6 - Neuling

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R U N E

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R U N E

Mein Schritte sind vorsichtig.

Leise, behutsam, sacht, schleiche ich dahin, einen Fuß bedächtig vor den anderen setzend. Nicht einmal die halbgefrorenen Blätter knirschen unter meinen Sohlen. Meine Atmung ist ruhig, gleichmäßig, vielleicht ein wenig angespannt. Das Rascheln des kargen Laubes im Wind kaschiert jedes Geräusch meinerseits. Wachsam wandert mein Blick umher. Ich suche nach dem Reh und dem Rehkitz. Die Fährte war sehr deutlich, ein schöner Abdruck in dem ehemals feuchten, inzwischen wieder festen Schlamm des Bodens. Der Frühling war gestern noch hier – doch heute ist die Luft unangenehm kalt, mein Atem malt vor mir Schwaden ins Nichts der Luft. Die zarten Knospen, die sich aus den Zweigspitzen schieben, versprechen schon die kommende, wärmere Jahreszeit. Ebenso die Fährte der Mutter mit ihrem Kitz.

In Gedanken male ich mir schon das saftige Fleisch aus. Stelle mir vor, wie das fein gegerbte Leder zu einer neuen Jacke oder Stiefeln werden könnte. Der Wille packt mich. Genau das braucht mein Stamm jetzt, eine gute, deftige Mahlzeit. Viel zu lange schon gibt es Trockenfleisch und Kartoffeln – die Lebensmittel, die den Winter überleben, ohne schlecht zu werden. Aber besonders schmackhaft ist es schon nach dem dritten Mal nicht mehr.

Ich achte auf den Wind, er kommt mir entgegen, was ein Vorteil ist, und husche weiter. In meinen Händen befindet sich mein Bogen. Ein Pfeil ist bereits schussbereit eingespannt, auf meinem Rücken sind weitere. Ich lehne mich an einen kantigen Baumstamm und spähe dahinter. Vor mir ist eine kleine Lichtung. Und vor den letzten Bäumen steht das Reh.

Seine Ohren sind gespitzt und es sieht sich aufmerksam um. Die hübschen schwarzen Augen wirken so friedlich und die Beine des Tieres sind so elegant, dass ich einen Moment innehalte und es betrachte. Hinter der Mutter kann ich das Kitz schemenhaft erahnen. Ich atme einmal tief aus und hebe den Bogen. Kurz anvisieren, Schuss. Das Reh quiekt und bricht in Panik aus. Es versucht zu fliehen, doch der Pfeil steckt schon in seinem Genick.

Mit flinken Fingern lege ich blitzschnell nach. Innerhalb von Sekunden streckt ein weiterer Pfeil das Kitz nieder. Die Flanken des Jungtieres heben und senken sich in völliger Verzweiflung, doch es hat keine Chance mehr. Ich haste auf die Tiere zu, ein Messer in der Hand. In einer geübten Bewegung ziehe ich es über die Kehle des Kitzes. Dann erlöse ich auch die Mutter.

Meine Klinge ist blutverschmiert. Achtsam wische ich sie am Gebüsch neben mir sauber. Mit einem schnellen Griff sind meine Pfeile wieder in meinem Besitz. Doch noch bevor die Pfeile in den schmalen Köcher auf meinem Rücken wandern können, höre ich ihn.

Da ist ein Schrei. Schneidend dringt er in meine Ohren.

Ein entsetzlicher, menschlicher Schrei.

Ich springe auf, die erlegten Rehe sind vergessen. Ich stürme direkt in die Richtung, aus welcher der Schrei kam. Der Waldboden fliegt unter meinen Schritten nur so dahin. Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert sein könnte.

Freiheit - David & RuneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt