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║ A L I C I A║
Wenn es etwas Schlimmeres gab, als die erste Stunde zu verschlafen und dann im Rennen den Kaffee auf die neuen Schuhe zu verschütten, dann war es die erste Mathestunde von Mrs. Richford zu verpassen und zudem auch noch die Bücher zu vergessen.
Und genau dies war mir passiert.
„Scheiß Mathe!", fluchte ich, als ich schnell mein Aussehen in einem kleinen Handspiegel überprüfte, bevor ich durch die Tür in den Unterrichtsraum schlüpfte.
Mrs. Richford stand mir den Rücken zugedreht an der Tafel und erklärte gerade ein neues Thema. So leise wie es ging versuchte ich auf meinen Platz zu huschen und einfach so zu tun, als wäre ich bereits die ganze Zeit da gewesen, doch leider wäre Mrs. Richford nicht die alte Schreckschraube Mrs. Richford, wenn sie nicht auch Augen im Rücken hätte.
„Ms. Alicia Clarkson gibt es einen Grund für Ihre unverzeihliche Verspätung?"
Sie drehte sich nicht zu mir um, sondern schrieb einfach weiter eine Rechnung nach der anderen an die Tafel.
„Nun ja, Mrs. Richford...", setzte ich an, als ich mich auf den Platz neben Vany gleiten ließ, die mir sofort ihren Lippenstift rüberschob.
„Ich höre?"
Diesmal drehte sich das Biest, wie sie nur von allen Schülern genannt wurde, um und hielt mich mit ihren eisernen Blick fest.
Auch die anderen Schüler warteten auf meine Antwort.
Ich spürte ihre Blicke in meinen Rücken, ich wusste, wie sie mich musterten und wie sie sich höchstwahrscheinlich fragten, was die Alicia Clarkson antworten würde.
Eins war sicher: Es würde Klatsch-wert sein. Genauso wie der Kaffeefleck auf meinen strahlendweißen Chucks.
„Schlaf, Mrs. Richford", gab ich deswegen als Antwort. Ich hörte ein paar Lacher und sofort konnte ich ein bisschen durchatmen.
„Wollen Sie damit also sagen, dass Ihr Schönheitsschlaf wichtiger ist, als Ihre Fortbildung im Fach Mathematik?" Ihre Stimme war um einiges schärfer geworden und die Temperatur schien um mehrere Grad zu fallen. Einmal strich sie sich über ihren langen rosa Rock, bevor sie sich leicht gegen den Lehrerpult lehnte.
Bevor ich ein weiteres Mal meinen Mund aufmachen konnte, meinte Vany wie aus der Pistole geschossen: „Vielleicht sollten Sie dies auch einmal ausprobieren, Mrs. Richford."
Und dann passierten mehrere Sachen gleichzeitig.
Gelächter erfüllte die Luft, brachte den Lärmpegel zum explodieren, Vany neben mir grinste und lehnte sich wie nach einer erfüllten Mission in ihrem Stuhl zurück.
Und Mrs. Richford verdonnerte uns beide mit hochrotem Gesicht zum Rektor.
Wenn es eins gab, was ich in meinem Leben nie vermissen würde, dann wäre das Mathe.
Und Mrs. Richford.
„Ich weiß echt nicht, warum du dich so aufregst, Alicia. Ich habe dich damit nur unterstützt."
Vany stürzte ihre Unterlippe vor, als ich mit ihr redete, um den roten Lippenstift in jede noch so winzige Falte ihrer Lippen auftragen zu können.
„Du weißt aber auch, dass ich mir nicht noch mehr Ermahnungen leisten kann, Vany", meinte ich und fuhr mir seufzend durch meine Haare.
„Ach, du hättest so oder so eine Ermahnung bekommen, sei mir doch lieber dankbar, dass ich nun auch wegen dir hier sitze und dir Gesellschaft leiste."
Langsam nickte ich. Sie hatte Recht.
Nur wegen mir würde sie nun auch noch Ärger bekommen und sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen. „Tut mir leid, ich wollte keine Zicke sein."
Vany gab mir ein Luftküsschen, ihre Art zu zeigen, dass es schon wieder vergessen sei und fragte dann: „Habe ich eigentlich Lippenstift verschmiert?"
Für einen kurzen Moment betrachtete ich sie und schüttelte dann den Kopf. Vany hatte nie irgendetwas verschmiert, aber dennoch fragte sie immer nach.
„Gut, du hast übrigens einen Kaffeefleck auf deinem Schuh. In der Waschmaschine sollte der aber wieder rausgehen. Wechselschuhe habe ich nun leider nicht im Schrank, zumindest keine, die zu deinem Outfit passen, also musst du wohl oder übel so herumlaufen." Sie zuckte einmal mit den Schultern, bevor sie sich etwas gegen die Plastiklehne lehnte und mit einem Grinsen ergänzte: „Tu einfach so als wäre es der neuste Trend und ich schwöre dir, morgen rennen alle mit einem Kaffeefleck auf den Chucks herum."
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Parallel lines
Teen Fiction„Wir sind wie parallele Linien, Alicia. Wir haben so viel gemeinsam, werden uns aber nie treffen. Und auch wenn es mathematisch unmöglich ist, wird meine Linie enden, während deine einfach weiterverläuft." ~ Fynn, ein Mathe-Geek mit Vorliebe für...
