Kapitel 1

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"Ich komm heute Mittag vielleicht kurz nach Hause." Meinte mein Dad.
"Okay. Was ist mit Amy?" Ich schlüpfte in meine Chucks, als Dads Freundin die Treppen runter kam.
"Ich muss wahrscheinlich durcharbeiten." Antwortete sie für sich selbst.
Das war keine Ausnahme. Sie, aber auch mein Dad, waren nicht oft zuhause. Wenn man in einem Krankenhaus arbeitete, durfte man wohl nicht zu arg an seinem Haus hängen, noch an der Zeit, die man mit seiner Tochter verbringen würde. Mittlerweile hatte ich mich aber schon daran gewöhnt und ich war auch schon aus dem Alter draußen, in dem man seine Eltern immer um sich herum haben wollte oder brauchte. Oder in meinem Fall nicht meine Eltern, sondern meinen Dad und seine Freundin Amy. Sie war kein Ersatz für meine Mom, aber ich kannte sie gut und wir mochten uns.
Vor fünf Jahren waren mein Dad und ich nach Edona gezogen, ein kleines Dorf, das wahrscheinlich nicht mal auf irgendeiner Karte zu finden war. Keine Ahnung, wie mein Dad überhaupt darauf gekommen war, wahrscheinlich durch die Jobstelle im Krankenhaus. Dort hatte er dann auch Amy kennengelernt.
Anfangs war ich etwas skeptisch bei ihr gewesen, da sie mir einfach zu perfekt schien. Sie sah gut aus -hatte schwarze Haare, schilfgrüne Augen und eine zierliche Figur- und dazu war sie einer der nettesten Menschen überhaupt.
In den drei Jahren, seit sie bei uns wohnte, hatte sich aber herausgestellt, dass meine Bedenken völlig umsonst gewesen waren.
"Ich koch ‪heute Abend‬ was für uns. Bist du da zuhause, Liv?" Fragte sie mich nun. Sie ging zu meinem Dad, der in unserer offenen Küche stand, und drückte ihm einen Gutenmorgen Kuss auf die Wange. Sie war noch in ihrem Schlafanzug, musste anscheinend heute etwas später arbeiten.
"Ja, wo auch sonst?" Ich lächelte. Ich kam nicht so oft weg, in so einem kleinen Dorf passierte eben nicht arg viel. Aber mich störte es nicht, das hatte es noch nie.
"Okay, bis heute Abend." Amy schenkte mir ein Lächeln.
"Bis später." Meinte auch mein Dad zu mir.
„Tschau." Ich schnappte meine Schultasche und ging aus dem Haus.

Es war nicht sehr weit bis zur Schule, doch ich nahm trotzdem meistens mein Auto, denn so konnte ich zumindest ein bisschen länger morgens schlafen.
Ich schaltete das Radio an und hielt kurz inne, bevor ich losfuhr. Das Lieblingslied meiner Mom lief gerade. Für einen Moment driftete ich in Erinnerungen ab, dachte an die guten Zeiten mit ihr. Oder zumindest die Zeiten, in denen ich noch dachte es wäre alles gut.
Ich wusste nicht genau, wann das Alkoholproblem bei meiner Mom angefangen hatte. Aber ich war definitiv noch sehr klein gewesen, als sie zum ersten Mal in eine Klinik gekommen war. Irgendwann war sie wieder rausgekommen, doch sie hatte Rückfälle, und das einige.
Mein Dad hatte immer versucht mich so gut es ging dort rauszuhalten, und deshalb musste er auch irgendwann einen Schlussstrich ziehen. Meine Mom schien einfach nicht aus ihren Fehlern zu lernen, und als ich älter wurde fing auch ich an alles richtig zu verstehen und ihr nicht mehr zu verzeihen.
Mein Dad machte mit Mom Schluss, als sie gerade wieder in eine Klinik eingewiesen wurde, und kurze Zeit später zogen wir dann auch um.
Seit diesem Zeitpunkt war der einzige Kontakt zu meiner Mom Briefe zu ihrem und meinem Geburtstag gewesen, manchmal noch an Weihnachten.
Ich vermied es, oft an sie zu denken, auch wenn ich sie manchmal wirklich vermisste.
Ich schaltete auf einen anderen Radiosender und fuhr los.

Angels and Demons (M.)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt