Kapitel 29 • Gedanken

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>Der Mond ist aufgegangen<

Ich wachte am nächsten Morgen auf und war einfach nicht ausgeruht. Mein Kopf dröhnte wie verrückt. Als ob dort, in dem Hohlraum, ein kleines Männchen säße und mit den Presslufthammer gegen meinen Kopf hämmerte. Es war einfach scheiße unangenehm. Und es wollte nicht aufhören. Es machte immer weiter.

Es war erst halb sieben aber ich konnte beim besten Willen nicht mehr einschlafen. Um sieben Uhr drückte ich dann den Notfallknopf am Bett, denn die Schmerzen waren nicht erträglicher geworden. Ganz im Gegenteil.

Nach weniger als einer Minute kam eine Schwester herein. "Was ist los?" Ihre Stimme roch fast nach Besorgnis. "Ich hab richtig starke Kopfschmerzen.", jammerte ich. Die Geräusche wirkten sich nicht positiv auf meinen Kopf aus.Ich wollte das nicht. Diese Kopfschmerzen waren unerträglich.

"Ich bringe dir sofort eine Kopfschmerztablette!" Oh man, die würde sogar anfangen zu heulen, wenn eine Taube vor ihr ausrutschen würde. Ich bezweifelte, dass es in diesem Job von Vorteil war zu viel Mitleid und Sogen zu haben.

Zumindest war sie schnell wieder da. In einem Plastikbecher, ein wenig kleiner als ein Shot-Glas, lag eine weiße, Erbsengroße, Tablette und sie hielt mir meinen, mit Wasser gefüllten, Becher hin und ich nahm es dankend an. Die Tablette legte ich auf die Zunge und spülte die 'weiße Erbse' mit viel Wasser runter. Ich konnte sowas früher schon recht gut. Ich hatte auch immer Gummibärchen runtergeschluckt, ohne sie vorher zu kauen.

Nach circa einer viertel Stunde setzte die Wirkung ein und ich schlief nochmal ein. Bis zum Frühstück. Das einzige, was man an diesem Frühstück bemängeln konnte, war die Frühstückszeit. Wer hatte sich diese Uhrzeit ausgedacht. Acht Uhr. Morgens. Auch am Wochenende. Ich könnte mit Steinen werfen.

Genauso, wie als unser Deutschlehrer etwas gesagt hatte, das besser nicht hätte tun sollen. Wir waren in der achten Klasse dabei Romeo und Julia zu lesen und in kleinen Gruppen einige Szenen nachzuspielen. Er erklärte uns, wie wir dieses "He!", aussprechen sollten. Und zwar mit den Worten "Das klingt voll schwul so. Sagt lieber 'Hey'" Ich hätte tatsächlich gerne mit Steinen geworfen. Ich war dann aufgestanden und hatte, ganz trocken, gesagt "So spreche ich nicht. Sie können sich ihre Klischees sonst wo hin stecken." Fast die ganze Klasse applaudierte. Das einige Mal, dass sie voll hinter mir standen.Das einzige Mal, dass ich nicht unsichtbar war. Dass ich gehört wurde. Dass erste mal, dass ich wahrgenommen wurde.

Aber zurück zum Essen. Es gab für mich eine mikriege Scheibe Toast mit vegetarischer Fleischwurst. Ich musste ja fast komplett nüchtern für die Bestrahlung sein. Ganz toll. Sollte ich etwa noch mehr abnehmen? Noch dünner werden, als ich Klappergestell eh schon war? Ich checkte es nicht und hasste meinen Stoffwechsel gerde.

