Kapitel 55 • Tribute von Panem

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>all we do is sit in the silence waiting for a sign<

Er baute sich vor mir auf. Ich hatte darauf gewartet, dass er mich anschreien würde und dann stampfend das Haus verlassen würde. "Steh auf.", sagte er. Seine Stimmlage konnte ich nicht beurteilen. Seinen Blick auch nicht. Das war ein anderer Tim. Nicht dieser nette, immer ruhige und freundliche Tim, den ich kennengelernt hatte. Er war irgendwie kalt. Er war nicht Tim. Nicht mein Tim. Ja, das beschrieb es gut, denke ich. Und ich stand auf. Er schüchterte mich ein. Ich mochte das nicht, ich fühlte mich unwohl. Tim hatte noch nie versucht, mich irgendwie einzuschüchtern. Das hatte er noch nie so mit mir gemacht. Ich wollte es eigentlich nicht. Aber ich stand mit gesenktem Blick auf. "Sie mich bitte an." Seine Stimme, sie hatte sich verändert. Sie wirkte gebrochen. Und das war er auch. Als ich ihm ins Gesicht sah, wusste ich, dass er kaputt war. Gebrochen. In viele kleine Teile. "Stegi, ich werde dich niemals alleine lassen. Ich werde deine Hand halten, egal was du tust. Ich werde dir die Kotzbeutel reichen, wenn du doch Chemo machst. Und genauso werde ich dich überall hintragen, wo du willst. Ich werde das mit dir machen, was du machen willst. Und, ja, ich werde dir auch den Hintern abwischen, wenn ich muss. Ich werde nie mehr von deiner Seite weichen. Wenn du es bis zu dem Spiel schaffst, werde ich besser spielen denn je, einfach, weil du für mich gekämpft hast. Und genauso, wenn du es nicht schaffst. Einfach, weil du es nicht anders wollen würdest. Und weil du trotzdem gekämpft hast und ich weiß, dass du mir zusiehst." Er drückte mich gegen seinen Brustkorb. Ich spürte seine Tränen auf meiner nackten Kopfhaut. Ich atmete tief seinen Duft ein. Es roch nach Tim. Und nach Männerduschgel. Aber besonders nach Tim.Und ich liebte es. Ich liebte ihn. Tim.

"Ich schlafe heute hier.", beschloss Tim. "Ist mir auch egal, was deine Mutter dazu sagt, ich werde hier schlafen. Ich lass dich nicht alleine heute Abend. Wir werden zusammen 'die Tribute von Panem' gucken, Cola trinken und Chips essen." Ich nickte einfach. Ich mochte diesen Film tatsächlich sehr gerne. Und häufig hatte ich mich in die Lage von Katniss versetzt. Und ja, wahrscheinlich hätte ich das Gleiche getan. Aber das hier waren nicht die Hungerspiele. Und keiner wollte sich freiwillig melden. Obwohl, waren sie das tatsächlich nicht? Man wurde gezogen. Man musste dem Tod ins Auge blicken. Man kämpfte. Für einige war es von Anfang an fast unmöglich, diese Spiele zu gewinnen. Sie waren zu Schwach, der Krebs, also die anderen Tribute, waren einfach zu stark. Andere flohen. Aber ihre Chancen standen schlecht. Und ganz wenige von diesen schaffen es, die anderen Tribute zu überlisten oder zu besiegen. Aber wenn man ein Carriero ist, keiner von denen, die sofort sterben, einer von den stärksten, dann kann man tatsächlich gewinnen. Man kann es schaffen. Aber ich konnte wohl fliehen, aber die anderen würden mich bald einholen, mich bald fangen und umbringen. Aber noch werde ich rennen. Immer weiter, bis ich nicht mehr kann. Bis ich stehen bleiben musste. Weil ich nicht mehr konnte.

