hoffnungsvoll.
„Ja, das ist großartig. Und vielleicht steht er ja zu seiner Vergangenheit und mag uns etwas darüber erzählen", steigt Elaine wieder ein, ein kleiner, vorsichtiger Seitenhieb in ihrem Satz, den ich ignoriere. Es hat keinen Sinn, sich mit ihr zu streiten. Dafür will ich nicht unnötig meine Energie verschwenden. Außerdem hat sie ihm die Frage gestellt, die ich selbst bisher zu stellen vermied. Die Frage, auf deren Antwort ich wartete. Oder auf die Art und Weise, wie er antworten würde.
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Freiheit - David & Rune
Science Fiction» „𝘋𝘰𝘤𝘩 ... 𝘦𝘴 𝘨𝘪𝘣𝘵 𝘦𝘵𝘸𝘢𝘴, 𝘥𝘢𝘴 𝘪𝘯 𝘥𝘦𝘳 𝘎𝘦𝘴𝘦𝘭𝘭𝘴𝘤𝘩𝘢𝘧𝘵 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘦𝘹𝘪𝘴𝘵𝘪𝘦𝘳𝘵." 𝘐𝘤𝘩 𝘴𝘦𝘩𝘦 𝘻𝘶 𝘙𝘶𝘯𝘦, 𝘧𝘢𝘯𝘨𝘦 𝘪𝘩𝘳𝘦𝘯 𝘦𝘧𝘦𝘶𝘨𝘳𝘶𝘦𝘯𝘦𝘯 𝘉𝘭𝘪𝘤𝘬. 𝘔𝘦𝘪𝘯𝘦 𝘚𝘵𝘪𝘮𝘮𝘦, 𝘦𝘪𝘯 𝘏𝘢𝘶𝘤𝘩...