Kapitel 20 • Chemo

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>You're stronger than you know<


Die erstens fünfzehn Minuten verliefen ohne Komplikationen und ich fing an zu hoffen, dass es gut werden würde. Dass ich es ohne Überkeit überstehen würde und all das gar nicht so schlimm wäre.

Doch dann fing es an. Zuerst die Bauchschmerzen, die immer stärker wurden, und dann die Übelkeit. Und wieder war das Glück nicht auf meiner Seite. So wie nie. Und es war fast unerträglich. Die Bauchschmerzen und die Übelkeit wurden immer schlimmer.

"Tim! Spuckbeutel!", schrie ich hysterisch und er sprang auf und holte Nummer eins. Dieser wurde auch sofort, als er in meinen Händen war gefüllt. Und ich fand es echt ekelhaft. Und ich wollte das nicht, aber es war so und ändern konnte ich es nicht.

Tim warf ihn weg und wischte mir vorsichtig den Mund mit einem feuchten Tuch ab. Wie bei eiem Kleinkind. Ich fühlte mich nutzlos und vor allem hilflos. Ich schämte mich so.

Ich lächelte zaghaft. "Danke. Du hast ja keine Ahnung, wie dankbar ich dir bin, dass du das so für mich und mit mir machst." Ich konnte gar nicht ausdrücken, wie froh ich war, das hier nicht alleine machen zu müssen.

Er strich mir meine Haare aus der Stirn. "Kein Problem. Aber ich wollte noch kurz mit dir reden" Er sprach ganz sanft. Er wollte mich beruhigen, jede Aufregung vermeiden.

"Wenn du mir nochmal 'nen Beutel gibst, klar!", antwortete ich und er holte gleich drei und legte zwei auf meine, von der Decke bedekten, Beine.

Den anderen füllte ich wieder und Tim warf ihn weg. Ihn schien es nicht groß zu stören. Er verzog keine Miene.

"Ich hatte heute nacht einen Traum." Während er sprach, seufzte er, als ob ihn das viel Überwindung gekostet hatte. Und in meinem Hirn ratterte es.

"Ich auch." Er sah mich verwirrt an. "Ich hab dich gesehen, wie du eine Rose auf mein Grab gelegt hast. Ich war so eine Art Engel und du konntest meine Gegenwart nicht spüren. Ich hab das heute zum dritten Mal geträumt.", gestand ich ihm nun, da er länger geschwiegen hatte.

Er sah mich verwirrt an. "Ich hab geträumt, wie ich eine Rose auf ein Grab, mit deinem Namen gelegt habe. Ich hatte mir vorgestellt, wie du neben mir liefst aber natürlich warst du nicht da."

"Glaubst du-" Weiter kam ich nicht und Tim hielt mir gerade noch rechtzeitig den Beutel vor den Mund. Er schien es bemerkt zu haben, bevor ich es getan hatte.

"Glaubst du, dass das was zu bedeuten hat?", fragte ich beängstigt. Ich glaubte an nichts übernatürliches. Ich hatte auch die Kirche noch nie verstanden. Aber was ich wusste war, dass in der Bibel nie stand, dass schwul sein eine Sünde sei. Es war einfach ein Übersetzungsfehler denn eigentlich hieß es auf Griechisch sowas wie, dass Männer nicht mit kleinen Jungs schlafen sollen, also gegen sexuellen Missbrauch.

"Weißt du, ich denke, dass das ein möglicher Ausgang der Zukunft ist. Es muss nicht so passieren, aber es kann. Zum Beispiel hatte ich beim ersten und zweiten Traum blaue Schuhe an und jetzt hatte ich grüne an. Es hat sich verändert. Und das ist nur etwas mögliches." Tim schien sich länger damit auseinandergesetzt zu haben.

Ich befand seine Worte für logisch.

Wir redeten noch ein wenig, aber ich wurde immer schwächer.

Ich hatte keine Kraft mehr und die Chemo war erst zur Hälfte durchgelaufen. Ich wollte nicht mehr, es war zu viel.

"Tim, ich halte das nicht durch!" Ich wurde hysterisch und Tim nahm mich einfach nur in den Arm. Und ich genoss es und hoffte inständig, jetzt nicht kotzen zu müssen. Einmal hatte ich Glück im Leben und er löste sich rechtzeitig, bevor Beutel Nummer vier gefüllt wurde.

Angels can fly • stexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt