Fünf 8/10 Rätsel zuvor
Jedes Papierschiffchen
wird irgendwann anfangen zu sinken
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║ F Y N N ║
Ich wusste nicht, was mich dazu getrieben hatte, aber auf einmal fand ich mich selbst am Strand wieder.
Im Eisbären-Gebiet.
Um zwei Uhr in der Nacht.Die Eisbären-Fahne, die Kyran damals, als Mare und ich im Sommer ausversehen die Party gecrasht hatten, in den Sand gestoßen hatte, bewegte sich im leichten Wind leicht hin und her.
Ich hatte mich in ihre Nähe gesetzt und vergrub meine Finger in den kühlen Sand.Die Wellen rauschten und blinzelnd sah ich dem dunklen Wasser dabei zu, wie es immer wieder ans Ufer schwabbte.
Während der normale Strandabschnitt noch von dem Licht der Promenade erhellt wurde, herrschte hier beinahe vollständige Dunkelheit.Ich wusste nicht, ob ich dies schön finden sollte, oder nicht.
Denn einerseits mochte ich es, hier vollkommen unentdeckt sitzen zu können, aber andererseits hatte ich das Gefühl, dass die Dunkelheit der Nacht ihre Finger nach mir ausstreckten und mich beinahe erreichten.Ein Schauer lief meinen Rücken hinunter und unwillkürlich schüttelte ich den Kopf.
Ich war verrückt und leicht seufzte ich erneut auf.Mein Blick wanderte von den dunklen Umrissen der Wassermassen auf meinen Block, den ich schemenhaft vor mir ausmachen konnte.
Langsam hob ich meine Hände wieder aus dem Sand hoch, griff nach dem Block und riss ein Blatt heraus.
Ich musste meine eigene Schrift nicht lesen können, um zu wissen, dass es sich auf diesem Zettel um ein altes, bereits gelöstes Rätsel handelte.
Ich kannte die Lösung nämlich auswendig.Gedankenverloren drehte ich es in meinen Händen hin und her, bis ich damit anfing, die Seiten zu knicken und ein Papierschiffchen zu basteln.
Früher hatte Nate mir immer dabei geholfen, weil mir immer wieder die Ecken aus den Laschen gerutscht waren und mein Schiff somit auseinander gefallen war.
Voller Geduld hatte er mir erklärt, wie ich welche Seite zu falten hatte, damit es wirklich schwamm.
Damals war ich sehr klein gewesen, doch mit der Zeit hatte ich dazu gelernt.
Ich wusste nun, in was für einem Verhältnis die schwimmende und die tragende Oberfläche des Papierschiffes stehen musste, damit es nicht unterging.
Ich wusste, wie abgerundet die Ecken sein mussten, um dem Wellengang standhalten zu können.
Ich wusste wie niedrig es sein musste, damit es nicht umkippte.Blind von der Dunkelheit faltete ich es mit flinken Fingern zusammen. Dann stand ich auf und ging mit langsamen Schritten auf das Wasser zu. Meine Schuhe wurden nass, doch es störte mich nicht.
Als das Wasser zu meinen Socken durchdrang, kniete ich mich hin und setzte sanft mein Papierboot auf die Wasseroberfläche.
All meine Berechnungen stimmten.
Sie haben immer gestimmt.
Ich habe mich noch nie verrechnet.
Das Boot schwamm und bestritt mutig seinen Weg über die kleinen Wellen.Doch nur für einen kurzen Moment konnte ich lächeln, als ich dem schemenhaften Umriss des kleinen Bootes hinterher sah.
Denn ich wusste auch, dass das Papier dem Wasser nicht für immer standhalten würde.
Irgendwann würde es untergehen.
Das Wasser würde sich langsam durch das hauchdünne Papier fressen, die Laschen voneinander lösen und es auseinanderklappen lassen.
Die Tinte würde von der Flüssigkeit verschwimmen, die Worte und die Berechnungen unleserlich machen.Und dann, irgendwann würde das Wasser das Papier in seine Einzelteile, aber-winzige Mikroartikel zersetzen und sie zusammen mit dem aufgeschriebenen Rätsel in die Tiefe ziehen.
Doch das war nicht schlimm.
Denn das Rätsel war nicht verloren.
Die Lösung hatte ich nämlich im Kopf.Als das kleine Schiff aus meinem Sichtfeld verschwand und vollständig von der Dunkelheit verschluckt wurde, richtete ich mich langsam wieder auf. Mittlerweile hatten die Wellen auch den Saum meiner Jeans durchnässt und ich beeilte mich, den trocknen Strandabschnitt wieder zu erreichen.
Schnell bückte ich mich nach meinem Block und beschloss den Heimweg wieder anzutreten. Mein Fahrrad hatte ich an einer Laterne an der Promenade angeschlossen, da sich irgendetwas in mir gesträubt hatte, das Auto zu nehmen.
Nun, als der kalte Septemberwind mich wieder daran erinnerte, dass sich der Herbst so langsam ankündigte, wusste ich nicht, ob ich meine Entscheidung von vor zwei Stunden bereuen sollte.
Ich lief an der Eisbärenfahne vorbei, als ich automatisch langsamer wurde, stehen blieb und mich schlussendlich wieder zu ihr umdrehte.
Die Erinnerungen von einem besoffenen Kyran, der die Fahne in den Sand rammte, schossen durch meinen Kopf.
Ich erinnerte mich, wie Alicia sich bemüht hatte, ihn zurückzuhalten und auch erinnerte ich mich an Mares Blick, den sie ihr zugeworfen hatte.Doch sie hatte nicht verstanden, was es bedeutete.
Mare verstand Alicia nicht.
Nicht so, wie ich sie verstand.Und Alicia verstand alles andere nicht.
Ja, sie kannte mich nicht einmal.
Weder wusste sie, dass wir parallel waren, noch, dass ich in diesem Moment nichts lieber machen wollte, als die Eisbären-Fahne aus dem Boden zu ziehen.Und sie würde auch nie erfahren, dass ich zwar mit dem Gedanken gespielt, aber es schlussendlich doch nicht gemacht hatte.
Denn zwar war es kein Eisbärengebiet; war es noch nie; aber wenn ich diese Fahne auch nur berühren würde, würde ich das gesamte Koordinatensystem durcheinander bringen.
Deswegen nickte ich der Fahne nur leicht zu, so als wären wir alte Bekannte, die sich über dem Weg laufen würden, und ging dann wieder weiter.
Die Fahne wurde von der Dunkelheit verschluckt, während ich in das fade Licht der Promenade trat. Ich sah nicht zurück, doch das Rauschen der Wellen, die irgendwo mein kleines Papierschiffchen hin und hertreiben ließen, erreichte meine Ohren.
~
(02.04.2018)
Fynns Papierschiffchen. Irgendwie mag ich es sehr.
Und nun streben wir so langsam die Mitte des Septembers an.
Es fehlen nicht mehr so viele Tage bis zum Oktober.
Leider.
Ich hoffe, es hat euch gefallen, es geht euch allen gut und ihr hattet schöne Ostertage (:
Bis bald!
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Parallel lines
Ficção Adolescente„Wir sind wie parallele Linien, Alicia. Wir haben so viel gemeinsam, werden uns aber nie treffen. Und auch wenn es mathematisch unmöglich ist, wird meine Linie enden, während deine einfach weiterverläuft." ~ Fynn, ein Mathe-Geek mit Vorliebe für...