Drei 12/13 Rätsel zuvor
Es war nur ein Anruf.
Oder doch so viel mehr?
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║ F Y N N ║
Mein Finger schwebte nur einen Millimeter über der grünen Taste, doch bevor ich sie drücken konnte, ließ ich seufzend mein Handy wieder sinken.
Warum war es nur so schwer?
Frustriert ließ ich mich auf meinem Bett nach hinten fallen und starrte an die Decke.
Noch immer konnte ich die übergemalten Flecken sehen, doch heute waren sie mir gleichgültig.Ich wusste nicht wieso, aber alles, was mir durch den Kopf schoss, wenn ich mich in meinem Zimmer umsah, war, wie Mare mich angesehen hatte, bevor sie durch die Tür gegangen war.
Seitdem hatte ich sie nicht wiedergesehen.Ich drehte meinen Kopf, sodass ich auf den Bildschirm meines Handys blicken konnte. Viel zu grell leuchtete mir Mares Kontaktinformation entgegen.
Es wäre so einfach, sie einfach anzurufen, oder?Ich schluckte und schloss, erneut aufseufzend, meine Augen.
Mir war bewusst, dass ich Mare vermisste.
Ich vermisste ihre Stimme und ihre augenverdrehten Seitenblicke.
Aber gleichzeitig wusste ich auch, dass es besser war, sie nicht anzurufen.Mit ihr wurde alles einfach noch viel verwirrender.
Viel zu kompliziert.
Bereits jetzt gab es Probleme.
Selbst jetzt konnte ich schon nicht mehr sagen, wo im Koordinatensystem ich stand, hatte Probleme mich zu orientieren, überhaupt einen Anfangs- und ein Endpunkt zu finden.Zwischen all meinen Linien und Graphen, die mir früher immer Ordnung und Sicherheit versprochen hatten, fühlte ich mich auf einmal unsagbar verloren.
So, als würden sie mich wie in einem Spinnennetz gefangen halten und je mehr ich versuchte, mich zu befreien, desto mehr Schwingungen setzten sie aus, um die Dunkelheit auf mich Spinnenähnlich zu krabbeln zu lassen.
Ich spürte, wie sich erneut die Schwere in meinem Körper ausbreitete, mir wie so häufig die Luft zum Atmen rauben wollte. Automatisch verkrampfte ich meine Finger zu Fäusten und fing an zu zählen. Wenn ich es bis zur zehn schaffte, würde es besser werden.
So war es immer.
Eins, Zwei.
Die Zehn würde mir beweisen, dass ich noch nicht so kurzatmig war, wie es mir die Dunkelheit einreden wollte.
Drei, Vier.
Meine Lungen fingen an zu brennen, ich spürte, wie mein Herzschlag schneller wurde, nur um dann anzufangen zu stolpern.
Fünf, Sechs.
Ich biss die Zähne zusammen und öffnete langsam die Augen.
Sieben.
Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen.
Acht.
Doch mit einem Blinzeln waren sie wieder weg. Meine Lippen wollten sich zu einem Lächeln verziehen, doch ich zwang mich, zuerst die letzten beiden Sekunden herunterzuzählen, bevor ich es mir erlaubte, wieder Luft zu holen.
Neun, Zehn.
Die Luft strömte in meine Lungen und ich öffnete meine Hände wieder.
Ich konnte es nicht verhindern, erleichtert aufzulachen und kopfschüttelnd starrte ich weiter gegen die Decke.„Was ist so lustig?"
Ich hob meinen Kopf etwas an und entdeckte Nate im Türrahmen stehen.
„Nichts", erwiderte ich und richtete mich etwas auf, um meinen Bruder dabei zu beobachten, wie er sich in mein Zimmer schob.„Mom hat eben angerufen, sie kommt heute später von der Arbeit und wir sollen schon mit dem Essen anfangen."
Ich verzog das Gesicht. „Redet sie von den Gummischlauch-Auflauf mit Grünbeilage, den sie uns gestern bereits als genießbar unterjubeln wollte?"
„Es ist immer noch ein Kartoffel-Brokkoli-Gratin, aber ja, genau davon redet sie", antwortete Nate.
Ich ließ mich wieder auf mein Bett fallen und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nein, danke. Dann verzichte ich freiwillig. Verbrenn meine Portion im Kamin, damit Mom Ruhe gibt. Wann bist du wieder mit dem Kochen dran, hattest du nicht irgendetwas Italienisches geplant?"„Mein Kochdienst steht erst wieder Mitte November an, Fynn", meinte Nate trocken, „Und nein, ganz sicher werde ich keine Kartoffelspalten, Brokkoli und Sahnesoße in den Kamin schmeißen."
„Dann verbuddle es."
„Oder wir lassen es gleichbleiben. Denn ich habe eine bessere Idee." In Nates Stimme schwang etwas mit, dass mich neugierig wieder aufblicken ließ.
Mein Bruder grinste mir zu.
„Was schlägst du vor?", hakte ich nach.
Als Antwort hob Nate zwei weiße Plastiktüten in die Luft und sofort fingen meine Augen an zu leuchten.
Der Geruch von den fettigen chinesischen Nudeln aus den Takeaway-Boxen schlug mir keine Sekunde später bereits entgegen.„Wie viele Minuten bist du bereits in meinem Zimmer und wieso hältst du sie mir so lange vor?", fragte ich gespielt beleidigt und lachend ließ sich mein Bruder neben mich aufs Bett fallen.
Dabei rutschte mein Handy auf den Boden und für einen kurzen Moment war ich in Gedanken wieder bei Mare.
Dann jedoch drückte mir Nate die altbekannte Takeaway-Box in die Hände und ich beschloss, das Handy auf dem Boden liegen zu lassen. „Hier. Pass auf, dass du nicht kleckerst."„Das würde mir niemals in den Sinn kommen", erwiderte ich gespielt todernst, erntete jedoch nur ein Augenrollen.
„Erzähl das mal der Rückbank meines Autos."
Ein leichtes Grinsen schlich sich auf mein Gesicht bei der Erinnerung an den kleinen Unfall. „Stimmt, vielleicht sollte ich mich mit dem Gedanken anfreunden, in süßsaurer Soße zu schlafen... Wobei, es gibt definitiv schlimmeres."Mit flinken Fingern öffnete ich die Klappen der Box und der Geruch meines absoluten Lieblingsessens schlug mir mit voller Wucht entgegen.
Das Gefühl der Dunkelheit wurde komplett von der Ruhe, die mein Bruder ausstrahlte, vertrieben und beinahe fühlte es sich wie Glück an, das durch meinen Körper strömte. In diesem Moment schloss ich meine Augen nicht wegen der Kurzatmigkeit.
~
(17.06.2019)
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Parallel lines
Fiksi Remaja„Wir sind wie parallele Linien, Alicia. Wir haben so viel gemeinsam, werden uns aber nie treffen. Und auch wenn es mathematisch unmöglich ist, wird meine Linie enden, während deine einfach weiterverläuft." ~ Fynn, ein Mathe-Geek mit Vorliebe für...