"Warum guckst du so grimmig? Vermisst du Tim schon?", stichelte Mia vom anderen Bett. "Hättest du wohl gerne.", gab ich hochnäsig zurück. "Jaja. Wer's glaubt wird seelig." Sie schien mir nicht zu glauben. "Ich halte es auch eine Woche ohne ihn aus!" Und jetzt hasste ich mich schon für diese Lüge. "Wir können ja verlängern!", schlug Mia siegessicher vor. "Nä, keine Lust." Ich versuchte nicht all zu abhängig von Tim zu klingen. Obwohl ich genau das war. Abhängig. Nicht etwa von Drogen. Nein, von einer Person. Und das beunruhigte mich. Personen können dich verlassen. Egal auf welchem Wege. Einmal, der traurige Weg, der jedoch voller Liebe ist. Der Tod. Man wurde bis zum Schluss geliebt beziehungsweise hat bis zum Schluss geliebt. Außerdem, du bleibst immer, was du bist. Alles was deinen Körper ausgemacht hat, bleibt da. Deine Atome verändern sich, wenn du zu Staub zerfällst, aber es sind die gleichen, die deinen Körper geformt haben. Diese kleinen Teilchen werden immer Teil des Menschen sein, der ihnen Jahrelang einen Wirt war. Aber es gibt auch den Weg des verlassen werdens. Man wird verlassen. Weiß, dass der Andere nichts mehr empfindet. Das ist der traurige und schmerzhafte Weg, Personen zu verlieren.Und davor wollte ich mich schützen. Wollte eine Mauer erichten. Aber sie war wohl nicht gut genug gewesen denn Tim hatte sie ohne Mühe bestiegen.

"Stegi, du musst es einsehen. Du liebst ihn vielleicht noch nicht, aber ohne ihn kannst du, schon nach so kurzer Zeit, nicht mehr leben. Achso, darf ich mal euren Chat von gestern lesen?" Beim letzten Satz klang sie ein wenig psycho und besessen aber ich reichte ihr, wenn auch zögerlich, mein Handy. Mia kannte den Code, denn seit der fünften Klasse nicht mehr geändert hatte.

"Also, Stegi. Ihr könnt mir erzählen was ihr wollt. Ihr gehört zusammen. Besser gesagt: DU kannst mir erzählen, was du willst. Tim hat ja selber mitgewettet." Ich nickte einfach. Und es wurde mir einfach viel zu blöd. "Unauffälliger Themenwechsel. Liebst du Englisch immer noch so, wie in der fünften Klasse?" Ich war wirklich gut im unauffälligen wechseln der Themen. Das musste man mir lassen! "Latein und Englisch stehen bei mir ganz oben. Und bei dir so?" Sie gab mir mein Handy zurück. "Eww. Latein. Igitt igitt! Bei mir immer noch Physik und Mathe. Auf dem zweiten Platz stehen dann Chemie und Bio. Aber wie kann man Sprachen so lieben?" Ich war entsetzt. Ich stand zwar in allen Fächern eins aber es heißt ja nicht, dass ich jedes Fach liebte. "Sagt der, der in einer Bilingualen Klasse ist."(Bilingual ist, wenn man einige Fächer z.B. Bio oder Chemie in Englisch [selten auch Französisch] hat. Hier ist Englisch gemeint.) "Es hilft einem halt, wenn man Englisch sprechen kann. Ich mag es trotzdem nicht so gerne." Ich konnte es, also wieso sollte ich die Chance nicht nutzten? Meine Mutter hatte mal vorgeschlagen, dass ich eine Klasse überspringen könnte. Aber erstens war ich jetzt schon einer der kleinsten. Ich war aber auch nicht viel Jünger. Ich lag im guten Mittelfeld, war aber der zweit kleinste. Vom Können her hätte ich es ganz locker geschafft.

"Du bist immer noch der Überflieger, oder?", fragte Mia argwöhnisch. Ich nickte, vielleicht ein wenig verlegen. Aber wieso sollte man nicht offen damit umgehen, dass man klug war. Sherlock Holmes war es ja nicht anders. "Und du kannst es immer noch nicht lassen, alles und jeden zu analysieren?" Wieder ein Nicken meinerseits. "Und nein, du brauchst es mir nicht vor zu führen!" Ich wollte gerade anfangen aber sie kannte mich zu gut.

"Du solltest mal dein Frühstück essen, bevor es zu spät ist." Sie ließ ihre Stimme dramatisch klingen. Aber ganz ehrlich, es war dramatisch. Ich drufte ab viertel vor neun nichts mehr essen und nur noch Wasser trinken und es war fünf nach halb neun. Also fing ich an, das Toast in mich hinein zu stopfen. Danach war mir schlecht.

Gedichtzeile: -Abendlied by Matthias Claudius-

*Ps: -Spectre by Alan Walker- oben eingefügt. Hat keinen Text aber ich wollte es unbedingt reinbringen. Deshalb ausnahmsweise eine Gedichtzeile. Lasst AW's Lieder generell mal durchlaufen. Krasser shit, sag ich euch*


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