Kapitel 37 • Sternenkunde

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>Nobody sees - Nobody knows<

Ich hatte meine Tasche über die rechte Schulter gelegt und klingelte, leicht unsicher, bei Tim zuhause an. Er hatte mir hoch und heilig geschworen, dass sein Vater nichts tun würde, wenn jemand anderes im Haus wäre. Seine Mutter war seit einer Woche auf einer Geschäftsreise in Indien und würde erst nächste Woche wieder kommen. Auf dem Klingelschild stand in einer Schnörkeligen Schrift Max, Tim, Corinna und Sven Renk. Neben der Tür stand ein Topf mit einem kleinen Lavendelstrauch und die Tür war  hellblau und hatte ein großes, längliches Fenster in der Mitte.

Nach ein paar Sekunden hörte ich schnelle Schritte hinter der Tür. Ein Junge, ein paar Zentimeter kleiner als ich, machte die Tür auf. Er sah Tim ziemlich ähnlich und ich schloss, dass es sein Bruder sein musste. Er hatte eine einfache, schwarze Jogginghose an und ein rotes Tanktop. Über seiner linken Schulter lag eine Sporttasche und in der Hand hatte er eine Wasserflasche. "Hallo, du musst Max sein. Ich bin Stegi, ein Freund von deinem Bruder." Ich gab ihm ein Highfive. Besser gesagt hob er die Hand und ich schlug verwirrt ein."Tim hat von dir erzäht. Ich wusste nicht, dass du heute bei uns schläfst. Ich muss los, Tschau!" Dann war er aus der Tür gegangen. 

Ich rief zaghaft "Tim?", durchs Haus und ich hörte, wie jemand die Treppen hinunter polterte. Das konnte nur Tim sein. "Hey!", begrüßte er mich und nahm mir die Tasche ab. Ich hing meine Jacke über den Haken und kickte meine Schuhe zu all den anderen an der linken Wand.

Das Haus war modern. In dem schmalen Flur stand links eine weiße Komode mit eingeramten Fotos und ein paar Schlüsseln drauf und rechts war ein kleines Gästebad. Ein wenig weiter ging rechts eine Treppe nach oben. "Komm, mein Zimmer ist ganz oben." Ich folgte Tim und schleppte mich zwei elendige Treppen nach oben. Wie konnte Tim das jeden Tag mehrere Male laufen? Aber dafür hatte er den ganzen Dachboden für sich alleine und sogar ein eigenes Bad. Dafür würde ich sogar diese verdammten Treppen auf mich nehmen. In der linken Ecke stand ein Ventilator, der lief. Anders konnte man es hier wohl nicht aushalten.

Die ganzen Wände waren einfach weiß und kahl. An den Dachschrägen konnte man ja generell nichts aufhängen aber dem Rest fehlte noch etwas. Schräg links, von der Tür aus, lag das Badezimmer. Geradeaus unter dem Fenster, stand ein weißer Schreibtisch, mit einem schwarzen Schreibtischstuhl. Darauf lagen allerhand Blätter und Stifte. Rechts in der Ecke stand ein weiterer Tisch. Auf diesem Stand ein Bildschrim mit Tastatur und Maus und darunter war der PC. Es war alles qualitativ ziemlich hochwertig. Man konnte sich nicht beschweren. Rechts an der Wand stand ein kleines, dunkelblaues Sofa. Direkt rechts neben der Tür stand ein weißer Schrank. Vermutlich Tims Kleiderschrank. Und da kein Bett in diesem Zimmer stand, ging ich davon aus, dass die Couch eine Schlafcouch sein musste. Er schlief ja wohl nicht auf dem Boden. Davor lag ein schwarzer, flauschiger Teppich, auf dem ein weißer Couchtisch stand.

"Wilkommen in meinem Reich!", sagte Tim einladent und legte meine Tasche einfach auf den Boden. "Was sollen wir machen, König Stegi der Viertel vor Zwölfte?" Ich war ein wenig verwirrt. "Wir wollen ja keine Probleme wegen geschützten Namen.", erklärte er sich und ich boxte ihm gegen die Schulter. "Du bist doof." Darauf hin piekste er mir in die Seite. "Aber du!" Ich zuckte weg und lachte. Was soll ich sagen? Es war von einem Kitzelkampf in eine Kissenschlacht übergegangen. Keine Ahnung, wie lange wir das gemacht hatten, aber am Ende hingen wir völlig in den Bohnen auf der Couch.

