Kapitel 31 • Kartoffelbrei

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>Irgendwann hab ich 'n' Haus, Irgendwann hab ich ne Frau<

Ich hatte - wenn mir mein Gehirn keinen Streich gespielt hatte (wovon ich sehr stark ausging) - Elias dort unten laufen sehen. Aber ich konnte nicht mehr lange darüber nachdenken, denn ich musste los.

Die Bestrahlung war gut verlaufen aber jetzt hatte ich verdammt Hunger. Und vermisste Tim ziemlich. Er hätte den ganzen Tag dabei sein können. Danke Mia dafür! Zumindest bekam ich das, was es eigentlich zum Mittagessen gegeben hätte, nämlich Kartoffelbrei, am Abend. Ich hatte es mir gewünscht und soweit ich keinem was davon erzählen würde, wäre es kein Problem. Sonst würden alle das wollen. Würden ihr Mittagessen am Abend wollen.

Mittlerweile war es achtzehn Uhr und das Essen sollte jeden Moment kommen. Genau dann, als Chris mit dem Tablett auf den Händen den Raum betrat, hörte ich den nervigen Benachrichtigungston meines Handys.

"Na, wer schreibt dir denn? Ich dachte, du hast kaum Freunde. Apropos : wo war Tim heute? Ich hab ihn nicht gesehen." Er schien wirklich verwundert. Nicht, dass er dachte, Tim würde mich alleine lassen! Das traute ich ihm, auch wenn wir uns noch nicht lange kannten, einfach nicht zu. Dazu war er zu gut, zu nett und zu einfühlsam - glaubte ich zumindest.

Der Kartoffelbrei schmeckte erstaunlich gut und ich war froh, dass die Portion groß gewesen war. Ich war richtig satt und das fühlte sich verdammt gut an. Zu wissen, dass es nicht oben rauskommen würde und mein Körper diese Nährstoffe aufnehmen konnte. Vielleicht würde ja der Jojo-Effekt einsetzten und mich endlich mal zunehmen lassen. Ich war eine der wenigen Personen, die sich tatsächlich über eine Zunahme gefreut hätten. Ich meine, wer will schon als Lauch durch die Gegend laufen? Das mit dem Trainieren war ja dann dank meinem verfickten Lungenkrebs ja auch nichts mehr geworden. Keine Ahnung, was ich und meine Mutter und generell alle, die ich mochte, falsch gemacht hatten, aber es musste echt verdammt schlimm gewesen sein. Dafür, dass immer sowas mieses passierte.

Ich verlor mich in meinen Gedanken und erinnerte mich daran, dass ich eine Nachricht bekommen hatte und ein Blick auf das viel zu helle  Display - ich war schon fast eingedöst - verriet mir, dass sie von Tim war.

"Na, dann lies sie halt. Ich dachte mir eigentlich, mal 'nen ganzen Tag ohne Kontakt aber scheinbar könnt ihr nicht anders!", lachte Mia von drüben. Ich zeigte ihr - mal wieder - ohne sie anzusehen den Mittelfinger und versuchte mein Handy einhändig zu entsprerren. Es bieb bei einem Versuch und mein Mittelfinger zog sich zurück, um mir mein eintippen meines Passwortes zu helfen.

Tim 18:02 : >Na? Wie wars? Morgen wie immer? Oder wann soll ich kommen?<

Sollte diese Nachricht etwa seine Sehnsucht nach mir ausdrücken?

Stegi : 18:27 : >Komm bitte so früh es geht! Ich werde dich irgendwie hier einschleusen aber, ja.<

Bevor ich sie sendete, überlegte ich, ob dieses Verlangen und diese Sucht nach Tim nicht vielleicht ein wenig mehr zum Vorschein kam, als beabsichtigt. Daraufhin schüttelte ich nur den Kopf und drückte auf ,senden'. Ich bereute es ein klein wenig, dass ich den Wortlaut nicht mehr geändert hatte. Konnte ich dann nun aber nicht mehr ändern.

Tim 18:29 : >Oh, da will mich aber jemand bei sich haben! Aber einschleusen klingt tatsächlich nach einem kleinen Abenteuer. Ich komm' Morgen um Sieben vor den Haupteingang.<

Stegi 18:29 : >Ok, find ich toll. Ich muss jetzt off. Mia schlägt mich sonst :D<

Ich lächelte mein Handy an. Aber dann übermannten mich meine nächtlichen Gedanken, die so schwarz und dunkel waren, wie die NAcht selbst.

Ich schloss meine Kopfhörer an und drehte mich auf die Seite. Von Mia weg. Sie sollte die Tränen, die mir aus den Augen liefen, nicht sehen. Warum ich angefangen hatte zu weinen? Weil mir bewusst wurde, dass das alles, was die Ärzte mir gaben, um irgendwie mein erbärmliches Leben zu retten, besser an jemand anderen hätte verwendet werden sollen. Mir war klar, dass ich nicht mehr viel Zeit hatte und dass der Scheiß hier, meinen Tod zur kurzweilig herauszögern würde. Ich würde alle in meinem Umfeld verletzten. Ja, Schaden anrichten. Darin war ich gut. Aber ich hatte kein wirkliches Talent. Ich war weder gut in Sport, noch in irgendwas anderem. Tim bezeichnete das Turmspringen als mein Talent, aber ich nicht. Es war nicht schön, es sah nicht gut aus. Ich machte es nur gerne. Warum Leute mich mochten und Zeit mit mir verbrachten? Keine Ahnung. Die Tränen liefen weiterhin Still über meine Wangen. Ich hörte nur, dass Mia eilig jemandem eine Nachricht schrieb. Warum sie dabei so hektisch war, wusste ich nicht.

Circa zwanzig Minuten, nachdem Mia diese ominöse Nachricht geschrieben hatte, waren meine Tränen immer noch nicht getrocknet. Und es klopfte. Mia machte keine Anstalten, sich zu bewegen. Und ich erst recht nicht. Also betrat der mysteriöse Besucher einfach den Raum. Ich schloss meine Augen und tat - ziemlich erfolglos - so, als ob ich schlafen würde.Ich wollte keine Aufmerksamkeit. Es war spät und niemand sollte von diesen Gedanken erfahren.

Zwei Arme hoben mich hoch und ich schlang instinktiv meine Beine um die Hüfte des -nun nicht mehr- unbekannten.

Tim.

Liedzeile: -Irgendwann by Lukas, der Rapper-

*Ps: Song oben eingefügt*

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