8 2/5 Rätsel zuvor
Every little thing
she does is magic
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║ F Y N N ║
Es war Pommes-Tag.
Ich freute mich nicht, weil ich diese fettigen Kartoffelstreifen aus der Schulkantine wie viele andere Schüler wie ein Heiligtum verehrte, sondern weil ich wusste, dass es ihr Lieblingstag war.
An diesen Tagen ließ sich Alicia besonders viel Zeit beim Essen.
Und an diesen Tagen legte ich besonders viel Wert darauf, einen Tisch in ihrer Nähe zu ergattern.
„Ich weiß nicht, warum wir ausgerechnet hier sitzen müssen", beschwerte sich Emily lauthals, als sie ihr Tablett neben meinem fallen ließ. Die Schokosoße ihres Desserts schwappte durch den Schwung etwas über, doch dies schien sie nicht zu stören.
„Selbst Wendy aus Kunst weiß, dass dieser Tisch wackelt und nur so von ekligen Kaugummis wimmelt und sie kennt nicht einmal den Unterschied zwischen Tesafilm und Kleber!"
„Du hast vergessen, dass Torben Wood im vorletzten Jahr auf genau diesen Tisch sein Mittagessen wieder ausgekotzt haben soll...", ergänzte Ethan, als er sich, im Schlepptau mit Nate und Erin, mir gegenüber hinsetzte.
„Der Tisch war frei", meinte ich nur ausweichend und versuchte den amüsierten Blick von meinem Bruder zu ignorieren.
Er wusste den wahren Grund, warum ich mich hier hin gesetzt hatte und er sollte auch der einzige bleiben, der es wusste.
Alicia und ich waren parallel, da könnten selbst meine Freunde nichts daran ändern.
„Dieser Tisch ist immer frei und das nicht ohne Grund!", klagte Emily weiter, fing aber gleichzeitig schon an ihren Schokopudding in sich hineinzuschaufeln.Mein Blick hingegen wanderte zu dem Tisch, der unausgesprochen der High-Society gehörte.
Ich sah Alicia sofort.
Ich sah immer nur sie.Sie saß neben ihrer Freundin Vany und die ganze Gruppe hing an ihren Lippen, wie sie lachend eine Geschichte erzählte. Ihre Worte unterstrich sie mit weit ausgeführten Armbewegungen und haute dabei nicht nur einmal fast Kyran die Pommes, die sie noch in der Hand hielt, ins Gesicht.
Sofort fing ich an zu lächeln und es schien, als würde alles um mich herum ruhiger werden.
Alicia rettete mich.
Sie gab mir Erholung.
Und dies wusste sie noch nicht einmal.
In ihrer Nähe erschien alles heller, es kam mir beinahe so vor, als hätte alles seine eigene Melodie.
Alicia hatte die Gabe, allen und jeden zu verzaubern.
Zwar hatten alle an ihrem Tisch gerade nur Augen und Ohren für sie, doch ich war es, der ihr damals in der Mathestunde zuerst verfallen war.Es kam wie es kommen musste und Kyran bekam von Alicia die Pommes ins Auge gestochen.
Ich konnte mir ein schadenfrohes Lächeln nicht verkneifen und lehnte mich noch etwas weiter zurück, um Alicia voll und ganz sehen zu können.
Erschrocken schlug sie die Hände vor den Mund, während um sie herum alle anfingen zu lachen.Ich konnte mitzählen wie lange es dauern würde.
Zwei dreiviertel Sekunden.Eins.
Zwei.
Und dann erschien es.
Die Falte, zwischen ihren Augenbrauen, die deutlich zeigte, dass es ihr peinlich war.
Sie umfasste Kyrans Gesicht und plapperte wie ein Wasserfall.
Ich wusste, ohne es hören zu müssen, dass es Entschuldigungen waren und für einen kurzen Moment wollte ich dort an Kyrans Stelle sitzen.
