Kapitel 4 • Tim

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>Try to change my shape but baby I'm not clay!<

Er sah schon verdammt gut aus. Verdammt. Und wenn ich verdammt sage, dann meine ich auch verdammt.

Ich war mir meiner Sexualität  bewusst. Ich war Schwul. Und es war mir total egal, ob es jemand wusste, oder nicht. Wenn eine Person es wusste, war es mir egal. Genauso war es, wenn eine Person das nicht wusste. Ich war  mal verliebt gewesen aber ich glaube, das waren eher so kleine Schwärmereinen. Soll mir jetzt aber auch egal sein. Ich sollte mir in dem Moment keine Gedanken über sowas machen.

,,Und, was hast du so für wehwehchen?", fragte der große mich leicht spöttisch. Das war mir echt suspekt. Wir kannten uns nicht, hatten nicht einmal miteinander gesprochen und er begrüßte mich, als wären wir gute Freude. Ich war verwirrt. Und ich mochte es nicht, verwirrt zu sein.

,,Keine Ahnung. Aber bin jedenfalls im Sportunterricht umgekippt. Hab keine Luft mehr bekommen.", antwortete ich Monoton und zuckte mit den Achseln. ,,Und du so?", fragte ich ihn. Es sollte lässig klingen, als ob es mich nicht interessierte. Aber das tat es. Es war mir sehr wichtig. Es war immerhin mein eigener Körper.

,,Letzte Nachuntersuchung. Hatte Krebs. Schon lange her. Aber jetzt bin ich endlich aus dieser Hölle raus. War in der Lunge. Meine Lungenflügel lassen grüßen. Hab ne Transplantation bekommen.", sprach er. Er sprach auch lässig. Und diese Lässigkeit brachte er so überzeugend rüber, dass ich nicht sicher war, ob er das nicht wirklich einfach auf die Leichte Schulter nahm. Ich fühlte mich irgendwie unwohl.

Irgendwie war er komisch. Aber dieses Bild von ihm änderte sich schlagartig, als er mir freundschaftlich gegen den Arm boxte.

,,Kleiner Scherz. Hatte nur ne normale Untersuchung. Brauchst mich nicht so erschrocken ansehen.", grinste er. Er wirkte gerade irgendwie komisch und unsympathisch. Er wusste ja, warum ich hier war.

Doch irgedwie war ich auch erleichtert, dass es ihm wenigstens gut ging. Konnte man von mir ja nun mal eher weniger behaupten. 

,,Sorry, wenn dich das irgendwie getroffen hat.", entschuldigte er sich. Na wenigstens das. Vielleicht ist er doch nicht so unsympathisch. Immerhin redete er wenigstens mit mir und übersah mich nicht. "Wie heißt du eigentlich?" Stimmt, ja, das wusste er ja noch gar nicht. "Stegi.", antwortete ich einfach ganz schlicht.

Hatte ich schon erzählt, wie toll diese Augen waren?

Nein, das hatte ich nicht. Dann sag ich das jetzt. Sie waren braun. Aber dieses Braun konnte man nicht beschreiben, man musste es gesehen haben. Es war nicht kalt, wie so ziemlich jedes Braun in den Augen von den Leuten die ich kannte. Es war warm und einladend.

"Und, was hat der Arzt so gesagt? Ist bei dir alles ok?", fragte ich ihn, einfach nur, damit wir nicht schwiegen. Wenn ich eine Sache nicht mochte, dann war es Schweigen. Zumindest dieses unangenehme ich-weiß-nicht-was-ich-sagen-soll Schweigen.

"Ja, alles in bester Ordung.", antwortete er mir einfach. Vielleicht auch etwas unsicher.

Ich verstand immer noch nicht, wie dieser Junge in meinem Traum auftauchen und jetzt vor mir stehen konnte. Das war doch unmöglich. Wie konnte sowas denn sein?

Ich wollte gerade anfangen zu sprechen, als ich ein besorges Rufen meiner Mutter hörte.

"Stegi? Was machst du denn!", rief sie fast, als sie auf mich zu kam.