"Ich möchte jetzt 'Die Tribute von Panem' gucken", entschied ich Abend. Tim hatte gesagt, ich solle wählen, was auch immer ich wolle. Also tat ich dies. "Find ich auch gut.", pflichtete Tim mir bei. Ich startete den Film über meinen Rechner, den ich mit dem Fernseher verknüpft hatte. Tim hatte sich in meine Decke eingekuschelt und mit Chips und Cola bewaffnet ins Bett gelegt. "Ja, mach mir halt keinen Platz. Das ist so lächerlich.", beschwerte ich mich. Aber mein Freund packte mich einfach kurzerhand an meiner Hüfte und zog mich zu ihm unter meine Decke. Der Vorspann war noch dran, als Tim plötzlich frage: "Hab ich dir schon mal gesagt, wie unglaublich gut du riechst?" Er vergrub seine Nase erst in meinen Harren und dann in meiner Hasbeuge. Beide Male sog er kräftig keinen Duft ein. "Ich schenke dir mein Parfüm zum Geburtstag.", witzelte ich. Und ich hatte es wieder vergessen. Vielleicht würde ich es nicht schaffen. Aber trotzdem. Ich konnte es ja kaufen und dann verpacken. Und da kam mir die Idee. Die Idee, wie ich Tim ein Stück von mir erhalten konnte. Ja, es würde anstrengend werden, aber ich würde das schaffen. Ich musste sterben und ich wollte in seinen Erinnerungen bleiben.

Tim war total auf den Film fokussiert gewesen und hatte nicht gemerkt, dass ich in meinen eigenen Gedanken versunken war. Meine Idee reifte immer weiter aus. Ich wollte das durchziehen. Es würde anstrengend werden, ich würde verzweifeln, ich würde meine Haare raufen und mich dann fragen, warum ich das tat. Ich würde Tim zu jedem von seinen Geburtstagen einen Brief schreiben. Es würde so viel Arbeit werden, ich würde so viel Tinte für meinen Füller brauchen, aber es würde sich lohnen. Ich nahm mir vor, für fünfundachtzig Jahre zu schreiben.

Wir lagen nebeneinander. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken. "Ich würde es wie Katniss machen.", sagte er plötzlich aus dem Nichts. Ich war verwirrt. Zuerst und dann wurde mir klar, was er meinte. "Mein Bruder ist mir wichtiger als mein Leben. Ich würde für ihn sterben. Und für dich, ja, dreimal. Wären wir dort und du würdest gezogen werden, ich würde gehen. Weil du das hier nicht verdient hast. Du hast nicht verdient, bald zu sterben. Ich brauch dich, die Welt braucht dich." Er drückte mich immer mehr an sich, vergrub sein Gesicht in meinem Nacken. Ich drückte mich noch fester an ihn und drehte mich schließlich in seinen Armen um. "Tim, ich liebe dich. Für immer. Ich bin immer für dich da.", murmelte ich gegen seine Brust. Er roch nach Tim. So gut, so, so Tim-haft einfach. Ich liebte ihn. Über alles. Jede Ecke an ihm, jede Kante, jede Unreinheit. Und auch all seine wunderschönen Seiten. "Stegi, wie soll ich ohne dich überleben? Mein ganzes Leben wird ineinanderfallen. Da wird ein riesengroßes Loch sein. Du sollst nicht gehen, weißt du?" Ich küsste seine Tränen weg. Jede einzelne. "Tim, ich bin immer da Ich warte auf dich. Ich werde nicht von deiner Seite weichen, deine Tränen wegküssen und dich trösten. Ich lebe in dir weiter." Ich musste lächeln, als ich ihn ansah. Und Tränen liefen aus meinen Augen. "Und du findest jemanden, der dir Liebe gibt. Du wirst die richtige Person finden. Ich war es vielleicht einfach nicht. So früh, wie ich gehe, ich kann nicht richtig sein. Du findest die Person, die dich ergänzt. Die Person, die mehr als Leben für dich ist." Es war vorbei. Er schluchzte. Und ich hielt ihn einfach nur. Mir wurde klar, wie komisch es doch war. Wir kannten uns noch gar nicht lange und trotzdem war diese Liebe so stark. Ich liebte ihn so intensiv. "Du bist es. Du bist mehr als das Leben, du ergänzt mich, ich liebe dich mehr als alles andere. Stegi, du bist meine andere Hälfte. Und selbst wenn du bald gehst, du wirst von niemandem ersetzt werden. Dich kann einfach niemand ersetzten."

Es werden noch so 4-5 Kapitel + einen Epilog :)

Song: -Drive by Halsey-

*Ps: song oben eingefügt*

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