Ich würde nicht so gequält aus der Wäsche gucken und mich peinlich berührt umsehen, um zu überprüfen, ob auch bloß kein anderer in der Mensa von diesem Missgeschick mitbekommen hatte. Nicht so wie Kyran.Nein.
Ich würde lachen und die Chance nutzen, Alicias Hände in meine zu nehmen.
Ich würde ein Scherz darüber reißen, dass ich mein Auge nicht an einer Pommes verlieren möchte und würde alles dafür tun, dass diese Falte – so süß sie auch bei ihr aussah – wieder verschwand.
Denn dies würden Geschichten sein, an die man sich noch in zehn Jahren erinnern würde.Doch ich war nur Fynn Reeves, Leistungsbester im Mathe-Kurs und Gewinner des letzten Forschungsprojektes.
Und nicht Kyran Coldwell, Mädchenschwarm, Mitglied im Eishockeyteam der Schule und Erbe des Coldwell & Co-Imperiums.Doch genau dieser Kyran stand angespannt auf, schüttelte den Kopf und verließ unter dem Gelächter des Tisches beinahe fluchtartig die Mensa in Richtung Toiletten.
Er wusste nicht, was er für ein Glück hatte, Alicia zu begegnen.
Er wusste es einfach nicht und genau deswegen würden sie irgendwann wie sich schneidende Geraden auseinander driften.
Früher oder später.„Willst du deine Pommes nicht essen? Dir ist schon klar, dass morgen wieder das Fußsohlen-Schnitzel auf den Tisch kommt?", riss mich Emily aus meinen Gedanken.
Mein Blick wanderte zu ihr nun leeres Tablett, dann zu meinem.
Der Berg an Pommes war noch gänzlich unberührt.
Es war immer so.
Denn ich konnte nur auf Alicia achten.Deswegen tat ich das, was ich immer machte:
Ich schob mein Tablett in die Mitte des Tisches und meinte: „Esst nur, ich wisst, dass ich die Pommes nicht so gerne mag."Ich saß lieber mit knurrendem Magen im Biologiekurs, anstatt nur eine Sekunde zu vergeuden, an der ich nicht Alicia studieren konnte.
Während die anderen sich wie ausgehungert auf mein Essen stürzten, ließ ich meinen Blick wieder zu ihr schweifen.Sie schien sich unwohl zu fühlen.
Ich sah es daran, wie sie auf ihrem Platz hin und her rutschte, sich nicht mehr am Gespräch beteiligte, ihre Pommes unberührt ließ und sie immer wieder zu der Tür blickte.
In der Hoffnung, dass Kyran wiederkommen würde.
Eine braune Strähne ihrer weichen Locken fiel vor ihr Gesicht.
Sie strich sie nicht weg.Ich kniff mein Mund zusammen und flüsterte in Gedanken immer und immer wieder die Wörter, die mich davon abhielten, zu ihr zu gehen.
Wir sind parallel, Fynn. Du kannst nicht zu ihr gehen, das ist mathematisch unkorrekt.Wir sind parallele Linien, wir würden uns niemals treffen.Du kannst ihr nicht helfen, denn so wird ihr Fynn Reeves nie genug sein.
Ruckartig stand ich auf und ignorierte die überraschten Blicke der anderen.
Ich schnappte mir meine Tasche und verließ schnell die Mensa.
Denn die Haarsträhne, von der sie es zuließ, dass sie ihr Gesicht versteckte, war ein weiteres Zeichen.
Ein weiteres Rätsel, das ich gelöst hatte.Die Waage befand sich einfach nicht mehr im Gleichgewicht.
~
(18.11.2016)
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Parallel lines
Fiksi Remaja„Wir sind wie parallele Linien, Alicia. Wir haben so viel gemeinsam, werden uns aber nie treffen. Und auch wenn es mathematisch unmöglich ist, wird meine Linie enden, während deine einfach weiterverläuft." ~ Fynn, ein Mathe-Geek mit Vorliebe für...