DAS war jetzt echt peinlich. Aber ich konnte ihre Reaktion nachvollziehen. Eine Frau, die so ziemlich jede wichtige Person in ihrem Leben verloren hatte und deren Sohn jetzt fast erstickt wäre durfte so reagieren.

"Mama!", rief ich zurück. Nicht dieses kindliche rufen, eher ein erfreutes.

Sie kam auf mich zu und ich stand auf, um ihr in die Arme zu fallen. Ich liebe ihren Duft. Manchmal, wenn wir eine wichtige Klausur schrieben, besprühte ich meinen kleinen Glücksbringer, einen kleinen Stoffdino, mit ihrem Parfüm, um daran zu riechen und mich während der Klausur zu beruhigen. Das hatte sie dann auch irgendwann rausgefunden. Vor ihr konnte man nichts verheimlichen. Ich zumindest nicht.

Als wir und wieder losließen sah ich, dass der Junge immer noch neben uns stand. Es war mir nicht mal richtig unangenehm, dass ich hier meine Mutter begrüßt hatte. Warum sollte es mir auch unangenehm sein? Weil Jugendliche eigentlich keinen guten Draht zu ihren Eltern haben? Ich war eben nicht wie jeder andere.

"Mama, das ist, Tim.", stellte ich ihn vor. Ich wusste nicht, in wiefern das gut oder schlecht war, aber erstmal war es ja nur sein Name. Ich drückte die Daumen, dass sie sich keine allzu großen Hoffnungen auf eine Freundschaft oder Beziehung machte.

"Wir haben uns hier vorhin zufällig getroffen, als ich aus dem CT kam.", erklärte ich meiner Mutter.

Sie nickte. Und sah mich mit diesem bestimmten Blick an.

"Stegi, ich muss mir eben kurz nen Kaffe holen. Ruf mich bitte an, wenn wir mit dem Arzt sprechen müssen.", sagte sie, drückte mir mein Handy in die Hand, es musste aus meiner Hosentasche gefallen sein, und verschwand richtung Cafeteria.

Sie wusste einfach, wann es unpassend war, dass die Mutter dabei ist. Und das fand ich gerade echt erleichternd.

"Deine Ma is echt cool.", kommentierte Tim das geschehen.

Jetzt musste ich wieder lächeln. "Ja, ja das ist sie. Sie ist mehr meine beste Freundin als meine Mutter.", sprudelte es aus mir raus.

"Sei froh! Meine Eltern sind solche Spießer. Vorallem mein Vater. Ich und mein Bruder müssen genau das machen, was sie sich vorstellen.", schnaubte er.

"Sei froh, DASS du noch einen Vater und einen Bruder hast.", sprach ich mal wieder ohne drüber nachzudenken drauf los. Ich war echt verdammt begabt im Freundschafen schließen.Innerlich klatschte ich mir gerade selbst eine. Wie konnte man nur so doof sein?

"Oh, das tut mir leid.", kam es irgendwie mitleidig von Tim.

"Das Leben geht weiter. Aber hey, du bist die erste Person in meinem Alter, die nicht total abgewiesen von meiner Art ist. Danke." Heute war denken aber nicht meine Stärke, oder? Ich meine, die Wörter kamen einfach aus mir raus, ohne, dass ich drüber nachgedacht hatte. Ich hatte nicht mal Zeit, über meine Worte nachzudenken.

Er lächelte einfach nur.

"Ich mag dich.", atwortete er einfach auf meinen Redeschwall.

Wow, das waren die Worte, die mir den Tag gerettet hatten.Ja, irgendwie traurig, dass solche einfachen Worte mir meinen Tag retten konnten, aber er übersah mich nicht. Und er mochte mich. Das konnte sich zwar auf kurz oder lang ändern, aber für den Moment tat es gut. Und ich wollte für den Moment leben. Der Tag hatte keinen schönen Verlauf genommen, aber gerade war ich irgendwas in die Richtung glücklich. Es ließ sich nicht beschreiben.

Liedzeile: -Clay by Grace VanderWaal-

*Ps: Song oben eingefügt*

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