"Ok, und jetzt?", Immer noch außer Atemn rückte ich mich in eine gemütlichere Position. "Ich könnte dir vorlesen?" Sein Vorschlag klang nicht schlecht, aber das wollte ich mir für heute Abend zum einschlafen aufheben. "Stadt, Land, Fluss?", schlug ich scherzhaft vor und bekam dafür einen leichten Schlag auf den Hinterkopf. "Also ich bin ja dafür, dass wir rausgehen!", sagte Tim bestimmt und mir fiel nichts besseres ein. Also stimmte ich zu.

"Wohin jetzt?" Wir standen vor der Haustür und waren ratlos. "Wald?" Tim nickte und wir machten uns auf den Weg zum Wald. Natürlich gingen wir an einer ganz anderen Stelle in diesen als bei unserem letzten gemeinsamen Waldbesuch, da wir damals vom Krankenhaus aus gegangen waren. "Du weißt aber, wo du lang gehst, oder?" Tim klang etwas skeptisch und ich nickte einfach. Ich kannte den Wald wie meine Westentasche und wusste, wo wir lang mussten. Natürlich ging ich nicht auf den normalen Wegen. Wäre ja langweilig gewesen. Wir gingen einen unsichtbaren Pfad entlang. Geradewegs zum Teich. Wir wussten beide sofort, dass wir dort hin wollten.

"Och, man! Wie lange noch, Stegi?", nörgelte Tim. In diesem Moment wurde seine Frage beantwortet denn wir trafen auf den Bach. Jetzt hieß es nur noch dem Bach folgen. "Bitte eintreten, der Herr." Tim tat übertrieben vornehm und hielt mir den Durchgang frei. "Danke, der Herr." Ich bedankte mich genauso vornehm und trat durch die entstandene Öffnung. Wir legten uns wieder an den kleinen 'Strand' und gingen ab und an mit den Füßen in das eiskalte Wasser.

Um halb elf machten wir uns auf den Rückweg. Doch als wir vor der Haustür der Renks standen, entschieden wir uns um. "Warum sollten wir schon reingehen, und wieder keinen Plan haben, was wir tun sollen?", hatte Tim argumentiert und nun liefen wir durch die Gassen der Stadt.

Der Himmel wurde nicht richtig dunkel und man sah nur die hellsten Sterne leuchten. "Eigentlich schade, dass die Städte Nachts so hell sind." Ich fand es tatsächlich schade, denn der Sternenhimmel war eins der wenigen Dinge, die einfach schön waren. Eins der wenigen Dinge, die man stundenlang ansehen konnte, ohne je müde von diesem Anblick zu werden. Dadurch wird einem erst klar, wie unbedeutend man ist. Ein einziger Mensch ist nichts für die Welt. Eine einzige Welt, ist nichts für unser Sonnensystem. Ein einziges Sonnensystem ist nichts, für eine Galaxie. Eine Galaxie, ist nichts für das gesamte Universum.

"Glaubst du, da oben schaut uns gerade jemand zu?" Tims Blick war ebenfalls in den Himmel gerichtet. "Nicht jetzt. Viele Lichtjahre entfernt sieht vielleicht gerade eine andere Spezies, wie das erste Fahrrad erfunden wird. Oder, wie die Eiszeit geade endet. Vielleicht sehen einige, die über fünfundsechzigmillionen Lichtjahre von uns entfernt sind, gerade die Dinosaurier. Wir werden es nie erfahren." Nachts waren Gespräche doch einfach viel tiefgründiger und verworrener als tagsüber. Wenn man nur über belangloses redete. Nachts waren die Gedanken, die am Tag kaum da waren klarer und intensiver. Die Gedanken waren bedachter, tiefgründiger und meistens schöner. Ja, manche waren auch traurig, aber man konnte besser darüber nachdenken und man konnte die positiven Aspekte aus den schlimmsten Dingen herausholen.

"Ich habe solche Gespräche schon ziemlich lange nicht mehr geführt.", gestand Tim und ließ sich auf dem Asphalt der Straße nieder. Ich setzte mich neben ihn. Mitten auf die Straße.

"Ich auch nicht.", antwortete ich verträumt und ließ mich langsam nach hinten fallen. Die arme verschränkte ich hinter meinem Kopf und Tim tat es mir gleich. Wir lagen gerade Mitten auf der Straße, sahen uns den Himmel an und philosophierten über diesen. Besser hätte es nicht sein können.

Liedzeile: -Uncover by Zara Larsson-

*Ps: Song oben eingefügt*

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